Vom 21.-23. Mai 2015 fand an der Friedrich-Schiller Universität Jena die internationale Konferenz ‚Good Life beyond Growth‘ mit über 250 Teilnehmerinnen und Teilnehmern statt. Die Konferenz wurde vom Kolleg Postwachstumsgesellschaften an der Universität Jena und dem Max-Weber-Kolleg der Universität Erfurt gemeinsam organisiert. Drei Tage lang widmeten sich die Teilnehmer/innen der Konferenz den verschiedenen Aspekten eines ‚Guten Lebens‘ nach dem Wachstum und erörterten, ob und wie individuelle, soziale und politische Bedingungen für ein ‚Gutes Leben‘ identifizierbar seien.
Die Frage, wie ‚gutes Leben‘ in Anbetracht der ökonomischen und ökologischen Krisen der Gegenwart und einer allgemeineren Krise des Wachstumsparadigmas aussehen kann, beschäftigt seit geraumer Zeit u.a. Soziolog/innen, Philosoph/innen, Wirtschaftswissenschaftler/innen, Politolog/innen und Psycholog/innen. Die Konferenz versuchte, diese verschiedenen Stränge einer vielschichtigen Debatte an einen Ort zu versammeln. In einem interdisziplinären Dialog sollte diskutiert werden, was ein ‚gutes Leben‘ ausmacht, wo seine subjektiven und objektiven Grenzen liegen. Mit Hartmut Rosa (FSU Jena), Eva Illouz (Hebrew University Jerusalem), Tim Jackson (University of Surrey), Serge Latouche (Universität Paris-XI), Manfred Max-Neef (Universidad Austral de Chile) dikutierten renommierte Keynote Speaker, die in ihren Feldern die Debatte seit geraumer Zeit voran treiben.
Gutes Leben durch bewussten Weltbezug
In seinem Eröffnungsvortrag beleuchtete Hartmut Rosa zu Beginn das Konzept der dynamischen Stabilisierung: ein Merkmal moderner Gesellschaften sei es, dass sie nur durch beständiges Wachstum, Beschleunigung und Innovation überhaupt ihren Status Quo erhalten können. Rosa kommt zu dem Schluss, dass die heute geläufige Vorstellung eines ‚Guten Lebens‘ zumeist von der Menge an verfügbaren Ressourcen bestimmt sei und der daraus resultierende Wunsch nach einem ‚mehr‘ an Ressourcen den Wachstumsimperativen moderner Gesellschaften in die Hände spiele. Er macht sich dafür stark, die Idee des ‚guten Lebens‘ nicht mehr über die Menge der Optionen zu definieren, sondern vielmehr als eine Art und Weise, mit der Welt in Beziehung zu treten. Eine Möglichkeit einer positiven Weltbeziehung sieht Rosa in Resonanzverhältnissen in denen die miteinander in Beziehung tretenden Seiten sich mit je eigenen Stimmen in einen Austausch begäben. Das schließe weder Widersprüche noch Dissonanzen aus.
Keine zusätzliche Ungleichheit durch Wachstumsrücknahme
Daran anschließend widmeten sich Tim Jackson und Serge Latouche den theoretischen Grundlagen der Debatte. In seinem Vortrag ‘Prosperity and Sustainability – foundations for a post-growth society’ befasste sich Wirtschaftswissenschaftler Jackson mit der Frage, ob und wie Wohlergehen auch ohne Wachstum möglich sein kann. Er berichtete von seinen Forschungen mit Peter Victor zu Möglichkeiten eines Wandels hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft mit ‚grünen‘ Investitionen und einer nicht-wachsenden Wirtschaft. Ihre Modelle zeigten, dass verlangsamte Wachstumsraten nicht zwangsweise zu zunehmender Ungleichheit führen müssen, sondern dieser Entwicklung mit bestimmten Rahmenbedingungen entgegengewirkt werden kann. Ungleichheit nehme bei sinkenden Wachstumsraten nur dann zu, wenn Arbeit nicht ausreichend geschützt werde.
Wider eine materielle Definition von Glück
Serge Latouche, Professor in Paris und ein Veteran der Postwachstumsbewegung, erläuterte in seinem Vortrag „Du Bonheur au Buen vivir. Ou les mésaventures de la vie bonne entre modernité et décroissance“ den Bedeutungswandel, genauer genommen die Reduktion des Begriffs ‚bonheur‘. Er beschrieb, wie ‚Glück‘ und ‚Wohlergehen‘ in der Moderne zunehmend mit dem Besitz von materiellen Gütern und Konsum verbunden und dann in einem weiteren Schritt auf das Messbare reduziert wurde. So wäre das Bruttoinlandsprodukt zum Indikator für Wohlstand geworden. Ziel der décroissance sei es nun, von ‚Wohlstand‘ wieder zum ‚Glück‘ zu kommen. Latouche führt aus, dass ein möglicher neuer Weg aus dem Globalen Süden komme: verschiedene indigene Konzepte verwiesen auf ein ‚gutes Leben‘, das ‚ein rechtes Maß‘ wiederfinde und stark auf Gemeinschaft und Solidarität setze.
Das Menschenbild einer ökologischen Ökonomik
Den Freitag eröffnete Manfred Max-Neef mit einem Vortrag zu ‚A Philosophy of Ecological Economics‘. Ausgehend von der Einsicht, dass Menschen nur als Teil der Natur existieren und die Zerstörung der Natur auch die Zerstörung der Menschen bedeuten würde, fragt sich der Ansatz der ökologischen Ökonomik, wie die Wirtschaft sich ändern müsse, um Natur und Menschen zu schützen. Max-Neef führte aus, dass Mainstreamansätze in den Wirtschaftswissenschaften vernachlässigen, dass Menschen Gemeinschaft zum Leben benötigten. So sehe die neoklassische Ökonomie Solidarität als irrational an. Ecological Economics gehen dahingegen von einer Reihe notwendiger Veränderungen aus: die Idee des ‚economic man‘ (homo oeconomicus) solle sich zum ‚ecological man‘ wandeln, qualitative Entwicklung wird anstelle des quantitativen Wachstums in den Mittelpunkt gestellt und basisdemokratische, kooperative und lokale Entscheidungsfindungen gestärkt.
Gute Arbeit in einer Postwachstumsgesellschaft
Am Freitagabend diskutierten Klaus Dörre, Nicole Mayer-Ahuja und Hartmut Rosa unter der Moderation von Stephan Lessenich darüber, wie Konzepte einer ‚guten Arbeit‘ aussehen könnten. Nicole Mayer-Ahuja skizzierte in ihrem Input zu Beginn, wie gute Arbeit in der Wachstumsgesellschaft verstanden wurde: in der Mehrheit als Normalarbeitsverhältnis, dass vor allem für Männer stabile und existenzsichernde Jobs und Konsummöglichkeiten bedeutete und Frauen Freiräume für Kindererziehung, Hausarbeit und pflegende Aufgaben einräumte. Nach 1970 kam es zu einer Erosion des Normalarbeitsverhältnisses, das gleichzeitig von linker Seite als disziplinierend und diskriminierend kritisiert wurde – eine Kritik, die sich laut Mayer-Ahuja zumindest in Teilen mit neoliberaler Kritik deckte. Heute wirke aus Mayer-Ahujas Sicht das Wachstum fort, Arbeitnehmer/innen bekommen davon aber immer weniger ab, Umverteilung würde ersetzt durch neue Polarisierung von Einkommen und Vermögen. Als ein Ergebnis würden Arbeit und Leben heute oft als getrennte Sphären diskutiert, die nachträglich wieder zusammengebracht werden müssten (work-life-balance). ‚Gutes Leben‘ finde jenseits der Arbeit statt. Zum Abschluss führt Mayer-Ahuja aus, wie künftige Debatten um gutes Leben und Arbeit aussehen könnten: als eine Möglichkeit sieht sie eine neue Debatte über Qualität in der Arbeit und ein ‚neues Normalarbeitsverhältnis‘.
Romantische Liebe als Element des ‚Guten Lebens‘?
Der Samstag begann mit zwei Sessions zu Fragen des Wohlfahrtsstaats auf der einen und subjektiven Grenzen des Wachstums auf der anderen Seite, bevor Eva Illouz mit ihrem Vortrag ‚Is Love still a part of the Good Life?‘ mit einem nochmaligen Blick auf die subjektiven Dimensionen den Schlusspunkt der Konferenz setze, der natürlich kein Schlusspunkt der Diskussion ist.
Um die Frage, ob die Idee der romantischen Liebe noch ein Teil des ‚Guten Lebens‘ ist, zu beantworten, zeichnete Illouz zu Beginn ihres Vortrages die Entwicklung der Idee der romantischen Liebe in der Moderne nach. Laut Illouz bekam Liebe zum einen einen größeren Stellenwert innerhalb der eigenen Persönlichkeit als säkularisierte Version der Liebe zu Gott, zum anderen wurde Liebe ein immer wichtigerer Teil der eigenen Autonomie – die Menschen kamen zunehmend zu der Überzeugung, dass sie selbst, und nicht die Eltern oder die Gemeinschaft, über ihre Gefühle bestimmten. In einem zweiten Schritt hätte sich Liebe zunehmend mit Glück und Zufriedenheit verbunden und wäre zu einem Hauptbestandteil von Lebenszufriedenheit geworden. Illouz konstatiert, dass die Liebe eine Verbindung mit dem Kapitalismus eingegangen wäre, die es aus ihrer Sicht es immer schwieriger macht, diese Versprechen auch tatsächlich einzulösen. Die Sexualisierung zwischengeschlechtlicher Beziehungen hätte dazu geführt, dass sich eine neue Art sozialer Beziehung herausgebildet hat, die nicht nur neue Felder ökonomischer Interessen wie Mode, Kosmetik, Pornografie oder kosmetische Medizin mit sich gebracht hätte, sondern auch zu einer Loslösung der Idee der Liebe von moralischen und sozialen Netzwerken, quasi eine Deregulierung, zur Folge gehabt habe. Damit habe sich eine Entwicklung – parallel zur Deregulierung wirtschaftlicher und anderer sozialer Beziehungen – eingestellt, die zum einen eine Vergrößerung des Felds der möglichen Partner/innen bewirkt und einen neuen Wettbewerb hervorgerufen habe, als auch Beziehungen insgesamt beschleunigt und deren Zahl erhöht habe. Daraus folgerte Illouz, dass die sozialen Rahmenbedingungen immer weniger förderlich für die alte Idee der romatischen Liebe würden und Liebe in dieser Form so nicht mehr Teil des Guten Lebens sein werde, sondern neu diskutiert und imaginiert werden müsse.
Auch wenn viele Fragen nur in Ansätzen diskutiert werden konnten, bot die Konferenz für viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer eine Vielzahl von Anregungen, Denkanstößen und Ideen, die sicher auf die ein oder andere Weise weiterverfolgt werden und die auch die Forscher/innen des Kollegs weiterverfolgen werden.
Die Aspekte Solidarität und Beziehung sind mir die wichtigsten und wären es wert, vertieft zu werden.
Die anderen Inhalte waren mir in Ihrer Grundsätzlichkeit zu abstrakt bzw. die Abwehr gegenüber dem Materialismus nicht konstruktiv.
Vermisst habe ich die Aspekte des Wirtschaften zur Sicherung von Lebensunterhalt und Überfluss. Eine Beschäftigung mit diesen Grundbedürfnissen fehlt.