„Fast jeder hat es schon einmal erlebt: Kurz nach Ablauf der Garantie eines Produktes geht es kaputt…“. So oder ähnlich beginnt (gefühlt) nahezu jeder Beitrag zur „geplanten Obsoleszenz“. Die Frage, um die es in diesen Beiträgen geht, ist meist dieselbe: Bauen Hersteller tatsächlich Schwachstellen in ihre Produkte ein, um den Absatz anzukurbeln? Handelt es sich dabei um einen Mythos oder doch um die Wahrheit? Die „Theorie“ der geplanten Obsoleszenz gehört schon lange zum Standardrepertoire der Wachstums- und Kapitalismuskritik. In diesem Beitrag möchte ich jedoch aufzeigen, warum diese „Theorie“ der Postwachstumsdebatte möglicherweise mehr schadet als nützt.
Eine Verschwörungstheorie?
Tatsächlich ähnelt die Geschichte von der geplanten Obsoleszenz in vielerlei Hinsicht einer Verschwörungstheorie. Angesichts der dürftigen Beweislage berufen sich ihre Anhänger/innen unermüdlich auf die wenigen, altbekannten Beispiele[1]: der Chip im Drucker, das Plastikzahnrad im Stabmixer, der nicht austauschbare Akku in elektrischen Zahnbürsten oder der fast 100 Jahre alte Fall des Glühbirnenkartells. In der Überzeugung, dass es sich dabei um ein allgegenwärtiges Phänomen handelt, werden die Erfahrungen mit diesen Geräten auf die gesamte Wirtschaft übertragen. Für Serge Latouche, einen bekannten Kritiker des kapitalistischen Wirtschaftssystems, ist die geplante Obsoleszenz nichts weniger als einer der drei Hauptantriebsfaktoren des Wirtschaftswachstums (neben der Werbung und dem Kreditwesen).[2] In einer Studie im Auftrag der Grünen wurde sogar behauptet, die geplante Obsoleszenz würde den deutschen Konsument/innen jedes Jahr rund 100 Milliarden Euro kosten.[3] Eine schöne Zahl, die von den Medien gerne aufgenommen wird und den Eindruck eines messbaren Phänomens vermittelt, aber auf vollkommen aus der Luft gegriffenen und unbegründeten Annahmen beruht.
Verschwörungstheorien zeichnen sich auch dadurch aus, dass sie widersprechende Belege als Teil der Verschwörung interpretieren. Als Forscher vom Freiburger Ökoinstitut und der Universität Bonn im vergangenen Jahr in einer ausgiebigen Untersuchung[4] keine Fälle von geplanter Obsoleszenz in Druckern und anderen Geräten nachweisen konnten, wurde schlicht ihre Unabhängigkeit von der Industrie in Frage gestellt. Auf der Homepage von „Murks? Nein Danke!“, dem Portal zur geplanten Obsoleszenz mit der größten Reichweite, heißt es weiter zur soeben genannten Studie: „Mit rhetorischen Tricks, eigenwilligen Reduzierungen und geneigten Interpretationen versucht man die klare Sicht der Öffentlichkeit zu vernebeln“ – Eine Aussage, die nicht nur von der teils unsachlichen und überhitzten Debatte zeugt, sondern durchaus auch auf eigene Arbeiten zutrifft. So wurde beispielsweise schon trotz mangelnder empirischer Evidenz einfach eine Normalverteilung in der Produktbindung unter Konsument/innen angenommen, damit die „Wegwerfer/innen“ unter den Konsument/innen möglichst klein aussehen und die Aufmerksamkeit auf die „Wegwerfindustrie“ gelenkt werden kann.[5]
Abwägungen im Produktdesign
Dass die vom Umweltbundesamt beauftragte Studie die geplante Obsoleszenz weder bestätigen, noch widerlegen konnte, überrascht nicht. Denn solch ein Vorwurf an große Teile der Industrie lässt sich selbst mit den aufwändigsten Mitteln nicht widerlegen. Beim Design eines Produktes sind Entscheidungen hinsichtlich seiner voraussichtlichen Lebensdauer unvermeidbar, unabhängig davon, ob die Entscheidung bewusst oder unbewusst erfolgt. Dass die Produktlebensdauer für gewöhnlich sehr kurz ausfällt, liegt nicht an einer böswilligen Manipulation der Produkteigenschaften, sondern schlicht daran, dass andere Qualitäten höher gewichtet werden, allen voran der Preis, aber auch Qualitäten wie Ästhetik und Komfort.
Insbesondere bei schnellen Innovationszyklen wie in der Modeindustrie oder bei Smartphones bleibt gar keine Zeit für ausgiebige Tests der Produkteigenschaften, wodurch die Produktlebensdauer vollständig in den Hintergrund gedrängt wird. Von geplanter Obsoleszenz könnte man nur sprechen, wenn die Lebensdauer oder Reparierbarkeit ohne jeglichen ersichtlichen Vorteil verringert wird. Ein wichtiger Bestandteil der „Theorie“ ist es daher sämtliche Innovationen, die auf Kosten der Lebensdauer gehen, als „Schwachsinn“ oder „Spielerei“ abzutun. Klar ist aber, dass eine solche Einschätzung auf rein subjektiven Kriterien beruht. Für Hersteller bereitet es daher keine großen Probleme, Kompromisse auf Kosten der Produktlebensdauer mit Vorteilen bezüglich anderer Qualitäten zu rechtfertigen.
Die negativen Auswirkungen der Kritik geplanter Obsoleszenz
Verbote geplanter Obsoleszenz, wie vor Kurzem in Frankreich eingeführt, können daher nur äußerst schwer umgesetzt werden. Tatsächlich kommt die Kriminalisierung der geplanten Obsoleszenz den Gegner/innen einer sozial-ökologischen Wirtschaftspolitik („Suffizienzpolitik“) sogar entgegen. So unterscheidet der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) in einer Stellungnahme klar zwischen „der bewusst einkalkulierten Fehlerhaftigkeit einerseits und der Beschleunigung unserer Verbrauchsmuster andererseits.“ Der EWSA tritt für ein Totalverbot geplanter Obsoleszenz ein, damit diese „seltenen, aber eklatanten Fälle“ unter Kontrolle gebracht werden können. Gegen die viel grundlegendere „Beschleunigung unserer Verbrauchsmuster“, wie es der EWSA nennt, werden hingegen keine verbindlichen Maßnahmen vorgeschlagen. Auch als vor wenigen Wochen im österreichischen Umweltausschuss über Maßnahmen für langlebigere Produkte diskutiert wurde, vertagte man die Initiative unter anderem mit der Begründung, eine geplante Obsoleszenz sei nicht nachgewiesen. Wie diese Beispiele zeigen, lenkt die Diskussion um die Existenz von Praktiken geplanter Obsoleszenz von grundlegenderen Problemen unseres Wirtschaftssystems ab und bremst die Umsetzung ambitionierterer Maßnahmen.
Außerdem wirkt sich die „Theorie“ geplanter Obsoleszenz negativ auf das Konsumverhalten aus. Seit dem von den Grünen beauftragten Bericht zur geplanten Obsoleszenz im Jahr 2013 sind bereits vier populärwissenschaftliche Bücher zu diesem Thema erschienen und Aktivisten wie Stefan Schridde in Deutschland und Sepp Eisenriegler in Österreich genießen eine beachtliche mediale Aufmerksamkeit [6]. Die Kampagnenarbeit scheint durchaus wirksam zu sein. Glaubt man einer Umfrage des österreichischen Konsumentenschutzvereins, halten bereits die Mehrheit der Konsument/innen die geplante Obsoleszenz für ein weitverbreitetes Phänomen. Die Konsequenz dieser Überzeugung ist, wie eine Studie der Wiener Arbeiterkammer feststellte, dass Konsument/innen aus mangelndem Vertrauen in die Langlebigkeit von Qualitätsprodukten bewusst zu günstigeren Alternativen greifen [7]. Indem die Geschichte von der geplanten Obsoleszenz das Vertrauen in Hersteller untergräbt, trägt sie somit indirekt zur fallenden Nutzungsdauer von Produkten bei.
Innovation und Obsoleszenz als kulturelle Phänomene
Kritiker/innen der geplanten Obsoleszenz haben wiederholt hervorgehoben, dass es ihnen um mehr als bloß eingebauten Schwachstellen und Fehlkonstruktionen geht. Die geplante Obsoleszenz ist für sie die Geschichte einer Industrie, die mit allen Mitteln – seien es Sollbruchstellen oder andere Strategien wie Werbung und „Scheininnovationen“ – Gewinne in gesättigten Märkten erzielen will und damit die Lebensdauer von Produkten reduziert. Wer sich die angeführten Listen von angeblichen Fällen geplanter Obsoleszenz ansieht [8], kommt jedoch zum Schluss, dass es sich letztendlich doch immer nur um eingebaute Schwachstellen dreht.
Doch auch eine breitere, auf alle Industriepraktiken bezogene Definition geplanter Obsoleszenz, wie von Stefan Schridde in vorangehenden Blog-Beiträgen vorgeschlagen, käme zu kurz. So kann beispielsweise bei Autos und Handys vielmehr ein auf und ab als eine stetige Verkürzung der Nutzungsdauer beobachtet werden. Eine solche Entwicklung kann nicht mit einer einseitigen Bestimmung der Nutzungsdauer durch Hersteller erklärt werden. Wie lange Konsumgüter genutzt werden, wie oft neue Produkte auf den Markt kommen und wie langlebig sie sein sollen, muss unter den unterschiedlichen Marktakteur/innen ausgehandelt werden. Die Nutzungs- und Lebensdauer von Produkten ist daher ein historisch spezifisches, kulturelles Phänomen. Dabei ist es wichtig hervorzuheben, dass eine solche Perspektive auf die kulturellen Bedeutungen von Innovationen und Obsoleszenz weder eine Entlastung der Industrie, noch eine Missachtung der bestehenden Machtverhältnisse bedeuten muss.
Für die Postwachstumsdebatte ergeben sich aus einer solchen Perspektive viele interessante Fragestellungen hinsichtlich der Geschwindigkeit von Produktion und Konsum, beispielsweise wie ein anderes Verständnis von Innovation und Obsoleszenz zu einer Politik der Suffizienz beitragen kann. Die teils unsachliche Diskussion über scheinbare Betrugsfälle in Form von geplanter Obsoleszenz kann dazu hingegen wenig beitragen.
Mehr dazu siehe:
Tröger, N., Wieser, H., Hübner, R. (2017). Smartphones werden häufiger ersetzt als T-Shirts. Die Nutzungsmuster und Ersatzgründe von KonsumentInnen bei Konsumgütern. In: C. Bala, W. Schuldzinski (Hrsg). „Beiträge zur Verbraucherforschung Band 6: Pack ein, schmeiß‘ weg?“, Verbraucherzentrale NRW, Düsseldorf, S. 79-102.
Wieser, H. (2016). Beyond Planned Obsolescence: Product Lifespans and the Challenges to a Circular Economy. GAIA, 25/3, S. 156-160.
[1] Vgl. hierzu bspw. Kreiß (2014). Geplanter Verschleiß. oder Schridde (2014). Murks? Nein Danke!
[2] Latouche (2015). Es reicht! Abrechnung mit dem Wachstumswahn. München, oekom.
[3] Schridde/Kreiß/Winzer (2013). Geplante Obsoleszenz.
[4] Prakash u.a. (2016). Einfluss der Nutzungsdauer von Produkten auf ihre Umweltwirkung: Schaffung einer Informationsgrundlage und Entwicklung von Strategien gegen ‚Obsoleszenz‘.
[5] Schridde (2014). Murks? Nein Danke! München, oekom.
[6] Schridde (2014). Murks? Nein Danke! München, oekom; Eisenriegler (2016). Konsumtrottel. Wien, edition a; Kreiß (2014). Geplanter Verschleiß. Zürich, Europa-Verlag; Reuß/Dannoritzer (2013). Kaufen für die Müllhalde. Berlin, Orange Press.
[7] Wieser/Tröger (2015). Die Nutzungsdauer und Obsoleszenz von Produkten im Zeitalter der Beschleunigung.
[8] Bspw. auf: Murks! Nein Danke? oder in: Schridde/Kreiß/Winzer (2013). Geplante Obsoleszenz.
Jetzt ist die (sehr spannende) Diskussion schon über ein Jahr im „Stand-By-Modus“; ich versuche daher mal einen „Restart“…
Das „Kaufen für die Müllhalde“ nicht gut für die Umwelt ist – darin dürfte wohl ein gewisser Konsens bestehen. Was aber ist mit „Produzieren für die Müllhalde“? Die Berichte der letzten Wochen über die Rücknahmepraxis bei Amazon werfen doch eine ganz einfache Frage auf: wie viele der produzierten Geräte schaffen es denn überhaupt bis zum Käufer / Verbraucher? Egal, ob im Onlinehandel oder in einem realen Geschäft: „Ladenhüter“ gibt es immer wieder. Aber Angebot und Nachfrage sollten sich doch eigentlich decken. Manchmal sind die Sachen einfach schlecht platziert, sind zu teuer, haben einen schlechten Ruf (Bewertungen), etc.
Diese Problematik scheint mir bislang wenig beachtet. Entweder geht es in der Diskussion um die Hersteller, oder aber um die Konsumenten. Die (Zwischen-)Händler bleiben meist außen vor. Zu unrecht?
Regiefrage an die Forums-Moderation:
gibts eine Möglichkeit, dass man eine E-Mail-Benachrichtigung erhält, wenn es neue Kommentare in diesem Forum gibt?
Lieber Herr Neitsch, es besteht die Möglichkeit, ein RSS-Feed für neue Kommentare auf dem Blog Postwachstum zu abonnieren. Diese Option finden Sie bspw. auf der Startseite ganz unten links unter „Meta“.
Danke Patrick Brehm, stimme voll zu!
Vielleicht zur Weiterführung und sachlichen Fokussierung der Diskussion mein Vorschlag, mal von dem m.E. sehr guten Ansatz des Strategiepapiers des deutschen UBA ausgehend weiterzudiskutieren, ob das die Richtung sein könnte, die uns weiterbringt. Kurz-Überblick hier:
http://www.repanet.at/uba-deutschland-stellt-strategien-gegen-obsoleszenz-vor/
Direktlink zum UBA-Papier hier:
https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/strategien-gegen-obsoleszenz
lg
Matthias Neitsch
Ingenieure und Produktdesigner sind bei der Erzeugung von geplanter Obsoleszenz arbeitsrechtlich nur Erfüllungsgehilfen. Die zu adressierende Verantwortungsebene ist das gehobene Management. Die wesentliche Ursache für geplante Obsoleszenz ist gewollte Unterlassung. In der Produktentwicklung schlägt Begeisterung Haltbarkeit und drängt diese wesentliche Produkteigenschaft in den Hintergrund. Geplante Gebrauchsdauern werden nahezu ausschließlich an den ökonomischen Zielen der an Renditemaximierung und Marktteilszuwachs ausgelegt. Die verärgerten kaufenden BürgerInnen nennen dies „geplante Obsoleszenz“ und erwarten zu Recht von den politisch und akademisch beauftragten Organisationen konkrete und wirksame Handlungsoptionen, um die Schadfolgen zu beenden. Gerade auch deswegen ist eine sachliche Debatte Debatte um geplante Obsoleszenz wichtig. Dabei sollte sich diejenigen, denen an einer sachbezogenen und zielführenden Debatte und Lösungssuche gelegen ist, auf mehr Trennschärfe einlassen.
Wie so oft haben wir es hier mit Widersprüchlichkeiten zwischen wissenschaftlicher Auseinandersetzung und massenmedialer Rezeption zu tun. Stefan Schridde macht in seinen Publikationen immer wieder deutlich, dass „geplante Obsoleszenz“ eben nicht immer mit absichtlicher Produktmanipulation zu tun hat, sondern auch mit Nutzungsinnovationen, Design oder rechtlichen Fragen. Nur suggeriert der Begriff natürlich eine Art von Verschwörung seitens der Industrie. Und es gibt genügend Anhaltspunkte, dass die Begrenzung der Nutzungsdauer auch immer wieder bewusst einkalkuliert wird. Der Begriff ist einerseits unglücklich, weil man als Ingenieur und Produktdesigner so in Generalverdacht gerät, andererseits vermutlich auch der Grund, weshalb das Problem überhaupt das mediale Echo ausgelöst hat. Polemisierungen und Überspitzungen gehören nun mal zum Handwerkszeug des Boulevards. Man muss nur anschließend schlagkräftige Kernbegriffe in die Tiefe treiben, sonst verfälschen sie das Problem und legen vermeintlich einfache Lösungen nahe – so etwa das „Verbot“ von geplanter Obsoleszenz in Frankreich, das zwar politische Handlungsfähigkeit beweisen soll, aber in der Praxis ein zahnloser Tiger bleiben dürfte.
Die oben genannten Widersprüchlichkeiten zwischen Wissenschaft und Massenmedien (oder sollte man sagen: der Frau auf der Straße?) weisen auf ein Kernproblem hin, mit dem ich mich als Lehrer tagtäglich konfrontiert sehe: Wissenschaftlich geprägte Zukunftsdiskurse erreichen die breite Bevölkerung nicht. Einmal auf Grund der Rückständigkeit des Bildungssystems (mein Thema…;-), Eigenheiten der modernen Massenmedien, aber auch, weil Diskurse wie um die „Postwachstumsökonomie“ sich im sprichwörtlichen „Elfenbeinturm“ abspielen und allein durch die Begriffswahl intellektuelle Abschottung bewirken. „Geplante Obsoleszenz“ hätte da an sich wohl dasselbe Problem, hat sich aber gerade dank des Engagements einiger Vordenker tatsächlich schon ziemlich weit herumgesprochen.
Es ist falsch, die Diskurse gegeneinander auszuspielen. Die Postwachstumsdebatte sieht sich ja des Öfteren ähnlichen Anschuldigungen ausgesetzt, dass sie von den „eigentlichen Problemen“ ablenke. Böse gesagt, tut sie das genauso wie die Rezeption der „geplanten Obsoleszenz“ als Verschwörungstheorie. Harald Wiesler hat an anderer Stelle ganz richtig notwendige Maßnahmen benannt: Längere Garantiezeiten, Steuern auf Ressourcen, Steuerentlastung von Dienstleistungen. Nur verläuft der Weg zu dieser Erkenntnis eben auf sehr unterschiedlichen Wegen, für die einen über den Postwachstumsdiskurs, für die anderen durch Schlagzeilen wie „Unternehmen bescheißen uns mit Kaputt-Produkten“ (gar nicht schlecht als Einstieg ins Thema für einige meiner Schüler…). Wir müssen das dann aber eben auf eine sachliche Ebene heben – eine originäre Aufgabe der Bildung. Das geschieht zu wenig und erfordert gemeinsame Anstrengungen aller an Zukunftsthemen arbeitenden Kräfte.
@Albrecht: Mit dieser Aussage wollte ich lediglich klar stellen, dass kein Akteur die Langlebigkeit von Produkte alleine bestimmen kann. Ich hatte dabei keineswegs an einen „freien“ Markt gedacht – selbstverständlich könnte die Lebensdauer auch teilweise reguliert werden, wobei auch das ausverhandelt werden müsste. Bei Innovationszyklen erscheint mir ein regulatorischer Eingriff allerdings wenig sinnvoll.
@Daniel und Matthias: Ich stimme vollkommen zu, dass ein wenig Polemik manchmal nicht schadet und durchaus zielführend sein kann. Meiner Ansicht nach ist die Debatte aber längst darüber hinausgeschossen und hat den Punkt einer „Detailtiefe“ nie erreicht. Ich schätze die freiwillige und engagierte Arbeit der von Matthias genannten Personen sehr und hatte auch nicht vor, ihre Arbeit zu diskreditieren. Meine Kritik bezieht sich vielmehr auf die gesamte Debatte, in der weit weg von einfacher Polemik und Provokation bereits die Unabhängigkeit von nicht übereinstimmenden WissenschaftlerInnen in Frage gestellt wird und irgendwelche „Fakten“ hervorgezaubert werden. Wie ich versucht habe in kurzen Worten darzulegen, kommt dieser – wenn auch aufmerksamkeitserregende – Fokus auf geplante Obsoleszenz den GegnerInnen einer Wachstumswende sogar entgegen.
Geplante Obsoleszenz ist kein Narrativ. Die Debatte um die Schadfolgen geplanter Obsoleszenz hat bereits viel Wirkung gezeigt und findet glücklicherweise enrstzunehmende Beachtung in vielen gesellschaftlichen Bereichen in Europa. Dies liegt unter anderem am konkreten und belegbaren Gehalt ihrer Aussagen und Erkennntnisse. Das die mediale Wirkung dieser notwendigen Debatte auch Klickneid auslösen könnte, wäre – rationales Handeln vorausgesetzt – nicht zu erwarten gewesen, Daniel Constein. Wer nun im Popularisieren der Debatte durch Diskreditierung der Protagonisten eine Gegenbalance zugunsten eigener kontextnaher Themenfelder herstellen mag, wird sich die Frage nach dem eigenen Solidaritätsverständnis innerhalb der Degrowth-Community stellen lassen. Wer die Gesellschaft pauschal mit „Konsum- und Produktionsprozeß“ ohne Bezug auf konkrete Themen wie Produktverantwortung, Sortimentsverantwortung und Konsumverantwortung adressiert, wird für die Indifferenz kaum Zupruch erhalten können. Es ist notwendig, dass wir in der Debatte um Nachhaltigkeit klar und trennscharf die Verantwortungsebenen für sich adressieren und nicht im „alles hängt mit allem zusammen“ relativieren. Wer aus falsch verstandener Defensivität heraus, nur den Konsumenten ansprechen will, statt die Hersteller und den Handel zur Verantwortung zu ziehen, wird den Ursachen nicht gerecht. Wissenschaft braucht hier analytische Kompetenz.
„Unternehmen bescheißen uns mit Kaputt-Produkten“, lieber Daniel Constein, ist mit Sicherheit eine extrem und sicher gewollte popularisierende Verkürzung, für die Du selbst hoffentlich eine Erklärung findest. Die BILD-Zeitung hat auch mal so ähnlich getitelt. Du schwächst damit allerdings Deinen eigenen Vorwurf der „populistische Verzerrung“.
Meine ausführliche Stellungnahme zum Beitrag von Harald Weiser erscheint demnächst auf diesem Blog.
Mein Engagement beschränkt sich nicht auf Medienkampagnen, die man natürlich immer kritisieren kann:
Ich stelle dem Joint Research Center der EU-Kommission Reparaturdaten zur Verfügung, war gemeinsam mit Walter Stahel als Sachverständiger zur Ausarbeitung der Stellungnahme zum Kreislaufwirtschaftspaket des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses eingebunden und wurde eingeladen von Kopenhagen bis Sevilla unsere einzigartige Norm zu Langlebigkeit und reparaturfreundlichem Design von E-Geräten zu präsentieren. Derzeit arbeite ich im gemeinsamen Technischen Kommittee 10 der EU-Normungsorganisation CEN-CENELEC „Energy related products – Material efficiency aspects for Ecodesign“ federführend mit. Die Ergebnisse sind europäische Standards, die nach der Harmonisierung in die Ökodesignrichtlinie, die ja derzeit eine reine Energieeffizienzrichtlinie darstellt, einfließen. – Ich glaube nicht, dass diese Aktivitäten lebensdauerverkürzend oder sonstwie kontraproduktiv wirken. Klar ist: Ohne die Themenführerschaft gegen geplante Obsoleszenz in Österreich wäre all das nicht möglich gewesen.
(Noch eine kleine Anmerkung zur UBA-Studie: Darin ist unter anderem zu lesen, dass es nicht das primäre Ziel der Studie war, geplante Obsoleszenz zu untersuchen [sic!]. Was man nicht sucht, wird man auch nicht finden …)
Übergeordnetes Ziel ist jedenfalls das wachstumsgetriebene, kapitalistische System zu zähmen. Nach meinem Buch KONSUMTROTTEL bin ich mehr denn je gefragter Referent zum Thema „Wachstum in der Krise – Die ungeplante Obsoleszenz des Kapitalismus!“
Alles Gute auf dem Weg zum intelligenten Konsumenten!
Bitte die Pioniere nicht diskreditieren!
Grundsätzlich stimme ich zu, dass immer die Gefahr besteht, dass Debatten mit zunehmender Detailtiefe ihr eigentliches Thema aus den Augen verlieren, nämlich dasses im Kern darum geht, dass „Degrowth“ überlebensnotwendig ist, dass es zumindest hinsichtlich des materiellen Ressourcendurchflusses eine „steady state“ oder „circular“ – economy geben muss, und dass die kapitalistische Logik dem entgegen steht und daher durchbrochen werden muss. Ich finde es aber nicht in Ordnung, die wertvolle Arbeit von Leuten wie Dannoritzer, Schridde oder Eisenriegler hier abzuwerten oder gar zu diskreditieren, denn ohne diese Leute würden uns enorm wichtige Inputs in der Debatte fehlen (und hätten Leute wie der Autor dieses Blogbeitrages keine Finanzierung für all die Studien, die auf das wohlgemerkt meist unbezahlte Engagement der Mahner und Rufer wie Schridde und Eisenriegler erst im Nachhinein reagieren. Man mag über Details uneinig sein und fundierte Kritik äußern, aber ich denke insgesamt sollten wir Einigkeit darüber haben, dass der Ressourcenverbrauch drastisch reduziert werden muss und dass die im öffentlichen Interesse notfalls gesetzlich erzwungene Lebensdauerverlängerung der Produkte einer von vielen Hebeln ist, an denen gleichzeitig anzusetzen ist. Dazu ist auch Polemik legitim, denn mit der Ratio allein wurden noch nie gesellschaftliche Veränderungen bewirkt. Daher: Dank und Respekt an Dannoritzer, Schridde und Eisenriegler, dass sie diese Debatte überhaupt erst auf so breiter Basis ermöglicht haben!
Touché! Sehr gut geschrieben und aufgearbeitet.
Man könnte sich anhand der medialen Beachtung der „geplanten Obsoleszenz“ aber auch fragen, ob es eine solches Narrativ braucht, um bestimmte Themen öffentlich debattierbar zu machen. Die Botschaft „wir als Gesellschaft tragen zu einem immer schnelleren Produktions- und Konsumprozess bei“ erzeugt sicher weniger Klicks als „Unternehmen bescheißen uns mit Kaputt-Produkten“. Nun möchte ich nicht die Quantität mit der Qualität einer öffentlichen Debatte verwechseln. Meine These wäre: auch bei der medialen Strategie geht es – wie bei der Produktherstellung – um eine Abwägungsfrage: populistisch-verzerrt, reichweitenstark und wirksam oder qualitativ-abwägend mit geringerer Reichweite und Wirksamkeit. Chantalle Mouffe und der linke Populismus lässt grüßen.
Nur mal so als Debattenanstoß 🙂
Zu der marktwirtschatlichen Forderung: „Wie lange Konsumgüter genutzt werden, wie oft neue Produkte auf den Markt kommen und wie langlebig sie sein sollen, muss unter den unterschiedlichen Marktakteur/innen ausgehandelt werden.“
Mit dem gleichen Argument könnte auch jemand auf die Idee kommen, über die notwendige Reduktion der CO2-Emissionen den Markt entscheiden zu lassen.
Das ist ungefähr so sinnvoll wie „feie Fahrt für freie Bürger“ oder „jeder soll essen können was er will“.