Als Studierende der Nachhaltigkeitswissenschaften erschien die IÖW/VÖW-Tagung “Ausgewachsen – Wirtschaften als gäbe es ein Morgen” am 23. November wie ein Lichtblick im Kontrast zum düsteren Reaktionismus der Alltagspolitik im Angesicht gegenwärtiger Krisen. Ein sich öffnender Raum, frei für Vision und Progressivität, gefüllt mit Menschen, die die Dringlichkeit der aktuellen Situation verstehen. Die Gemeinsamkeiten in der Betrachtung wurden schnell deutlich. Etwa sprach Ulrich Petschow in der eröffnenden Keynote von Polykrisen, die zusammengedacht werden müssen. Später brachte Matthias Schmelzer mit acht unterschiedlichen Wachstumskritiken die Unabdingbarkeit der Postwachstumsökonomie auf den Punkt. Die fehlgeleitete Nutzung des BIP als Wohlstandsindikator und die notwendige, aber nicht ausreichende Entkopplung des Wirtschaftswachstums von Ressourcennutzung standen ebenfalls kaum zur Debatte.
Vereint in der Anerkennung des Wachstumszwangs als gemeinsame Ursache sozialer und ökologischer Krisen rückten im Laufe der Konferenz die Fragen nach den Strategien in den Vordergrund. Und damit auch die Differenzen. Sollte die Radikalität der Postwachstums-Utopie oder ihre Anschlussfähigkeit priorisiert werden? Wie geht man die strategische Umsetzung an? Wie genau sieht das Ergebnis eines tiefgreifenden Systemwandels aus? Die Meinungen über diese Fragen gehen schnell auseinander und auch die auf der Konferenz angepriesene Bildung von Allianzen liefert sicherlich keine universelle Antwort. Insbesondere als Postwachstums-interessierte Studierende mit dem Wunsch nach systemischer Veränderung hat die Erkenntnis dieser Divergenzen einen ernüchternden Effekt. Die BUNDjugend-Vertreterin Marie-Luise Wahn sprach treffend von einer resultierenden Frustration, wenn trotz weitreichender Übereinstimmung in den Visionen doch so wenig Veränderung erkennbar ist. Doch brauchen wir eine vollständige Übereinstimmung? Was wäre, wenn wir uns auf die Gemeinsamkeiten fokussieren und gewisse Ambivalenzen innerhalb der Bewegung aushalten könnten?
Je besser wir Differenzen überwinden und unterschiedliche Meinungen nebeneinander bestehen lassen, desto stärker wird das Gemeinschaftsgefühl, das die Grundlage für jede weitere Strategie in Richtung Postwachstums-Utopie bietet. Wie eine solche Koexistenz funktionieren kann, skizzierte die PhD-Studentin und Autorin Verena Wolf mit den drei Arten von Transitionsstrategien aus ihrem Buch Degrowth & Strategy: Konfrontationen und Bruch mit sozialen Strukturen, bestehende institutionelle Formen innerhalb des Systems transformieren und neue Formen der sozialen Ermächtigung an den Rändern der kapitalistischen Gesellschaft aufbauen. Diese Ansätze sollten weniger im konkurrierenden Sinne, sondern viel mehr als komplementäre, sich ergänzende Strategien verstanden werden. Hierfür ist es wichtig sich mit gleichgesinnten Akteur*innen zu vernetzen, um gemeinsam ein kollektives Empowerment zu entwickeln.
Im Laufe der Veranstaltung kam die Frage im Publikum nach der Anwendung der Postwachstums-Idee auf. Der Tenor des Publikums kam immer wieder zurück auf die Fragen: „Was gibt es denn schon?“ und „Was bedeutet das für mich als…?“. Unter den Gästen war ein sehr großer Wille deutlich, Ideen in Taten umzusetzen. Vielleicht sollten wir genau diesen Mut und das Vertrauen mitnehmen im eigenen Möglichkeits-Rahmen anzufangen. Das sind die nächsten Schritte, die in einer Postwachstums-Debatte, die den Anschein erweckt, seit 50 Jahren stillzustehen, so wichtig sind.
Auch wenn wir uns persönlich danach gesehnt haben, durch die Konferenz eine klare Anweisung zu bekommen, gibt es nicht diese eine Postwachstums-Strategie, der wir folgen können. Aber vielleicht ist das Streben nach Postwachstum auch genau das: eine dynamische Gemeinschaft aus verschiedenen Initiativen und inspirierenden Persönlichkeiten, die während der ständigen Suche nach Alternativen bereits längst mit der Umsetzung angefangen haben.
Mit der Zeit wird sich dann hoffentlich die Verbundenheit innerhalb der Postwachstumsbewegung über die Wachstumskritik hinaus auf die Pluralität und Diversität von Beispielen erweitern, die sich unter einem Schirm vernetzen. Vielleicht hat die Konferenz genau das geschaffen: Einen Rahmen zu bieten für Akteur*innen, sich auszutauschen, Gemeinsamkeiten zu finden und sich darauffolgend in Allianzen zusammenzuschließen.
Klasse geschrieben und thematisch gut zusammengefasst!