Rezensionen

Ein prägnantes Plädoyer für Degrowth nach Jason Hickel

Kommentare 3

 

 

Start mit Lob von Maja Göpel und einer großen Vision 

In der deutschen Version des Buches “Weniger ist mehr – Warum der Kapitalismus den Planeten zerstört und wir ohne Wachstum glücklicher sind” von Jason Hickel bringt Maja Göpel (u.a. Autorin von „Unsere Welt neu denken“) meinen zuerst gewonnenen Eindruck im Vorwort schon ziemlich gut auf den Punkt: „Wenn Sie Jason Hickel bisher noch nicht kennen, dann lassen Sie sich versichern, dass es kaum eine bessere Person geben könnte, um der Debatte um unsere Zukunft jene Grundlagen mitzugeben, die eine ernsthafte Diskussion von Lösungen möglich machen“ (Hickel 2022: 9). 

Um Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit zu verbinden, steigt Jason Hickel mit einer persönlichen Geschichte aus seiner Kindheit in Eswatini (früher Swasiland) ein. Damals gab es Unmengen an Insekten, die es nach jeder Fahrt von den Autos zu entfernen galt. Heutzutage sind die Scheiben insektenleer – was ein schlechtes Zeichen ist und in Deutschland ganz genauso verlaufen ist, wie mir meine Eltern berichteten. In der Einleitung überlässt er nachhaltigkeitsbewussten Menschen die Entscheidung, seine Schilderungen der ökologischen Krisen zu überspringen und erst ein paar Seiten später wieder einzusteigen – daher habe ich sie nur quergelesen. Bekanntermaßen sind die Fakten nicht erbaulich.  Für weniger informierte Personen oder welche, die den Teil dennoch sehen möchten, handelt es sich um eine gelungene Zusammenfassung. 

Hickel schließt das Intro mit einer Vision, wie er im Alter wieder von Insekten umgeben ist und die ganze Welt wieder aufblüht. Dies zeigt einerseits, was Hickel für möglich hält, und andererseits, dass positive Visionen international verbinden und Kraft für den Weg dahin geben können.  

„Mehr ist weniger“ – Warum sich unsere Welt so entwickelt hat, wie sie sich entwickelt hat 

Die Darstellungen, die zeigen, wie seit der industriellen Revolution die menschliche Bevölkerung, der Ressourcenverbrauch, die Emissionen etc. exponentiell gewachsen sind, sind inzwischen weithin bekannt. Dass diese Entwicklungen aus historischer Perspektive psychologisch und ökonomisch jedoch schon viel früher angestoßen wurden, erläutert Jason Hickel auf sehr anschauliche Weise.  

Es geht darum, wie den Menschen über die Jahrhunderte beigebracht wurde, die Natur als extern und als dem Menschen unterlegen zu betrachten und ab der Aufklärung Körper und Geist zu trennen. Es geht um Kolonialismus und wie die Europäer*innen bzw. die europäischen Kapitalist*innen zunächst die eigenen Landwirt*innen ausgebeutet haben und dann zunehmend auf Menschen und Ressourcen in anderen Ländern ‚zurückgriffen‘, um immer mehr Kapital zu akkumulieren. Dies ist ein Modell, welches in unserer heutigen Wirtschaft unter anderem Titel weiterläuft. Er beschreibt die negativen Folgen des “Wachstumismus” und weshalb Technologie kein Heilsbringer sein muss und Effizienz alleine keine Fortschritte bringt.  

Einiges davon war mir bekannt, jedoch waren aus anthropologisch-historischer Sicht sehr viele spannende neue Aspekte darin, über die es sich nachzudenken lohnt. So klar wurde die Entwicklung seit 1300 in Richtung unseres heutigen Umgangs mit der Welt für mich noch nirgendwo anders aufgezeigt und auch nicht, weshalb wir inhärent mit unserem kapitalistischen System diese Krisen nicht bewältigen werden.  

„Weniger ist mehr“ – Es gibt Wege aus dem Drama: wir müssen nur loslegen 

Zum Glück bleibt Jason Hickel nicht bei seiner sehr gelungenen Herleitung und Problembeschreibung stehen, sondern erklärt im zweiten Teil des Buches ebenso faktenbasiert, weshalb Kapitalismus und “Wachstumismus” für ein gutes Leben gar nicht nötig sind (bezogen auf den übersättigten Globalen Norden). Dann erläutert er Maßnahmen, die Postwachstums- und Degrowth-Kennenden alle nicht neu sein dürften. Was für mich jedoch neu war, war zum Teil die Argumentation, wie diese Ansätze einzeln wirken und wie sie zusammenhängen. Und für Menschen, die den Diskurs noch nicht kennen, ist es eine sehr klare Einführung und Erläuterung ohne allzu viel akademisches Vokabular.  

Am Ende geht es noch um unser Verhältnis zur ‚Umwelt‘ oder ‚Natur‘, die gerade in animistischen Weltbildern im Gegensatz zum westlichen Gedankengut so gar nicht getrennt von uns ist und was wir daher sowohl in Sprache als auch Verhalten von solchen – meist indigenen – Ansätzen lernen können und sollten.  

Wenn ich nur ein einziges Buch aus der gesamten Degrowth-/Postwachstums-Literatur die ich kenne, empfehlen dürfte, welches eine Person auf jeden Fall lesen sollte, dann wäre es dieses hier von Jason Hickel. Das Buch mag vom Titel her die kapitalismusorientierte Masse vielleicht nicht überzeugen, die Argumente im Inneren sind jedoch von bestechender Logik und auch noch sehr leser*innenfreundlich formuliert. Es lohnt, sich das Buch auf Deutsch – oder im Original auf Englisch – zu Gemüte zu führen: Sowohl für Menschen, die mit der Thematik schon vertraut sind als auch für die, die ‚neu‘ einsteigen. Eine volle Empfehlung für diese Lektüre! 

 

Hickel, Jason (2022). Weniger ist mehr. Warum der Kapitalismus den Planeten zerstört und wir ohne Wachstum glücklicher sind. München, oekom verlag. 

Cathérine Lehmann studierte International Sustainability Management im Master an der ESCP Berlin/Paris und forschte danach an der TU Berlin zu Nachhaltigem Konsum und am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) zu Postwachstum, Engagement, Verbänden und sozial-ökologischer Transformation. Nun befasst sie sich mit der Nachhaltigkeitstransformation von Städten und Regionen. Sie ist politisch und zivilgesellschaftlich aktiv, unter anderem im Klimaschutzverein „3 fürs Klima e.V.“. Sie bloggt auch in ihrer Freizeit über nachhaltiges Leben und aktuelle Themen zur Nachhaltigkeit: https://cathagoessustainable.wordpress.com.

3 Kommentare

  1. Jörg sagt am 26. Juli 2022

    Hallo zusammen,
    es wirkt leider etwas lieblos und nimmt der Rezension einen Teil ihrer Überzeugungskraft, wenn sich unbemerkt derartige Fehler in den Text mogeln:
    „Dann erläutert er Maßnahmen, die Postwachstums- und Degrowth-Kennerenden alle nicht neu sein dürften. “
    und
    „Und für Menschen, die den Diskus noch nicht kennen, …“

    • Redaktion Blog Postwachstum sagt am 30. September 2022

      Vielen Dank für die Hinweise. Die Fehler wurden korrigiert.

      Viele Grüße
      Redaktion Blog Postwachstum

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