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Technische Verzauberung und technokratische Versuchung

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Eine Replik auf Wolfgang Neef.

Für Max Weber war die Sache klar: Die maßgebliche kulturelle Folge der Technisierung von Natur und Gesellschaft sah er in einer fortschreitenden „Entzauberung“ der Welt. Es gehört gleichwohl zu den Paradoxien des Industriezeitalters, dass die steigende technische Durchdringung von Kultur und Gesellschaft nicht ausschließlich zu einem Zuwachs nüchterner Sachlichkeit geführt hat. Vielmehr ist auch eine Wiederverzauberung der Welt durch technische Artefakte und technische Visionen feststellbar, die gleichermaßen dystopische Schreckensszenarien wie auch utopische Befreiungsvisionen provozieren. Diese Ambivalenz von Technik findet sich auch im Ökologiediskurs. Jenseits von Extrempositionen, die einem vollständigen Ausstieg aus der technischen Zivilisation das Wort reden, wird auch hier weithin anerkannt, dass eine zukunftsfähige Gesellschaft nicht ohne Technik auskommen wird. Akzeptiert man dies,, bleibt die Frage: Welche Formen von Technik und Technikgebrauch eröffnen den Weg in eine nachhaltige Lebens- und Wirtschaftsweise – und welche Technikformen werden den Raubbau an der Natur weiter beschleunigen?

Eine bestechende Antwort auf diese Frage liefert der Beitrag von Wolfgang Neef. Sie besteht darin, einer auf Beschleunigung, Wachstum und Expansion zielenden Technik eine sanftere, sozial-ökologisch eingebettete und an „realen menschlichen Bedürfnissen“ orientierte Technik gegenüberzustellen. Sicher – die Technikutopien des Industriezeitalters haben die Dialektik der Aufklärung nicht mitgedacht, die blinden Flecken der instrumentellen Vernunft nicht reflektiert. Die einseitigen Wunschträume der industriellen Moderne, die Neef treffend dekonstruiert, substituiert er durch die Utopie einer ökologisch angemessenen Technik. Man kann sich dieser Technikutopie schwer entziehen, beschwört sie doch das Bild einer Gesellschaft, in der Technik wieder den Weg zurück zur Natur gefunden hat und nun mit ihr agiert, statt gegen sie gerichtet zu sein. Dem Leitbild einer offeneren, demokratischeren, gemeinschaftlicheren, heterarchischeren, ökologischeren Technik, welche die Komplexität von Natur und Gesellschaft nicht ignoriert sondern in sich aufnimmt, kann man nur aus ganzem Herzen zustimmen.

Demokratische Bedenken

Gleichwohl steht die Konstruktion des Gegensatzes von ökologischer und nicht-ökologischer Technik bei Neef auf einem brüchigem Fundament . Denn wer hat das Recht zu definieren und zu entscheiden, was die „realen menschlichen Bedürfnisse“ sind, was „Nutzen bringende und ökologisch verträgliche Technik“ ausmacht und was als überflüssiges „Technik-Spielzeug“ abzulehnen ist. Bei solchen Klassifizierungen schwingt ein ehernes Bild objektiver Vernunft mit, das mit multiperspektivischen, demokratischen Gesellschaften (die eine Vielzahl möglicher Rationalitäten kennen) schwer vereinbar ist. Es reproduziert sich hier ein Diskurs des ökologischen Besserwissens, der immer schon weiß, was wahrer Nutzen ist und was für Bedürfnisse Menschen haben (oder haben sollten). Dieser Diskurs läuft in Gefahr, ebenso simplifizierte, technokratische Antworten auf die komplexen Probleme zu erzeugen wie die technokratischen Steuerungsphantasmen, welche die Technikutopien der klassischen Industriegesellschaft beherrschten. Auf diese „autoritäre Versuchung der Ökologie“ hat jüngst Ralf Fücks (2013: 88) treffend hingewiesen und damit den Finger in eine offene Wunde der Ökologiebewegung gelegt.

Doch nicht nur aufgrund von demokratietheoretischen Überlegungen ist es problematisch, bestimmte Formen von Technik und Technikgebrauch allein deshalb abzulehnen, weil man in ihnen gegenwärtig nichts anderes erkennen mag als den Ausdruck einer „hypertrophen Materialisierung von Beschleunigungs- und Wachstumswahn“. Gerade die auf immerwährende Expansion abzielenden, dem Moorschen Gesetz der ständigen Leistungssteigerung verpflichteten Informationstechnologien (deren trügerische Versprechungen ja kaum zu bestreiten sind – Stichwort: papierloses Büro), sind ein treffendes Beispiel dafür, dass ‚unvernünftige‘ Spielereien durchaus zu ‚vernünftigen‘ Lösungen führen können – auch und gerade in ökologischer Hinsicht.

Das Unvernünftige kann vernünftig werden

Es gibt klare Fälle, in denen Technik kaum abschätzbare materielle Risiken für Mensch und Natur in sich birgt und bei denen das Vorsorgeprinzip eine plausible Handlungsorientierung liefert. Weitaus problematischer ist es gleichwohl, neue Technologien vorrangig deshalb abzulehnen, weil ihre imaginierten kulturellen Konsequenzen den eigenen, habituell eingeübten Deutungsmustern zuwiderlaufen. Letztere sind oft eher ein Ausdruck des Zeitgeistes als der Hinweis auf ein tatsächliches Gefährdungspotential. So liest man noch im Beschluss der 8. Bundesversammlung der Grünen aus dem Jahr 1985:

„Die weitere Einführung neuer IuK-Techniken muß solange mit dem Ziel eines Einführungstopps bekämpft werden, bis ihr gesellschaftlicher Nutzen und ihre soziale Unschädlichkeit von den Befürwortern eindeutig nachgewiesen sind. Jedoch auch schon eine spürbare Behinderung der Herrschenden bei der Computerisierung der Gesellschaft […] hilft Schaden abzuwenden und trägt zur Entwicklung von kritischem Bewußtsein und politischer Handlungsbereitschaft in der Bevölkerung bei“ (zit. nach Chaos Computer Club & Arbeitskreis Politischer Computereinsatz A-1).

Eine solche Haltung ist heute in der Ökologiebewegung nicht mehr mehrheitsfähig – hat doch gerade diese unvernünftige, durch Profitinteressen und nerdigen Spieltrieb vorangetriebene Computerisierung der Gesellschaft (neben all ihren Nebenfolgen, die man mit Recht kritisieren kann), emanzipative Bestrebungen eher befördert als blockiert, denn noch nie war es für Bürger*innen leichter, sich über Umweltprobleme zu informieren und auszutauschen. Zudem wurden durch das Internet erst die technischen Grundlagen für innovative ökologische Praktiken geschaffen, von denen man in den 1980er Jahren zwar träumen konnte, deren Realisierung in der Breite aber zuvor kaum machbar war: Eine Ökonomie des Teilens statt des Besitzens (und Wegwerfens) beginnt nun langsam von der Nische in den Mainstream zu wandern, da das Internet die Transaktionskosten für diese Praktiken signifikant verringert hat. Neue Modelle des Carsharing, des Roomsharing oder des Foodsharing, die zuvor kaum umsetzbar gewesen wären, gewinnen neue Dynamik. Die App „Whyown.it“ treibt dieses Prinzip des Teilens konzeptionell auf die Spitze: Jeder kann mit ihr seine Facebook-Kontakte darüber informieren, was er verleihen möchte und was er sich gerne ausborgen würde. Die Palette von Produkten, die man auf die eine oder die andere Weise markieren kann, ist praktisch grenzenlos. Es geht hier nicht darum, die Ambivalenzen der digitalen Revolution zu verleugnen. Das Internet hat positive wie negative Folgen. Interessant ist vielmehr, dass es Folgen hatte, die weder in den Utopien noch den Dystopien, die zu Beginn der IKT-Welle (Informations- und Kommunikationstechnik) populär waren, reflektiert wurden.

Auch das, was einst als „unvernünftig“ galt, kann zu einem späteren Zeitpunkt „vernünftige“ Lösungen ermöglichen, die vielleicht gar nicht intendiert waren. Technikentwicklung ähnelt in dieser Hinsicht der wissenschaftlichen Praxis: Die prinzipielle Offenheit der Forschung lässt es zu, dass ihr Nutzen sich erst im Nachhinein zeigt (i.Ü. eines der zentralen Argumente für die Freiheit der Wissenschaft und die bleibende Relevanz der Grundlagenforschung). Und auch wenn sich weder verleugnen noch verschweigen lässt, dass Technik auch Möglichkeitsräume verengen oder gar schließen kann, so hat jede neue Technologie doch zugleich das Potential, neue Möglichkeiten zu eröffnen, die zuvor nicht absehbar waren. Technik kann uns – ebenso wie Wissenschaft – ständig aufs Neue überraschen. Sie kann nicht nur negative Nebenfolgen nach sich ziehen, von denen man zuvor nichts wusste (und womöglich: gar nichts wissen konnte), sondern eben auch positive.

Imperativ für die Technikentwicklung

Das bedeutet nicht, dass man das Träumen von einer „anderen“ Technik aufgeben muss. Wir benötigen gewiss Utopien einer ökologischen Technik, doch diese sollten der Realität einer polyzentrischen, multiperspektiven und demokratischen Gesellschaft angemessen sein. Man mag an neue Technologien daher stets die Frage stellen, ob sie dem ethischen Imperativ entsprechen, den Heinz von Förster seinerzeit vor dem Hintergrund konstruktivistischer Überlegungen formuliert hat: „Handle stets so, daß Du die Anzahl der Möglichkeiten vergrößerst“ (von Foerster 1988: 51). Techniken, welche die Möglichkeiten des Erlebens und Handelns (auch für zukünftige Generationen und nicht-menschliche Lebewesen) eher erweitern als einengen (oder gar auf Null zu reduzieren – man denke an die Atombombe), wären aus dieser Perspektive Techniken, denen man Zukunftsfähigkeit attestieren kann.

Solche Techniken können jedoch – und dieser Punkt ist entscheidend – auch und gerade durch reines Wachstums-, Innovations-, Experimentier- und Profitstreben vorangetrieben werden. Kapitalistische Entstehungs- und Gebrauchskontexte machen eine Technik nicht zu einer per se unökologischen Technik. Problematisch ist ein Technikgebrauch aber ganz sicher dann, wenn durch ihn Möglichkeiten verschlossen statt eröffnet werden. Aus dieser Perspektive sind Neefs Bilder einer heterarchischen, demokratischen, dem Open-Source-Prinzip folgenden, dezentralen Technik in der Tat erstrebenswerte Visionen, eben weil sie mehr Zugangsmöglichkeiten, mehr Vielfalt und mehr Kreativität fördern und zulassen als monopolistisch kontrollierte, geschlossene und unflexible Systeme. Diese Bilder einer zukunftsfähigen Technik gilt es von den Versuchungen ökologischen Besserwissens zu entkoppeln. Diese Entkopplung könnte zugleich das Schmieden neuer Allianzen zwischen progressiven Technologieakteuren und ökologischen Visionären erleichtern.

Chaos Computer Club & Arbeitskreis Politischer Computereinsatz (1987): Trau keinem Computer, den du nicht (er)tragen kannst. Studie für den geplanten Computereinsatz der Fraktion ›Die Grünen‹ im Auftrag des Deutschen Bundestages. Lörbach

von Foerster, Heinz (1988): Abbau und Aufbau. In: Simon, Fritz B. (Hg.): Lebende Systeme. Wirklichkeitskonstruktionen in der systemischen Therapie. Heidelberg: Springer.

Fücks, Ralf (2013): Intelligent wachsen. Die grüne Revolution, Hanser: München.

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