In dem Buch „Postwachstum und Gegen-Hegemonie“ legt Ulrich Brand neben einem aktuellen Beitrag zum „Corona-Kapitalismus“ eine Sammlung vormalig erschienener Aufsätze vor, die eine breite Palette sozialökologischer und internationaler Herausforderungen der Gegenwart thematisieren. Anleitend ist die herrschaftskritische Perspektive auf eine imperiale Lebensweise, in deren Kontext die jeweiligen Problemlagen und deren vorherrschenden Bewältigungsstrategien auftreten. Die imperiale Lebensweise reproduziert weltweit ein auf Macht, Ungleichheit und Ausbeutung basierendes System der Produktions-, Distributions- und Konsumnormen, und bringt dadurch gesellschaftliche Strukturen mit mehrheitsfähigen Alltagsüberzeugungen zur Deckung.
Die herrschaftskritische Perspektive beruft sich somit auf ein Machtverständnis, das die Zustimmung der Betroffenen als herrschaftskonstitutiv begreift. Damit stellt sich Brand explizit in die Tradition von Antonio Gramsci, der für diese Art des Herrschaftskonsenses den Begriff der Hegemonie prägte. Hegemonial sind zivilgesellschaftlich dominierende Vorstellungen über die Plausibilität und Selbstverständlichkeit herrschaftsförmiger Strukturen – wenn etwa partikulare Machtausübung als einem „Allgemeininteresse“ dienlich interpretiert wird oder schlicht als „normal“ erscheint. Irritationen der Hegemonie durch neue gesellschaftliche Herausforderungen sowie beharrlich sich fortsetzende Probleme erfordern kontinuierliche Überzeugungs- und Normalisierungsarbeit. Der Erhalt einer somit stets umkämpften hegemonialen Ordnung hängt dann von deren Selbsterneuerung ab, indem die herrschenden Kräfte Problemlösungen unter ihren Machtbedingungen überzeugend formulieren und anbieten können. Durch diese von Gramsci so genannten passiven Revolutionen werden alternative Deutungs- und Lösungsmuster zivilgesellschaftlich marginalisiert und aus dem Bereich des politisch Umsetzbaren ausgeschlossen. Der emanzipative Zielpunkt von Brands herrschaftskritischer Perspektive liegt darin, den passiven Revolutionen einen radikalen Reformismus entgegenzustellen. Dafür kommt es darauf an, in den gegenwärtigen Konflikten die marginalisierten Positionen als Elemente gegen-hegemonialer Strategien sichtbar zu machen und sie in ihrer progressiven Vielfalt auszuleuchten. Erst dadurch können tiefere Transformationspotenziale freigelegt werden, die alternative Spielräume zur imperialen Lebensweise in ihrer gegenwärtigen kapitalistischen Form eröffnen.
Diesen fruchtbaren Analyserahmen wendet Brand auf so verschiedene Bereiche wie die Klimapolitik oder linksgerichtete Sozialprogramme südamerikanischer Regierungsparteien an. Dabei wird ersichtlich, wie transformative Projekte hegemonial auf Spur gebracht werden, indem sie z.B. zunehmend auf technische Innovationen und wachsende Konsumoptionen setzen, aber vor Veränderungen vorherrschender Machtstrukturen und Lebensweisen zurückschrecken.
Dieses Buch ist weniger als eine detaillierte Analyse darüber zu verstehen, wie groß oder gering konkrete hegemoniale und gegen-hegemoniale Problemlösungskapazitäten im Vergleich sind; es liefert vielmehr kenntnisreichen Aufschluss dazu, wie plurale und mehrschichtige Ausrichtungen in verschiedenen Problemkontexten herrschaftsförmig abgebaut werden – auf Kosten emanzipativ-experimenteller Ansatzpunkte für soziale Veränderung.
Diese Rezension ist zuvor bereits in der ÖkologischesWirtschaften, Ausgabe 1 (2021) erschienen.