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Postwachstum im Aufwind?

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„Dieses Denken vom Wachstum hier, überall und in jeder Bevölkerungsgruppe, beruht darauf, dass es als politisch nicht durchsetzbar oder auch nur denkbar gilt, dass jemand etwas von dem wieder abgibt, was er oder sie schon hat. Das ist für mich die allergrößte Lüge in der gesamten Nachhaltigkeitsdebatte, die heilige Kuh, die sich auch in den internationalen Deklarationen so findet: Alle müssen immer mehr bekommen – die ärmeren Leute dann eben verhältnismäßig schneller.“

Wer die heilige Kuh, das Wirtschaftswachstum, anfasst, so Maja Göpel im Interview in der taz, muss damit rechnen, als „Ökostasi“ denunziert zu werden, wie es neulich Niko Paech durch die BILD geschehen sei. Doch anstatt die ständige Steigerung unberührt im Raum stehen zu lassen, sollten wir die Versorgungssicherheit des implizit immer Wachsenden hinterfragen: Kann es von allem wirklich immer mehr geben? Das sehr lesenswerte Interview mit Maja Göpel spannt einen Bogen von den „Ökos“ in Woodstock über die Veröffentlichung des Buchs „Grenzen des Wachstums“ von 1972 hin zur Fridays for Future-Bewegung und aktuellen Fragen wie die nach der Vereinbarkeit von Nachhaltigkeit und Digitalisierung oder die Frage danach, wie radikal Protest sein darf oder muss, um einen Wandel zu bewirken.

Die letzten Monate haben einige Anlässe mit sich gebracht, die „heilige Kuh“ dann doch zu berühren. Der prominenteste davon war wohl die Rede Greta Thunbergs auf dem UN-Klimagipfel: „Wir stehen am Anfang eines Massenaussterbens, und alles, worüber ihr reden könnt, ist Geld und die Märchen von einem für immer anhaltenden wirtschaftlichen Wachstum.“

Diese prominente Platzierung der Wachstumsfrage hat sicherlich unter anderem dazu beigetragen, dass im September die Degrowth-Aktivistin Nina Treu vom Konzeptwerk Neue Ökonomie zum Thema „Abschwung, Jobs und Klimarettung – riskieren wir unseren Wohlstand?“ bei Maybrit Illner eingeladen war und dort eine Gegenperspektive zum Wachstumsglauben der übrigen Anwesenden eröffnete.

Eine weitere Äußerung zur Wachstumsdebatte von prominenter Seite kam im September von Klimaforscher Johan Rockström. Jason Hickel twitterte am 26. September: „Something significant has happened. Prof Johan Rockström, one of the world’s leading sustainability scientists, has publicly reversed his position on „green growth“ and now acknowledges that high-income nations must abandon growth as an objective to avoid ecological collapse.“ Rockström kommentierte: „Just to qualify this. I do not question green growth. I merely make the point that we have no real world evidence of absolute decoupling at scale. As developing countries will need growth Rich [sic!] nations must recognise the need to rethink development given the global urgency we face“

Angefasst hat er die heilige Kuh damit wohl noch nicht – aber zumindest sichtbar gemacht. Auch im deutschsprachigen Raum brach die öffentliche Debatte um die Wachstumsfrage nicht ab. Hans-Jürgen Urban, Mitglied im geschäftsführenden Vorstand von IG Metall, fordert in der Frankfurter Rundschau ein „zukunftstaugliches Wirtschaftsmodell“, das nicht mehr „Wachstum auf Teufel komm raus“ betreiben solle, sondern nur noch in Bereichen wachsen, in denen es gesellschaftlichen Nutzen bringt und die Natur nicht überfordert.

Auch die Konferenz „Great Transformation: Die Zukunft modernder Gesellschaften“ in Jena hat in den letzten Wochen für mediale Aufmerksamkeit gesorgt. Wer über den Blog Postwachstum hinaus Veranstaltungsberichte dazu lesen möchte, der/m seien die „Jenaer Splitter“ auf dem sozialwissenschaftlichen Nachrichtenportal Soziopolis empfohlen.

Einen recht grundsätzlichen Überblick über die (Post-) Wachstumsdebatte bietet der Beitrag „Grünes Wachstum oder Verzicht – wie retten wir die Welt?“ von Kristin Langen bei Deutschlandfunk Kultur.

Inhaltlich besonders spannend sind die Artikel der Economists for Future im Online-Magazin für Wirtschaftspolitik Makronom, u. a. mit Beiträgen von Eugen Pissarskoi und Katharina Keil und Max Wilken.

Max Pieper kommentiert unter dem Titel „Vom Wachstum des Nutzlosen“ in der Wochenzeitung der Freitag die „Nutzlosigkeit der Komplexität“, die letztendlich nur Wachstum zulasse. Und Karin Bauer fordert in einer Kolumne in Der Standard, dass der Diskurs um Erwerbsarbeit, Einkommen und Degrowth geführt werden müsse: „Wer traut sich?“

An diese Debatte herangetraut haben sich die Herausgeberinnen Irmi Seidl und Angelika Zahrnt mit ihrem Buch „Tätigsein in der Postwachstumsgesellschaft“. In einem Artikel im Tagesspiegel unter dem Titel „Deutschlands führende Ökonomen fordern Wachstumsverzicht“ kommentiert Angelika Zahrnt: „Es geht um die Frage, was Priorität hat: Wachstum von Gütern und Dienstleistungen der Arbeitsplätze wegen, verbunden mit weiterer Umweltbelastung – oder die Einhaltung der planetaren Grenzen, auch wenn dies die Wirtschaftsleistung senken könnte und einen Umbau unserer Arbeitswelt verlangt“.

Die heilige Kuh des Glaubens an das Wirtschaftswachstum als Allheilmittel gegen jegliche gesellschaftliche Probleme – sie wird also durchaus immer wieder berührt. Vielleicht lässt sie sich ja eines Tages doch noch zähmen.

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