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Sand im Getriebe der Autoindustrie

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Das Automobil ist seit jeher stark symbolisch aufgeladen. Ob Freiheit, Abenteuer, Wohlstand oder Fortschrittlichkeit damit ausgedrückt werden soll, hängt vom jeweiligen Automobil ab und hat sich im Laufe der Zeit auch geändert, gerade durch die Kritik am Automobil. So wird in den letzten Jahrzehnten verstärkt die Sicherheit, zumindest der Fahrzeuginsassen, betont. Historisch folgte auf jede Welle der Autokritik eine Erneuerung seiner Hegemonie und eine noch stärkere Durchdringung der Gesellschaft durch das Automobil. Wird sich vor dem Hintergrund der aktuellen Kritik des Automobils, die seit dem Dieselskandal im Jahr 2015 an Fahrt aufgenommen hat, diese Geschichte wiederholen?

Die Automobilhersteller sind in der Klemme: Einerseits versuchen sie das bestehende Automobil und alle damit zusammenhängenden Investitionen so gut es geht weiter zu verwerten. Gleichwohl ist ihnen auch klar, dass der Verbrennungsmotor ein Auslaufmodell ist. Sie sind auf der Suche, nicht nur nach technologischen Weiterentwicklungen und Möglichkeiten, sich als Mobilitätsdienstleister zu profilieren (Mobility as a Service), sondern auch nach neuen symbolischen Aufladungen des Automobils. Die Automobilhersteller wollen das Auto zu einem „Third Living Space“, zu einem dritten Lebensbereich machen (neben der Wohnung und dem Arbeitsplatz). Wie kann das geschehen?

Da ist zum einen der Antriebswechsel weg vom Verbrennungsmotor hin zu elektrischen Antrieben. Auf der Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) im September dieses Jahres wurden wieder eine Vielzahl an neuen Modellen präsentiert. So stellte VW seinen ID. 3 vor, der im nächsten Jahr als erstes Auto der neuen „ID. Familie“ ausgeliefert werden soll. Auch Daimler und BMW haben avancierte Konzeptautos und wollen in den nächsten Jahren viele unterschiedliche Modelle auf den Markt bringen. Dass die E-Autos zwar im Betrieb weitgehend emissionsfrei sind, in der Herstellung aber gigantische Mengen an Ressourcen verbrauchen, ist hinlänglich bekannt. Vom weiter anwachsenden Stromverbrauch durch den Betrieb ganz zu schweigen. Doch das automobile Wachstumsparadigma wird auch durch immer neue Features auf die Spitze getrieben.

So werden die in den Autos integrierten Infotainment-Pakete immer ausgefeilter. VWs ID. etwa erkennt die Lieblingsmusik durch einen digitalen Schlüssel, der eine personalisierte Nutzung des Autos ermöglichen soll. Mercedes Benz verbaut in seinem elektrisch angetriebenen SUV Konzeptauto einen 24 Zoll großen Widescreen Display, der per touch selbst konfiguriert werden kann. Und BMW setzt nicht mehr auf Knöpfe, sondern will zukünftig die Bedienung des Autos über Sprache, Gesten und Berührungen ermöglichen.

Diese Entwicklungen deuten an, dass mit dem Ende des Verbrennungsmotors nicht das Ende des privaten Automobils mitsamt dem damit verbundenen Wachstum verbunden ist. Vielmehr bedarf es dazu einer Politisierung des Verkehrs und einer grundlegenden Infragestellung des Automobils. Bei der Internationalen Automobilausstellung (IAA) im September in Frankfurt am Main wurde genau dies von einem breiten zivilgesellschaftlichen Protestbündnis gemacht. Am Samstag, den 14. September fand eine Demonstration zur IAA statt, die von sieben großen Umwelt- und Verkehrsorganisationen getragen wurde. Für Sonntag, den 15. September rief das Bündnis „Sand im Getriebe“ zur Blockade der IAA auf.

Die zunehmende Kritik und Politisierung des Autos, etwa im Rahmen der IAA, eröffnet Perspektiven und Möglichkeitshorizonte für ein Verkehrssystem jenseits der (automobilen) Wachstumszwänge. Gleichwohl waren die Proteste gegen die IAA nur ein Schritt auf dem Weg hin zu einer breiteren Bewegung gegen das Auto, die auch stark an den Widersprüchen der automobilen Gesellschaft, also etwa den Zumutungen der autogerechten Stadt, ansetzen muss. Wie das geht, haben bereits viele Initiativen, wie etwa der Volksentscheid Fahrrad in Berlin oder diverse Bündnisse für einen beitragsfreien ÖPNV, gezeigt.

Tobias Haas arbeitet an der FU Berlin in einem Forschungsprojekt zur politischen Ökonomie der E-Mobilität. Darüber hinaus beschäftigt er sich am IASS mit dem Strukturwandel in der Lausitz und war im Sommersemester 2018 Fellow am Kolleg Postwachstumsgesellschaften an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. // Isabel Jürgens studiert Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeitet als studentische Hilfskraft in einem Forschungsprojekt zur politischen Ökonomie der Elektromobilität.

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