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Gesellschaft in der säkularen Stagnation

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Die langfristigen Wachstumsaussichten der Weltwirtschaft trüben sich ein. Eine lang anhaltende Phase der wirtschaftlichen Stagnation mit minimalem oder ganz ausbleibendem Wirtschaftswachstum scheint nicht ausgeschlossen. In akademischen Kreisen der Mainstream-Ökonomik wird diese anhaltende Wachstumsschwäche unter dem Stichwort der säkularen Stagnation diskutiert.

Auch Irmi Seidl und Angelika Zahrnt verweisen in ihrem Blogbeitrag auf diese Debatte und diskutieren Implikationen für den Postwachstumsdiskurs.

Das RWI hat zusammen mit dem IW Köln Consult im Auftrag der Industriellenvereinigung Österreich im vergangenen Jahr eine Studie erstellt, die sich ebenfalls mit dem Thema der säkularen Stagnation befasst. Darin werden (1) Begründungsmuster für ein mögliches Minimalwachstumsszenario zusammengestellt, (2) dessen Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft analysiert und (3) Handlungsoptionen vorgestellt, wie auf ein solches Szenario reagiert werden kann.

Ursachen von Minimalwachstum

In der ökonomischen Fachliteratur wird eine Vielzahl von Begründungsmustern für ein Niedrigwachstumsszenario diskutiert, die sich entweder auf der Angebots- oder der Nachfrageseite verorten lassen. Die angebotsorientierten Begründungsmuster basieren im Kern auf der Befürchtung, dass zukünftige Produktionsmöglichkeiten weit weniger dynamisch wachsen werden, weil sich die Verfügbarkeit der nötigen Produktionsfaktoren verschiebt oder weil schlicht die Produktivitätsfortschritte nachlassen. Beispiele hierfür sind der demografische Wandel, der zu einem Rückgang der Erwerbspersonen führt, oder die Sorge, dass neue Innovationen nur noch geringe Steigerungen der Arbeitsproduktivität bewirken könnten. Im Gegensatz dazu erwarten Verfechter/innen der nachfrageorientierten Begründungsmuster eine nachhaltige Schwäche der weltweiten Güternachfrage, weil strukturelle Trends, insbesondere in großen Schwellenländern wie China, zu immer mehr Ersparnissen führen, ohne zugleich adäquate Investitionsmöglichkeiten zu eröffnen. Dieses Szenario wird u.a. mit sinkenden Preisen für Ausrüstungsinvestitionen oder einer geringen Kapitalintensität der neuen, internetbasierten Dienstleistungen begründet.

Strategien im Umgang mit Minimalwachstum

Die zentrale Herausforderung im Umgang mit Minimalwachstum ist die Überwindung des so genannten „Wachstumsdilemmas“. Danach sind moderne Volkswirtschaften in der globalisierten Welt einerseits auf Wachstum angewiesen, da mit dauerhafter Stagnation oder gar Schrumpfung erhebliche Instabilitäten einhergehen. Sinkende Nachfrage, steigende Arbeitslosigkeit, zunehmende Staatsverschuldung und abnehmende Wettbewerbsfähigkeit würden sich gegenseitig verstärken und in eine Abwärtsspirale führen. Auf der anderen Seite bedeute fortgesetztes Wirtschaftswachstum – zumindest in der bisherigen Form und im globalen Maßstab betrachtet – eine steigende Umweltbelastung und eine Zunahme des Risikos, dass natürliche Lebensgrundlagen unwiederbringlich zerstört werden.

Strategien der Re-Dynamisierung zielen darauf ab, unmittelbar an den Ursachen einer möglichen Wachstumsschwäche anzusetzen und dadurch ihr Eintreten zu verhindern bzw. ihre Verschärfung abzuwenden. Beispiele hierfür sind eine weitere Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit sowie gezielte Investitionsförderung. Der Vorteil dieses Ansatzes liegt darin begründet, dass bestehende Institutionen, wie das Sozialversicherungssystem, finanziert werden können, ohne dass es zu umfassenden Kürzungen der Leistungen oder Erhöhung der Beiträge kommen muss. Es ist jedoch umstritten, inwiefern ein Festhalten am Wirtschaftswachstum mit einer Reduktion des Ressourcenverbrauchs und der Einhaltung von Klimazielen vereinbar ist. Künftiges Wirtschaftswachstum müsste demnach im Sinne eines grünen Wachstums auf jeden Fall durch planetare Leitplanken in nachhaltige Bahnen gelenkt werden, um die Einhaltung ökologischer Ziele sicherzustellen.

Im Gegensatz zur Strategie der Re-Dynamisierung wird in Adaptionsstrategien unterstellt, dass ein Minimalwachstumsszenario nicht verhindert werden kann (oder soll). Diskurse zu Postwachstum bieten dabei naheliegende Anknüpfungspunkte für die Ausarbeitung derartiger Strategien.

Alle Strategien müssen sich langfristig an der Lösung des Wachstumsdilemmas messen lassen. Während Re-Dynamisierungsstrategien zeigen müssen, dass sie planetare Grenzen einhalten können, sollten Konzepte zu Postwachstum auch (makro-)ökonomische Interdependenzen adäquat berücksichtigen. Bisher fehlt eine plausible Argumentation, dass ein dauerhaftes Niedrigwachstum möglich wäre, ohne in volkswirtschaftliche Abwärtsspiralen zu geraten.

Thorben Korfhage ist als Wissenschaftler und Doktorand in der Forschungsgruppe „Nachhaltigkeit und Governance“ am RWI tätig. Sein Masterstudium in Economics absolvierte er an der Freien Universität Berlin. Sein Forschungsinteresse gilt u.a. der Gesundheits- und Arbeitsmarktökonomik.

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