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Was kommt nach dem Wachstum? Neues Forschungskolleg an der Universität Jena

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„Landnahme, Aktivierung und Beschleunigung“, so lauten die Leitkonzepte der Jenaer Professoren Klaus Dörre, Stephan Lessenich und Hartmut Rosa. Sie sollen der Soziologie zu einer Renaissance der Kritik der kapitalistischen Ökonomie – deren theoretische Neufundierung angesichts der sich verschärfenden ökonomisch-ökologischen Doppelkrise längst überfällig ist – verhelfen. Im Anschluss an die Veröffentlichung des diskursiv gestalteten Buches „Soziologie – Kapitalismus – Kritik“, welches die Komplementarität der drei Dynamisierungsprinzipien vorstellte, gelang es den drei Professoren mit Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft ein Forschungskolleg einzuwerben. Hier soll die Diskussion von Konzepten einer Postwachstumsgesellschaft im Mittelpunkt stehen.

Das Projekt ist auf vier (+ evtl. weitere vier) Jahre angelegt, wobei der Fokus in einem intensiven Austausch mit internationalen, renommierten Gastwissenschaftler_innen (fellows) auf der zentralen Forschungsfrage[1] liegt: Lassen sich moderne Gesellschaften auch anders als über wirtschaftliches Wachstum stabilisieren? Im turnusmäßigen Wechsel übernehmen die Antragsteller die Direktion des Kollegs. Die Geschäftsführung hat Michael Hofmann übernommen, neben ihm arbeiten zwei Postdocs und fünf Promovierende.

Die in regelmäßigen Abständen stattfindenden Kolloquien, Workshops und Tagungen bieten im durchaus kontrovers angelegten Austausch mit (außer-)europäischen Wissenschaftler_innen einen Diskussionsrahmen für die Forschungsthemen und -ergebnisse des Kollegs. Somit ist sichergestellt, dass das Jenaer Kolleg Postwachstumsgesellschaften keine Enklave auf der Landkarte der soziologischen Forschungsstandorte, keine selbstbezogene „Theoriebildungstätte“ wird. Die Chancen für den „universitären Sehnsuchtsort Jena“ auf eine Etablierung als „Gravitationszentrum“ einer reformulierten kritischen Soziologie stehen wahrlich nicht schlecht.

Um dieses Unterfangen zu strukturieren, werden alle zwei Jahre die Forschungsschwerpunkte vom Landnahmetheorem (Dörre) über die Untersuchung der Zeitstrukturen der Moderne (Rosa) bis zu der Fragestellung der Aktivierung (Lessenich) verlagert. Alle drei Konzepte beschreiben den Wachstumszwang und die Expansionslogik als strukturelle Bedingungen des Kapitalismus, die an ihre ökologischen wie auch ihre gesellschaftlichen Grenzen stoßen. In den letzten zwei Forschungsjahren ist vorgesehen, Möglichkeiten zur Überwindung der Wachstumsimperative und deren politische Konsequenzen zu diskutieren. Die an die Forschungsfragen anknüpfenden vier Metathemen[2] werden im Austausch mit internationalen Forscher_innen parallel zu diesen bearbeitet. Exemplarisch wird hier jenes umrissen, das aus der Fragestellung der Legitimation kapitalismuskritischer Betrachtung hervorgegangen ist: Fernab der rein soziologischen Analysen der kapitalistischen Eigenlogiken, der Frage inwieweit die demokratische Grundordnung in zukünftigen Postwachstums-gesellschaften „funktionieren“ kann und welche Auswirkungen langfristig stagnierende oder gar rezessive Wirtschaftsentwicklungen auf die Gesellschaftsstruktur haben werden, gibt es darüber hinaus eine nicht nur von Soziolog_innen zu bewerkstelligende Aufgabe: Die Bedingungen und Ursachen für das diffuse Verhallen, die Adressatenlosigkeit der Kritik – man denke nur an das jähe Ende der Occupy-Camps – zu ergründen und gleichermaßen das Aufnahme- und Verbreitungspotential unterschiedlichster gesellschaftlicher Orte und Akteure für alternative Entwicklungsmöglichkeiten abzuschätzen. Die zentral soziologische Fragestellung lautet: Wie kann alltagskritische und wissenschaftlich fundierte Gesellschaftskritik stärker aufeinander bezogen werden? Dies ist ein Forschungsfeld, das insbesondere die pragmatische Soziologie Kritik von Luc Boltanski untersucht.

Gerne sind Sie eingeladen unsere Forschungsarbeit über den Bezug unseres Newsletters oder über den gelegentlichen Besuch unserer Homepage zu verfolgen.


[1] Die zentrale Forschungsfrage ist hier auf den Seiten 5 – 7 nachzulesen.

[2] Die vier Metathemen sind hier auf S. 7 nachzulesen.

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