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Dialoge im turbulenten Schweden

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Unter dem Motto „Dialogues in turbulent times“ fand im August in Malmö (Schweden) die diesjährige 6. Internationale Degrowth-Konferenz statt. Einen wichtigen Einfluss auf die dortigen Debatten rund um das Thema Wirtschaften abseits des Wachstumszwangs hatte unter anderem die heiße Wahlkampfphase kurz vor der schwedischen Parlamentswahl und die Befürchtung der Schwed/innen, sich einem historischen Datum zu nähern, da die Umfragen einen verheerenden Rechtsruck zugunsten der „Schwedendemokraten“ nicht ausschließen konnten.

Die Internationale Degrowth-Konferenz „for Ecological Sustainability and Social Equity“ als wichtigste Gelegenheit der Zusammenkunft und des Austauschs der internationalen Degrowth-Community, bestehend aus Wissenschaftler/innen, Aktivist/innen und Künstler/innen, findet seit 2008 alle zwei Jahre an wechselnden Orten statt.

In verschiedenen Gebäuden im und um den Folkets Park (Volkspark) im trubeligen Herzen Malmös fanden die zahlreichen Workshops, Präsentationen und Diskussionen in offener und entspannter Atmosphäre statt. Versorgt mit Kaffee, gutem Essen und der Möglichkeit, sich jederzeit eine Pause in der Sonne zu gönnen, verbrachten ca. 700 Menschen vier spannende Tage, aus denen man viele interessante Impulse mit nach Hause nehmen konnte.

Viele Themen, eine Agenda: ökologische Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit

In „turbulenten Zeiten“ wie den unsrigen, das wurde deutlich, gibt es kein Patentrezept zur Lösung der vielfältigen sozialen und ökologischen Krisen, in denen sich heutige Gesellschaften befinden. Das Programm wurde gestaltet von Wissenschaftler/innen und Aktivist/innen aus verschiedenen Regionen, die viele unterschiedliche Perspektiven einbrachten. Vertreten waren zahlreiche Forscher/innen aus Süd- und Osteuropa, aber auch aus außereuropäischen Kontexten waren Wissenschaftler/innen und Aktivist/innen angereist. Vielfach wurden Verbindungen zwischen postkolonialen und feministischen Perspektiven und den Forderungen der Degrowth-Community hergestellt. Die Plenumsdiskussionen, die den Abschluss jedes Tages bildeten, beschäftigten sich aus Degrowth-Perspektive mit den Themen Migration und Konflikte, mit dem Geld- und Finanzsystem und dem Dialog zwischen verschiedenen kritischen Sozialtheorien. Darin zeigte sich der Anspruch der Konferenz, auf globaler Ebene verschiedene Diskursstränge miteinander zu verbinden und nach Lösungen zu suchen, die den komplexen Problemlagen umfassend begegnen. Dabei kam es natürlich auch zu hitzigen Diskussionen, die ebenso erwünscht waren wie die Möglichkeiten, voneinander zu lernen und Allianzen zu schmieden, um den Weg in Richtung einer Postwachstumsgesellschaft gemeinsam zu ebnen.

Die Verbindung der Care-Debatte mit Postwachstumsdiskursen wurde in mehreren Sitzungen zu Feminism(s) and Degrowth thematisiert. Vielfach ging es auch um die Zukunft von Technologien in einer (Post)Wachstumsgesellschaft, beispielsweise in der Session Unlocking wise technological futures: Contributions from the degrowth community.

Besonders viele Beiträge befassten sich in diesem Jahr mit Degrowth-Strategien im nordischen Kontext (beispielsweise A Swedish Society Beyond GDP Growth – potentials and hindrances) und die vielen Teilnehmer/innen insbesondere aus Schweden, Finnland und Estland zeigten, wie wichtig es ist, die Diskussionen auch aus der lokalen Perspektive zu führen. Allein das Setting „Schweden im Sommer 2018“ bot bereits Anlass zu vielfältigen Betrachtungen: Während sich wohl die meisten Teilnehmer/innen durchaus über das sonnige Wetter an den ersten drei Tagen der Konferenz gefreut haben dürften, befand sich das Land nach einer monatelangen Dürre-Periode eigentlich in einem ökologischen Ausnahmezustand. Die immer wieder aufflammenden Waldbrände machten auch nicht Halt vor dem Grundstück eines der Diskutant/innen auf dem Podium am Freitagabend: „Während ich hier vor euch stehe, brennen mein Wald und meine Farm.“ Seine eindringlichen Worte dürften allen Teilnehmer/innen den Ernst der Lage, sofern er nicht schon vorher präsent war, drastisch vor Augen geführt haben.

Auf dem Postwachstumspfad in die Zukunft: es gibt viel zu tun

Immer wieder wurde in den Diskussionen auch die anstehende schwedische Parlamentswahl als Anlass aufgegriffen, das Erstarken rechtpopulistischer Parteien in vielen Ländern zu thematisieren und der Frage nachzugehen, wie eine Postwachstumspolitik dieser Entwicklung entgegenwirken könnte. Die schlimmsten Befürchtungen bezüglich der Parlamentswahl, nach denen die rechtspopulistischen „Schwedendemokraten“ zweitstärkste Kraft hätten werden können, haben sich nun glücklicherweise nicht bewahrheitet. Dennoch haben die Rechtspopulist/innen viele Stimmen auf ihre Seite ziehen können, was ihrer Arbeit gegen eine offene und solidarische Gesellschaft Auftrieb verleihen wird. Und die Frage bleibt: wie kann es angesichts dieser Entwicklungen gelingen, eine am Gemeinwohl orientierte, ökologisch und sozial gerechte, offene Gesellschaft zu gestalten?

Um den Forderungen und Hoffnungen Ausdruck zu verleihen, die auf der Konferenz zutage getreten waren, gab es am letzten Konferenztag noch die Möglichkeit, an einer Demonstration durch die Malmöer Innenstadt teilzunehmen, zu welcher auch lokale aktivistische Gruppen aufgerufen hatten. Die Forderung nach mehr Umweltgerechtigkeit und nach einer am Gemeinwohl orientierten Wirtschaftsweise, sowie die Themen Migration und „Recht auf Stadt“ waren auf der Demonstration präsent.

Den Abschluss der Konferenz bildeten eine Party am Samstagabend und wohl die Gedanken und Ideen, die die Teilnehmer/innen mit auf den Weg nach Hause genommen haben und die sie hoffentlich in ihrem Einsatz für eine gerechtere Welt als eine Bereicherung empfinden.

 

Einige Beiträge und Diskussionen der Konferenz kann man hier als Video ansehen. Weitere Bilder von der Konferenz finden sich hier.

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