Die Wachstumsdebatte bewegt sich inzwischen jenseits der schlichten Unterscheidung für oder gegen Wachstum, Mehr oder Weniger. Es geht zentral um die Frage, wie wir wachsen wollen, wenn wir in Zukunft mit weniger natürlichen Ressourcen auskommen müssen, also auch darum, wo wir schrumpfen werden. Mit einem verengten Verständnis von Wachstum, das sich allein am BIP und den Wirtschaftsdaten orientiert, kommen wir da nicht weiter.
Diese verengte Sichtweise erzeugt nicht zuletzt auch individuelle Probleme, wie die rasante Zunahme psychischer Erkrankungen in den letzten Jahren zeigt. Zugespitzt gesagt: Das „Höher, Weiter, Schneller“ des ungehemmten Wirtschaftswachstums ist eine Logik des Raubbaus und der Überforderung. Worum es also geht, ist nicht ein generelles „Weniger“, sondern ein „Weniger“, das zugleich ein „Mehr“ bedeuten kann: ein Mehr an Zufriedenheit, an Solidarität, an Gesundheit, an kultureller Teilhabe. Aus Angst kann so Zuversicht werden.
Die Grünen in Schleswig-Holstein sind dem alternativen Wachstumskonzept genauer nachgegangen und haben eine Studie erstellen lassen mit dem schönen Titel „Das Grüne BIP“. In dieser wird untersucht, inwiefern der Wachstumsbegriff, der auf dem klassischen Bruttoinlandsprodukt basiert, eigentlich aussagefähig ist. Ergebnis: Nicht besonders, denn er geht nur von Wirtschaftsdaten aus, vernachlässigt aber andere Faktoren wie eine gesunde Umwelt, eine schöne Natur, Bildung und Kultur, ehrenamtliches Engagement, geringere Einkommensunterschiede, geringer Energieverbrauch oder den Anteil der Erneuerbaren Energiequellen. Zwischen 1999 bis 2008 stieg das klassische Bruttoinlandsprodukt um 7,4 Prozent im Bundesschnitt, in Schleswig-Holstein aber nur um 0,2 Prozent. Ein ganz anderes Bild ergibt sich nach dem Grünen BIP: Dieses sank auf Bundesebene im Schnitt um 3,2 Prozent, während es in Schleswig-Holstein um 9,4 Prozent wuchs! Und es leben dort tatsächlich die glücklichsten Menschen in Deutschland, obwohl das Durchschnittseinkommen nicht besonders hoch ist im Vergleich.
Zufriedenheit hängt also gerade nicht vom alten Begriff des Wirtschaftswachstums ab, im Gegenteil. Allerdings lässt sich diese neue Kultur des Wachstums nicht von oben verordnen, sie hängt ganz entscheidend ab von einem gesellschaftlichen Diskurs darüber, was für uns „Gutes Leben“ heißt. Wer allein in mehr technologischer Effizienz die Lösung aller Probleme sieht, drückt sich vor dieser grundlegenden, normativen Frage. Denn Effizienz allein ist kein Rezept gegen die zerstörerischen Nebenwirkungen des traditionellen Wachstumsdenkens. Die Rebound-Problematik ist bekannt: Wir haben zwar effizientere Kühlschränke, aber dafür ist der in der Küche größer und es steht auch noch gleich einer im Partykeller. Mehr Effizienz allein hat früher oder später immer ein neues ‚Höher Schneller, Weiter‘ zur Folge. Deshalb muss es umso mehr darum gehen, Fortschritt und Wachstum innovativ zu bestimmen, und mit neuen Werten zu füllen. Vor allem aber gilt es darauf zu achten, dass das „Gute Leben“ eben nicht eines ist, zu dem nur Wenige Zugang haben. Das Grüne BIP ist ein erster Schritt auch in diese Richtung.
Sehr geehrte Frau Goering Eckardt,
ich stimme Ihren Aussagen zu und finde Ihre Beobachtungen sehr wichtig. Nur an einem Punkt würde ich gerne einhaken. Sie schreiben: „Allerdings lässt sich diese neue Kultur des Wachstums nicht von oben verordnen (…)“. Dieser Satz irritiert mich. Denn er impliziert, dass jegliches Eingreifen „von oben“ eine „Verordnung“ wäre, also ein die Bürger/Zivilgesellschaft entmündigender / bevormundender Akt. Zugleich will er sagen, dass ein Eingreifen „von oben“ nicht möglich wäre. Dies sind aber zwei Paar Schuhe: Ist ein Eingreifen „von oben“ nicht möglich oder ist es nicht wünschenswert?
Ich würde beide Fragen verneinen. Dazu müsste allerdings erst auch Einigkeit hergestellt werden, wer denn „oben“ ist: Sind es die Politiker, oder eine soziale Gruppe von Entscheidungsträgern in Politik, Wirtschaft und Verwaltung oder eine von Vermögen/Einkommen her definierte Oberschicht, …?
Nehmen wir mal die Entscheidungsträger in Politik, Wirtschaft und Verwaltung, so wäre doch ein Eingreifen auf vielen Ebenen denkbar: Durch die Anpassung sämtlicher öffentlicher Statistiken, durch den Umbau der eigenen Einflusssphären, durch Förderung entsprechender Initiativen und natürlich eine entsprechende Gesetzgebung bzw. Oppositionspolitik, insbesondere auch eine mutige Finanzmarktpolitik mit ggf. durchgreifenden Reformen. All dies ist natürlich kein „Allheilmittel“ und muss auf entsprechende Resonanz in der Gesellschaft stoßen. Hierzu beobachte ich, dass dies bezüglich jedenfalls ein deutlicher Trend in der akademischen Mittelschicht festzustellen ist.
Wenn wir weiter fragen, ob dieses Eingreifen wünschenswert wäre, so wüsste ich kein Gegenargument: Wenn eine gesunde Umwelt, eine schöne Natur, Bildung und Kultur, ehrenamtliches Engagement, geringere Einkommensunterschiede, geringer Energieverbrauch und eine Erhöhung des Anteils der Erneuerbaren Energiequellen Werte sind, für die Sie einstehen wollen, sehe ich keinen Hinterungsgrund, diese politisch zu verfolgen.
Mit freundlichen Grüßen
Und deswegen muss die Komplexität dieses Systems reduziert werden. Niko Paech argumentiert in seiner Schrift „Befreiung vom Überfluss. Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie.“, dass Arbeitsteilung jenseits lokaler Beziehungen notwendig Wachstum im vorherrschenden Sinne zur Folge hat. Wollen wir die unstrittig negativen Folgen des Wachstums mildern oder sogar rückgängig machen, dann muss der Grad der Arbeitsteilung und der der monetär vermittelten Leistungen stark verringert werden.
Eines ist sicher richtig: Die Zufriedenheit des Einzelnen hängt (überhaupt) nicht vom Wirtschaftswachstum ab. Aber die Funktionsfähigkeit unseres arbeitsteiligen Wirtschaftssystem hängt sehr wohl vom monetären Wirtschaftswachstum ab. Da gibt es wahrscheinlich nichts daran umzudeuten.
In meinen Augen reicht es absolut nicht, mal eben einen neuen Maßstab zu definieren und alles wird gut. Das Beispiel von S-H zeigt meiner Meinung nach nur, dass man in Teilbereichen durchaus mal mit weniger monetärem Wirtschaftswachstum eine höhere Zufriedenheit erreichen kann, nur beweist das nicht, dass das auch funktioniert, wenn es im gesamten Wirtschaftsraum kein monetäres Wirtschaftswachstum mehr gibt.
Die Zufriedenheit sinkt ganz schnell rapide, wenn nicht nur auf verzichtbares verzichtet werden muss, sondern wenn die Verfügbarkeit der täglichen Mahlzeiten ungewiss wird, weil die Bank kein Geld mehr rausrückt (weil entweder die Bank selbst Pleite ist, oder der Staat, oder der Arbeitgeber,…).
Ich glaube nicht, dass man den griechischen Bürgern durch einen geeigneten Maßstab ihre momentane Krise schönreden kann. Und erzählt mir jetzt bitte nicht, was die Griechen alles falsch gemacht haben. Es können nicht alle Exportweltmeister sein! Was der eine exportiert, importiert der andere.