Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) stellen in einem online-Seminar ihr Gutachten „Welt im Wandel – Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation“ vor.
Die 11 Lectures von etwa je 1,5 Stunden Dauer umfassen in der Regel je 2 Vorlesungen und ein Interview, alles in englischer Sprache. Sie werden von prominenten WissenschaftlerInnen vorgetragen, wie z.B. Hans Joachim Schellnhuber, Dirk Messner, Nebosja Nakicenovic oder Claus Leggewie.
Einige Lectures beziehen sich auf die „neue Wachstumsdebatte“, wenn auch in unterschiedlicher Weise und nicht immer explizit. Bei der „Großen Transformation“ gehe es, so Dirk Messner (DIE) in einem seiner beiden Vorträge, vor allem um Wachstum – im Gegensatz zur industriellen Revolution allerdings um „grünes Wachstum“, denn aus naturwissenschaftlichen Erkenntnissen lasse sich der Schluss ziehen, dass sich zukünftiges Wirtschaftswachstum innerhalb planetarer Umweltgrenzen und den Anforderungen des 2°C-Ziels bewegen muss. Auch Entwicklungs- und Schwellenländer sollten keine auf fossilen Energieträgern beruhende Entwicklungspfade einschlagen, da andernfalls das Risiko bestehe gefährliche Kipppunkte im Klimasystem zu erreichen. Dafür sind nach Dirk Messner globale Lösungen gefragt: neue Formen der Kooperation, sowohl zwischen Nord und Süd wie auch zwischen Entwicklungs- bzw. Schwellenländern.
Der vom WBGU vorgeschlagene „Gesellschaftsvertrag“, den das Gutachten zur Großen Transformation im Titel trägt, geht noch weiter. Er soll auf jeder Ebene wirksam sein – global, regional, national und individuell, als eine Art virtuelle Übereinkunft zwischen Staaten, Unternehmen, zivilgesellschaftlichen Akteuren und einzelnen Menschen, so zu handeln, dass sie die globalen Umweltgrenzen nicht verletzen bzw. die natürlichen Lebensgrundlagen für nachhaltige Generationen zu erhalten. Wenn man die Natur tatsächlich als einen absolut begrenzenden Faktor begreift, könne fortgesetzte Expansion nicht (mehr) das Ziel der menschlichen Handelns sein, so die bemerkenswerte Schlussfolgerung von Hans Joachim Schellnhuber, Vorsitzender des WBGU. In seinem Interview wirft er in einem Nebensatz hin, dass „Intrinsic Evolution“ (etwa: nach Innen gerichtete Verbesserung) ein neues Menschheitsziel werden sollte.
Doch selbst wenn eine Intrinsic Evolution realistisch sein sollte – ob damit eine ökologische Entkopplung verbunden wäre, sei mal dahingestellt – wird es für den Einzelnen doch zum Verzweifeln schwierig sein, diese zu erreichen. Vor allem wenn man an den persönlichen, sehr begrenzten Spielraum für Veränderungen, die Restriktionen des eigenen Vermögens und Wissens denkt.
Denn das eigene Leben und der Alltag geht ja normalerweise weiter, hervorragendes Gutachten hin, fesselnde online Lectures her. Am Ende des Tages, wird man einwenden, sind der Erhalt und die Steigerung von Arbeit und Einkommen in unserer Gesellschaft noch immer die wichtigsten gesellschaftlichen und persönlichen Ziele und sollen es, nach Meinung mancher, auch bleiben. Demgegenüber führt Claus Leggewie (KWI) in seinen Vorträgen und einem sehenswerten Interview aus, dass die sozialen Verhältnisse und das individuelle Verhalten sich aktuell im Wandel befinden. Die wissenschaftlichen Belege – dass wir nur begrenzte Ressourcen haben und dass mit der Transformation zur klimaverträglichen, nachhaltigen Gesellschaft nicht länger gewartet werden dürfe – reichten nach Claus Leggewie nicht aus. Die subjektive, menschliche, soziale Seite der Transformation sei wichtig. Sie führe sowohl zu einem gewissen Beharrungsmoment in Form von Gewohnheiten oder fehlender Langfristorientierung, aber eben auch zu Kreativität, neuen Werten und Lebensstilen. Vor allem „postmaterialistische“ Lebensstile, die auch innerhalb der eben genannten ökologischen Leitplanken funktionsfähig bleiben sollen, bezögen sich im Alltag auf Konzepte wie Zeitwohlstand, Selbermachen und Mäßigung. Auf einer übergeordneten Ebene trieben auch „Pioniere des Wandels“ wie Stadtinitiativen und die organisierte Zivilgesellschaft neue Konzepte des Lebens und des Wirtschaftens in ökologischen Grenzen voran.
Welche Erkenntnisse aus dem Gutachten und der Vorlesungsreihe können die Postwachstumsdiskussion bereichern? Da sind einerseits die neuen Rationalitäten, Narrative und Innovationen auf der Nischen-Ebene. Auf der anderen Seite stehen die Barrieren für eine große Transformation: technologische Pfadabhängigkeiten, die blockierten Verhandlungsprozesse auf internationaler Ebene, die Macht politischer Akteure, Verliererinteressen und der große Zeitdruck.
Die verschiedenen Nischenentwicklungen können sich zu einer umfassenden Transformation akkumulieren, so eine der zentralen Annahmen der Transitionsforschung. Wenn ich an die Transition Towns, urban Gardening Projekte in meiner Stadt oder auch an alternative Technikentwürfe denke, dann fällt mir auf, dass sie sich auf eine gemeinsame Referenz beziehen: die Suche und Entwicklung von Orten, in denen nach anderen Logiken gelebt und gearbeitet wird. Damit diese Ansätze von der Nische in die Breite getragen werden, müssten die Politik und Unternehmen aber auf diesen Zug aufspringen, was sie teilweise bereits tun.
Unter dem Namen „Virtuelle Akademie Nachhaltigkeit“ stehen die Vorlesungen kostenlos im Internet. Dieses Angebot richtet sich an Studierende aller Studiengänge und kann von Hochschulen im Bereich Studium Generale, offenes Studium oder Wahlpflichtbereich integriert werden. Nach einer bestandenen elektronischen Prüfung können Creditpoints erworben werden. Erste deutsche Universitäten haben das Lehrangebot bereits aufgegriffen.