Nach 28 Monaten, 136 Sitzungen der Projektgruppen und 31 öffentliche Enquete-Sitzungen verabschiedete die Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“, bestehend aus 17 Bundestagsabgeordneten und 17 Sachverständigen am 15. April 2013 den knapp 1000-seitigen Endbericht. Bis zum umfassenden, jedoch wenig überraschenden Endbericht war es ein steiniger Weg. Trotz der unüberwindbaren Differenzen zwischen Regierung und Opposition beglückwünschte man sich am Ende der Enquete-Kommission zur geleisteten Arbeit und betonte, dass Konsens nie das Hauptziel sein könne, sondern „Dissens Zeichen einer funktionierenden Demokratie ist“ (Dr. Gregor Nüßlein, CDU/CSU, MdB).
WAS WAR
Als großen Erfolg und Fortschritt der Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ kann die parteiübergreifende Anerkennung absoluter Grenzen und Systemverschiebungseffekte (sog. Rebound-Effekt) genannt werden. Ferner die Einsicht, dass zur Bewältigung der großen sozialen und ökologischen Herausforderungen unserer Zeit nicht nur technische Innovationen, sondern Lebensstilveränderungen nötig sind.
Vielen Mitgliedern der Kommission war die Arbeit jedoch nicht weit genug gegangen. Die „bekannten Divergenzen ideologischer Schlachtfelder“ sagte Professor Marc Oliver Bettzüge (EWI Geschäftsführer, Sachverständiger der Koalition) seien eifrig bearbeitet worden. Er bedauerte jedoch, dass „das Neue an der Diskussion“ kaum bearbeitet worden sei. Bettzüge bezog sich dabei auf Themen wie supranationale Governance, Anstieg des Wohlstands bei gleichzeitigem Anstieg der Ungleichheit, Veränderung durch Digitalisierung (Shareeconomy) und darauf, dass empirischen Ergebnissen zur demographischen Entwicklung zu wenig Beachtung geschenkt wurden.
PD Dr. Norbert Reuter (ver.di Ökonom, Sachverständiger der Opposition) zog das Fazit, dass „die Hauptfrage, ob unser gegenwärtiges System auch mit kleinen Wachstumsraten oder Nullwachstum funktionieren kann“, wenig bis gar nicht diskutiert wurde. „Die grundlegende Frage, ob Wachstum überhaupt nötig ist, wurde von der Koalition nicht genügend neutral angegangen.“
Wenn man Abgeordnete der Koalition auf ihren i-Pads beim Tetris spielen und online shoppen sah, fragte man sich als Zuschauer ohnehin, inwieweit die Themen der Enquete von ihnen überhaupt ernst genommen wurden.
Überraschend und integrierend war die Aussage von Professor Hanns Michael Hölz (ehem. Sustainability Beauftragter der Deutschen Bank, Sachverständiger der Koalition), dass „die Mutter aller Enquete-Kommissionen […] zu viel über Ökonomie und zu wenig über gesellschaftliche Teilhabe gesprochen hat“. Von der Opposition bejubelt, in den eigenen Reihen geduldet sprach er sich für einen „offenen Stakeholderdialog“ aus.
Michael Müller (Staatssekretär a.D., Sachverständiger der Opposition) erklärte in seinem Plädoyer, dass es nicht um „Kapitalismus als ja-oder-nein-Frage“ ginge, sondern „die Wachstumsdebatte als Chiffre für das alles umspannende Problem der Moderne“ stünde. Müller, der schon bei vier thematisch ähnlichen Enquete-Kommissionen mitwirkte und immer wieder auf die Dringlichkeit der Kommissionsarbeit hingewiesen hatte, sagte, dass die Moderne „mehr Optionen bei weniger Wertbindung“ schaffe. Das Problem sei aus der Naturvergessenheit, der immer wieder neu entstehenden Ambivalenz durch Ausdifferenzierung und durch die Entbettung der Märkte aus der gemeinschaftlichen Bindung entstanden. Zur Thematik der Moderne reichte er ebenfalls ein 30-seitiges Sondervotum ein.
Dass diese Kritik der Moderne jedoch allenfalls eine Debatte in akademischen Kreisen bleiben wird, bei der Marx und Adorno zitiert werden, brachte Reuter auf den Punkt: „Das entscheidende „Wie anders?“ wurde nicht geklärt“. Wachstumsproponenten haben die gegenwärtige Realität als Beweismaterial.
Waren die 28 Monate Arbeit der Enquete-Kommission also umsonst?
WAS BLEIBT
Die parteiübergreifende Verständigung auf den Rebound-Effekt ist meiner Ansicht nach ein kleiner, jedoch nicht zu unterschätzender Erfolg. Durch geschicktes Agenda-Setting, etwa in Wahlprogrammen und durch Forschungsförderung könnte der Begriff des Rebound-Effekts in der öffentlichen Diskussion ankommen und hier für ein neues Verständnis von Nachhaltigkeit sorgen.
Visuell am stärksten dürfte der W3-Wohlstandsindiaktorenset ins Auge fallen, nicht zuletzt wegen seines unverständlichen Herz-Designs. Inhaltlich kam es hier zu keiner parteiübergreifenden Einigung und dementsprechend auch zu keinen unerwartet radikalen Neuerungen. Die „Diskobeleuchtung“ (Matthias Birkwald, Die LINKE) erinnert an General Motors gespielte Bemühungen im Film „Who killed the electric car“, das Elektroauto zu vermarkten. Ein neues Wohlstandsmaß zu entwickeln, war ein konkreter Handlungsauftrag für die Enquete-Kommission gewesen.
WAS WIRD
In der Abschlussveranstaltung wurde angesprochen, dass auch eine stärkere Verzahnung der Enquete-Kommissionen untereinander wünschenswert sei. Hierbei bezog man sich vor allem auf die parallel stattfindende Enquete „Internet und digitale Gesellschaft“. Wie dies konkret aussehen könnte, wurde jedoch nicht diskutiert.
Ferner sehen viele Mitglieder der Kommission die Übersetzungsarbeit für die breite Bevölkerung als nächsten Schritt nach der Enquetearbeit, jedoch wurde hier ebenfalls nicht konkret darauf eingegangen, wie und durch wen. Ob der Bericht oder gar der Indikatorenset die Expertendebatte zu etwas Erfahrbarem im Alltag für die breite Bevölkerung machen, ist fraglich. Leider eine weitere verpasste Chance, die Wachstumsdebatte in die breite Bevölkerung zu tragen.
In jedem Fall wird diese Enquete-Kommission in der politischen Geschichte Deutschlands eine Besonderheit darstellen, da im Gegensatz zu bisherigen Enquete-Kommissionen unüberwindbare Gegensätze zwischen Regierung und Opposition zu Tage traten und permanent im Vordergrund standen. Das Lösen von langfristigen Fragestellungen in überfraktioneller Manier stellt die eigentliche Legitimation einer Enquete-Kommission dar.
Auch das jüngste Mitglied der Enquete Florian Bernschneider (FDP, MdB) betonte: „Spuren im tagespolitischen Politikgeschäft hinterlässt nur eine fraktionsübergreifende Einigung“. Aufgrund der wenigen überparteilichen Einigungen, der hohen Zahl an Sondervoten und der fast nicht vorhandenen ordnungspolitischen Handlungsdirektiven könnte man also folgern, dass tagespolitisch nichts folgen wird. Man ist sich einig, dass man uneinig ist.