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Klimawahl von rechts

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Was der Ausgang der Wahl in Thüringen für die Klima- und Umweltbewegungen bedeutet

 

Die Landtagswahlen in Ostdeutschland sind vorbei – und gerade das Thüringer Ergebnis sollte Menschen in der Klimabewegung wie im Postwachstumsspektrum ernsthaft zu denken geben. Fridays for Future hatten die Wahl ja im Vorfeld optimistisch zur „Klimawahl“ erklärt – und es ist zu befürchten, dass sie genau das auch war, nur eben nicht im von der Bewegung erwünschten Sinne. Vielmehr gibt Thüringen ein Beispiel dafür ab, wie eine Klimawahl eben auch ausgehen kann – und in Zukunft voraussichtlich auch nicht selten ausgehen wird: Als ein Sieg der (offenen oder unterschwelligen, ideologisch überzeugten oder passiv-bequemen) Abwehr jeder wirksamen Klimapolitik. Im Ergebnis verlor die klimapolitisch ambitionierte rot-rot-grüne Landesregierung ihre Mehrheit, und die mehr oder minder aggressiv gegen die Energiewende und das Thüringer Klimagesetz argumentierenden Parteien CDU, FDP und AfD errangen zusammen über die Hälfte der Stimmen. So unangenehm es ist: Klima- und Postwachstumsbewegte sollten sich die Hintergründe dieses Wahlergebnisses genau ansehen, um zu verstehen, woher die hier zutage tretenden Widerstände gegen eine effektive Klimapolitik kommen und was daraus für die eigene Praxis folgt.

Gegen den Strukturwandel

Anders als Sachsen und Brandenburg ist Thüringen kein „Kohleland“: Die Energiewende wird hier nicht auf unausweichliche Abwicklung einer industriellen Leitbranche hinauslaufen. Das tat der Unterstützung für die aggressiv energiewendefeindliche AfD keinen Abbruch – argumentiert wurde dann eben mit der möglichen Gefährdung von Arbeitsplätzen in der Kfz-Zulieferindustrie und, wichtiger noch, mit der Ablehnung des Ausbaus der Windkraft als eines in der Landschaft sichtbaren Zeichens des Strukturwandels. Daran wird erkennbar, dass es nicht in erster Linie konkrete wirtschaftliche Ängste sind, die Menschen zur Wahl von Parteien bewegen, die Klimapolitik ablehnen oder bei diesem Thema bremsen wollen, sondern häufig eine grundsätzlichere, tief verankerte Ablehnung der mit der Dekarbonisierung der Gesellschaft notwendig verbundenen Veränderungen.

Lediglich 10 % der am Wahltag befragten Wähler:innen gaben an, Klima und Umwelt seien für sie das wichtigste Thema gewesen – sie wählten fast ausschließlich die Grünen oder eine der beiden anderen Regierungsparteien. Viel größer aber waren die Anteile derer, die sich für Klimafragen und ökologische Gerechtigkeit schlicht nicht interessierten oder gar jede Beschäftigung damit ausdrücklich ablehnten. Dass solche Haltungen in Thüringen durchaus stärker vorhanden sind als in manch anderem Bundesland, konnten Interessierte anhand der starken lokalen Widerstände gegen den Ausbau der Windkraft schon seit längerem wissen, und die Parteien gaben sich im Wahlkampf Mühe, hieraus politisches Kapital zu schlagen. So firmierte etwa bei der FDP : „Keine Windkraft im Wald“ als eine von fünf Kernforderungen – gerichtet gegen die Überlegung, auf Waldflächen, auf denen infolge von Borkenkäferbefall und klimawandelbedingter Bodentrockenheit die Bäume absterben, Windräder errichten zu lassen. Auch die CDU sprang mit einem Plakatmotiv gegen „Windkraft-Wahnsinn“ auf den Zug auf. Am offensten und drastischsten aber wandte sich die bei der Wahl zur zweitstärksten Kraft angewachsene AfD gegen jede Form einer wirksamen Klimapolitik – und zwar nicht aus Opportunismus, sondern aus ideologischer Überzeugung. Auch wenn das Thema sicher nicht das einzige oder wichtigste hinter dem Wahlerfolg dieser autoritär-nationalistischen Partei war: immerhin knapp 40 % ihrer Wähler:innen nannten es als Grund für ihre Wahlentscheidung. Insofern ist es zumindest einer der Faktoren, die für den rot-rot-grünen Mehrheitsverlust und die Stimmengewinne der AfD eine Rolle spielten.

Die AfD: Neues Sammelbecken der Klimaverweigerung

Dies ist kein Zufall, und es droht uns künftig in zunehmender Schärfe häufiger zu begegnen. Eine eingehende Analyse des AfD-Wahlprogramms zeigt: Das Thema Klima und vor allem die aggressive Ablehnung der Energiewende entwickeln sich gerade zu einem zweiten ideologischen Grundpfeiler der AfD-Programmatik, neben der weiterhin zentralen rassistischen Polemik gegen Zuwanderung. Die Argumentation hält sich dabei an das inzwischen etablierte neue Standardframing der AfD zum Thema: Das Klima wandle sich zwar, habe das aber schon immer getan, ein menschlicher Einfluss darauf sei nicht nachgewiesen. Die geplanten oder eingeleiteten klimapolitischen Schritte seien „gegen unsere Interessen gerichtet“ und schädigten Thüringen, weil sie zum Wegfall von Arbeitsplätzen in der Kfz- und Zulieferindustrie führen würden. Jede Klimaschutzpolitik sei ökonomisch schädlich, unnütz und müsse beendet werden, nötig seien lediglich Anpassungsmaßnahmen wie Bewässerung, Hochwasserschutz, Waldumbau und Klimatisierung öffentlicher Gebäude.

Die schärfste Polemik aber richtet sich gegen die Energiewende, die als „ideologisch motivierte Umverteilung von den einkommensschwachen Bevölkerungsschichten zu vermögenden Investoren“ dargestellt wird. Es wird an eine kurzsichtig-egoistische Orientierung am eigenen Vorteil appelliert: Dorfbewohner:innen wird unveränderter Erhalt der gewohnten Landschaft, Steuerzahler:innen Ökosteuer-Abschaffung sowie Vermeidung eines CO2-Preises und Selbständigen die Beseitigung bürokratischer Auflagen versprochen. Zudem werden mit antisemitischem Unterton „exportorientierte Konzerne und die grenzüberschreitende (Finanz-)Wirtschaft“ als angeblich hinter jedem Ausbau der Erneuerbaren stehende gemeinsame Gegner ausgemacht.

Als  Lösung wird dagegen ein „Zurück“ zur „zuverlässigen, sicheren und preisgünstigen Energieversorgung“ der Vergangenheit gefordert – wenn auch nicht wie ehedem mit Kohle, sondern primär mit Gas aus Russland. Erneuerbare Energien will die AfD zwar nicht prinzipiell zurückbauen, aber durch Streichung von Fördermitteln sowie zusätzliche bürokratische Vorschriften ökonomisch unattraktiver machen. Neue Stromtrassen sollen gar nicht gebaut, Überspannungen durch Zwangsabschaltung von Windkraftanlagen verhindert werden. Speichertechnologien seien ineffizient und zu teuer, gefördert werden sollten entsprechende Firmen nur, wenn dies neue Arbeitsplätze bringe. Überhaupt schütze die Energiewende gar nicht die Umwelt, weil Wald abgeholzt werde, Vögel von Windrädern getötet würden, Mais- und Rapsmonokulturen die Artenvielfalt reduzierten und seltene Erden „unter schlimmsten Umweltfreveln mit Kinderarbeit in afrikanischen Minen gefördert werden“ – ein durchaus bemerkenswertes Argument von einer Partei, die bei jeder anderen Gelegenheit die Externalisierung ökologischer und sozialer Kosten der eigenen Lebensweise mit allen Mitteln verteidigen will. Dies kommt auch in der Aussage zum Ausdruck, wirksamen Umweltschutz könne man am besten erreichen, indem man arme Länder durch bedingungsgebundene Entwicklungshilfe dazu zwinge. Energie, so das letztendliche Versprechen, solle auch in Zukunft so einfach und billig verfügbar sein wie bisher, und alle damit verbundenen Lasten sollen ausschließlich Andere und die Umwelt tragen.

Diese Programmatik appelliert an den unbedingten Willen, jede Veränderung am eigenen Leben abzuwehren. Dieser äußert sich bei AfD-Wähler:innen unter anderem darin, dass sie zu 83 % der Aussage zustimmen, sie hätten Angst, „dass sich unser Leben in Deutschland zu stark verändert“. Mit dieser grundsätzlichen Abneigung gegen Veränderung stehen sie gegen die Anhänger:innen aller anderen Parteien, die dies jeweils zu rund zwei Dritteln verneinen. Sorgen um die Folgen des Klimawandels machen sich dagegen nur 55 % der AfD-Wähler:innen. Hierin ähneln sie den CDU-Wähler:innen, die dies ebenfalls ‚nur‘ zu 58 % angeben – beide Gruppen unterscheiden sich aber deutlich von den Anhänger:innen der drei Regierungsparteien, die zu mindestens 70 % die Folgen des Klimawandels fürchten.

Kurzum: Es mag nicht mehr ganz angemessen sein, die AfD als Partei der Klimaleugnung zu bezeichnen – geleugnet wird ‚nur‘ noch die Menschengemachtheit der Klimakrise –, sie ist aber ganz klar ein Sammelbecken der aggressiven Klimaverweigerung. In Sachen Klima ist sie unter keinen Umständen eine irgendwie geartete Verbündete, sondern die derzeit härteste politische Gegnerin, gegen die jede wirksame Regelung wird durchgesetzt werden müssen.

Klimabewegung in der Defensive

Leider sind die durch das Wahlergebnis offenbarten Widerstände gegen die Klimapolitik der Landesregierung nicht auf die harte Opposition des AfD-Dunstkreises zu reduzieren. Viele der eben genannten Programmpunkte finden sich in abgeschwächter Form auch im Programm der FDP und teilweise auch der CDU – und beide Parteien bedienten hiermit verbreitete Einstellungen ihrer Wähler:innenschaft. In den Wahlprogrammen nuanciert sich das: Die CDU bekennt sich grundsätzlich zu den Pariser Klimazielen sowie der Politik der Bundesregierung und hält mit ihrem Plädoyer für „Anreize“ statt verbindlicher Regeln und für einen „interessengerechten Klimaschutz“ eher Hintertürchen für die Aufweichung dieser Verpflichtung offen. Bei der Thüringer FDP dagegen ist die Anerkennung der Wichtigkeit des Themas eher als Lippenbekenntnis zu werten – nicht nur werden alle möglichen Gesichtspunkte als potentiell wichtiger gegen den Klimaschutz in Stellung gebracht, es wird auch der Kohleausstieg 2038 abgelehnt und das verbreitete Narrativ, dass Deutschland allein nichts ausrichten könne, bedient, um – versteckt hinter der Ablehnung eines angeblichen „Klimanationalismus“ – eben jene nationalistische Auslagerung der Reduktionslasten zu vertreten, die auch die AfD verspricht.

Dass sie damit den Geschmack vieler Wähler:innen offenbar getroffen haben, zeigt sich neben dem Wahlergebnis auch an der sehr kritischen Sicht einer deutlichen Mehrheit der Thüringer Wahlbevölkerung auf die Grünen. Dieser Partei, der ja aus der Klimabewegung heraus oft vorgehalten wird, klimapolitisch zu zaghaft zu sein, werfen zwei Drittel der Befragten vor, sie sei mit ihren Ansätzen zu radikal, übertreibe es mit dem Umwelt- und Klimaschutz und kümmere sich zu wenig um Wirtschaft und Arbeitsplätze. Sprich: Zwei von drei Thüringer Wähler:innen sind entweder ausdrücklich gegen Klimapolitik und Energiewende – oder sie ordnen sie einer politischen Prioritätensetzung unter, der zufolge erst einmal Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze gesichert sein müssten, ehe man über das Klima reden könne. Abweichend von der ideologischen Ablehnungshaltung der AfD-Klientel ist diese Form des Umgangs mit dem Thema, die eher auf eine Art de-facto-Verweigerung hinausläuft, eher typisch für CDU-Wähler:innen, die ihre Wahlentscheidungen zu einem besonders hohen Maß mit der dieser Partei zugeschriebenen Kompetenz für Wirtschaft und Arbeitsplätze begründen. Es handelt sich hier immerhin nicht um eine grundsätzliche, prinzipielle Ablehnung von Klimapolitik, wohl aber um die Entscheidung für ein Festhalten an der hergebrachten Logik eines wachstumsfixierten Wirtschaftssystems.

Dass damit auch eine weitgehende Verweigerung gegen ein Nachdenken über notwendige Veränderungen in der eigenen Lebenspraxis einhergeht, ist daran erkennbar, dass 59 % aller Befragten zudem meinen, die Grünen „wollen uns vorschreiben, wie wir zu leben haben“.

Die bittere Erkenntnis aus dem Wahlabend ist: In Thüringen – wie auch sonst in weiten Teilen Ostdeutschlands – sind Fridays for Future und andere Strömungen der Klima- und Postwachstumsbewegungen eine kleine Avantgarde, die zwar in ganz bestimmten – städtischen, bildungsnahen – Milieus sehr mobilisierungsstark ist, darüber hinaus aber kaum das Bewusstsein der Leute erreicht. Schlimmer noch: Da, wo ihre Anliegen in der Breite der Thüringer Bevölkerung wahrgenommen werden, werden sie von deutlichen Mehrheiten als Bevormundung und als übertriebene Panikmache erlebt. Die AfD schürt diese Stimmung gezielt, um Menschen auch über dieses Thema für ihre autoritäre und antidemokratische Politik zu gewinnen, und auch CDU und FDP bedienen die Wünsche der Mehrheit, mit Veränderungen möglichst in Ruhe gelassen zu werden.

Klimapolitisch engagierte Gruppen haben schon in den Wochen und Monaten vor der Wahl immer wieder zusammen mit Teilen der außerparlamentarischen Linken gegen die Politik insbesondere der AfD demonstriert. Angesichts der sich verschärfenden Stimmung im Land wird diese Zusammenarbeit für beide Seiten in den kommenden Monaten, und wohl auch Jahren, immer wichtiger werden. Beide Seiten, das deutet sich bereits an, werden verstärkt nicht nur politischen, sondern auch körperlichen Angriffen ausgesetzt sein, und es wird nötig sein, sich solidarisch gegenseitig zu unterstützen. Das verlangt einerseits, sich deutlich zu positionieren und einer klareren politischen Verortung nicht länger auszuweichen. Andererseits sollte, wer noch immer unterstellen zu müssen meint, es könne „Anschlussfähigkeiten“ zwischen der Öko-Szene und einer Partei wie der Thüringer AfD geben, mal in deren Programm blicken, um diese abwegige Vorstellung zu korrigieren. In der Tat könnte kaum deutlicher sein: Wer Klimagerechtigkeit will, wird sich in den kommenden Jahren auch antifaschistisch betätigen müssen.

Dr. Dennis Eversberg hat Soziologie, Sozialpsychologie, Politik- und Rechtswissenschaften studiert. 2013 promovierte er zum Thema „Dividuell aktiviert. Zur dividualisierenden Dynamik 'aktivierender' Arbeitsmarktpolitik und ihren subjektiven Auswirkungen am Beispiel von Jugendlichen in einer Pilotmaßnahme". Von 2012-2018 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am DFG-Kolleg Postwachstumsgesellschaften der Friedrich-Schiller-Universität Jena und forschte unter anderem zur Degrowth-Bewegung. Ab 1.3.2019 leitet er die Nachwuchsgruppe "Mentalitäten im Fluss. Vorstellungswelten in modernen bio-kreislaufbasierten Gesellschaften" am Institut für Soziologie der FSU Jena.

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