Im 19. und 20. Jahrhundert hat sich die Form der Landwirtschaft zumindest in Westeuropa im Vergleich zum Mittelalter grundlegend geändert. Die industrielle Revolution fand auch auf dem Acker statt, da zur Bodenbearbeitung Maschinen statt Tiere eingesetzt wurden. Justus von Liebig legte den Grundstein für die heutige Agrochemie, die zum damaligen Zeitpunkt entscheidend dazu beitrug, Missernten und damit Hungersnöte zu verhindern. In den 1970er und 1980er Jahren wurden in der BRD Ackerflächen zur rationelleren Bearbeitung zusammengelegt, in der DDR erfolgte dies bereits früher und riesige Ackerflächen entstanden, die mit der Allmende Felderwirtschaft des Mittelalters nichts mehr gemein hatten.
Die Bevölkerungszahlen explodierten besonders ab 1900, immer mehr Menschen wohnten in den Städten und mussten mit Nahrungsmitteln versorgt werden. Bis in die 1980er Jahre stammten die meisten Lebensmittel für die deutsche Bevölkerung noch aus dem Inland, wenn man von Zitrusfrüchten, Kaffee und Tee sowie Schokolade einmal absieht. Die Möglichkeiten der globalisierten Welt haben diesen lokalen Lebensmittelbezug in den letzten 40 Jahren enorm verändert, sodass wir heute in Deutschland Lebensmittel aus der ganzen Welt zu günstigsten Preisen erwerben können.
Das Jahr 2020 begrenzte unsere grenzenlose Freiheit drastisch. Der Großteil der Bevölkerung in Deutschland akzeptiert die pandemiebedingten Einschränkungen, um die Krise zu meistern und schnellstmöglich wieder zum vorherigen Zustand zurückzukehren. Doch hört man auch Stimmen des Innehaltens, wenn diese auch in den Mainstream-Medien kaum wahrnehmbar sind.
Solidarische Landwirtschaft – Rückbezug auf Allmende im 21. Jahrhundert?
Lebensmittel gemeinsam anzubauen und zu ernten liegt im Trend. Seit 2010 nehmen die Neugründungen von solidarischen Landwirtschaftsbetrieben rasant zu – bereits vor der Corona-Krise. Das ist eine hoffnungsvolle Entwicklung, um die Eigenversorgung mit Lebensmitteln zu steigern. Nun ist die heutige Solidarische Landwirtschaft nur teilweise mit den Allmenden des Mittelalters zu vergleichen. Bedeutendster Unterschied ist die Bevölkerungszahl: im Jahr 1800 lebten weltweit ca. 1 Mrd. Menschen, heute sind es fast 8 Mrd., davon wohnt mehr als die Hälfte in Großstädten. Die Versorgung mit Lebensmitteln erscheint mehr eine logistische Herausforderung, da Nahrungsmittel weltweit beschafft werden. Die Versorgung mit Lebensmitteln aus einem Radius von 15km analog den Allmenden ist wohl unrealistisch. Die Hamburger HafenCity Universität hat allerdings 2016 gezeigt, dass ein Radius von 100km ausreicht, um die Versorgung von Hamburg mit Lebensmitteln zu gewährleisten. Die Bedingung war eine Reduktion des Fleischkonsums nach den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung auf 24kg Jahresmenge, 2019 lag der Verbrauch hiervon jedoch bei 60kg pro Kopf allein in Deutschland.
Zwar sind die Rahmenbedingungen des Mittelalters keinesfalls vergleichbar mit denen des Jahrs 2021. Die Entwicklung der letzten Jahrzehnte auf dem Lebensmittel- und Landwirtschaftssektor und die dadurch verursachten Schäden in der Umwelt werden uns aber früher oder später zu einer Verhaltensänderung zwingen. Eine freiwillige Verhaltensänderung wäre dabei nicht nur klug, sondern auch effizienter als zu warten, bis die Umweltschäden so groß sind, dass weltweit die Auswirkungen bereits massiv zu spüren sind. Gerade die sogenannten Industrienationen, die von den Folgen des weltweiten Raubbaus an unseren Lebensgrundlagen bis heute nur marginal betroffen sind, müssen den Worten endlich Taten folgen lassen.
Lehren aus den „Allmenden 2030“ und die SlowFood-Bewegung
Eine Allmendegemeinschaft hätte nie einem Kahlschlag großer Waldgebiete oder einem Kuhstall mit 100 Rindern zugestimmt, da sie dadurch ihre eigene Existenz gefährdet hätte. Diese Erkenntnis war damals Allgemeingut und wurde durch Erziehung und das Tun von Generation zu Generation weitergegeben. Unser heutiges Wissen ist zwar um ein Vielfaches größer als das unserer Vorfahren. Gegenüber den Lebensgrundlagen Luft, Wasser und Boden verhalten wir uns aber so, als ob uns dieses Wissen fremd ist und opfern beispielsweise schützenswerte Waldgebiete für den Straßenbau.
In weltweiten Bürgerinitiativen arbeiten Millionen von Bürger/innen daran, Flüsse zu revitalisieren, Städte zu begrünen, Abfall aus der Natur zu beseitigen und Gemüse auf geeigneten Flächen in den Städten anzubauen. Sie verbessern die eigenen Lebensbedingungen und die aller Lebewesen, indem sie die für die jeweilige Region passenden Maßnahmen ergreifen. Bei den Allmenden des Mittelalters handelte es sich um Gemeinschaften mit Zugangsbeschränkungen, die das Ziel hatten die überlebenswichtigen Existenzgrundlagen Wald, Weide und Acker gemeinsam zu bearbeiten und zu erhalten. Die Solidarischen Landwirtschaften von heute verfolgen auch dieses Ziel, wobei der Ausgangspunkt kein Mangel (z.B. Hungersnot) ist, sondern eher das Gegenteil, nämlich der sonstige Überfluss und die Verschwendung von Ressourcen. Daher bezeichne ich solche lokalen Gemeinschaften wie die Solidarischen Landwirtschaften als die Allmenden 2030.
Auch die SlowFood-Bewegung hat als Ziel unsere Lebensgrundlagen zu erhalten. Wir setzen uns weltweit für eine Kultur des Essens ein, die auf Wertschätzung, Verantwortung und Genuss basiert. Wir engagieren uns für eine kleinbäuerliche, vielfältige Landwirtschaft, eine handwerkliche Lebensmittelproduktion, setzen uns fürs Tierwohl ein und betreiben Bildungsarbeit. In Deutschland gibt es bereits über 80 regionale SlowFood Gruppen, ich leite die Region Pfaffenwinkel südwestlich von München. Ein Schwerpunkt meiner Aktivitäten ist der Eigenanbau von Gemüse im Rahmen des Projektes „Unser Land“ . Auf einem sogenannten „Sonnenacker“ bauen wir seit 2014 mit wachsendem Erfolg unser eigenes Gemüse zusammen mit über 50 Gleichgesinnten an.
Auch diese Weise des gemeinsamen Gemüseanbaus ist für mich eine Form der modernen Allmende 2030. Die Nachfrage nach derartigen Gemeinschaften steigt, auch weil die Pandemie gezeigt hat, wie zerbrechlich ein Versorgungskonzept ist, das auf weltweiten Lieferbeziehungen beruht.
Dies ist der zweite Teil einer zweiteiligen Artikelserie. Zum ersten Teil mit dem Thema der Organisation und Struktur historischer Allmenden gelangen Sie hier.
Lieber Herr Putzier, das hat mich wieder sehr gefreut, von Ihnen zu lesen. SoLaWi ist auch hier ein Begriff geworden und nahe Isny ein Hof so aktiv. Dass Hamburg im Umkreis von 100 km Nahrung genug Nahrung hätte bei geringerem Verzehr von Fleisch ist nicht uninteressant. Ihrem Sonnenacker und der Erzeugergemeinschaft wünsche ich ein gutes Anbau- und Erntjahr. Bitte geben Sie die frische Petition, falls Sie sie gut finden, an Ihre Freunde, Familie und Bekannte weiter und sonst gerne Kritik zurück.https://www.openpetition.de/petition/online/wirtschaftswachstum-als-ziel-abschaffen-faire-und-reale-preise-und-loehne-anstreben. Unser Rahmen mit weiteren Wünschen ist untragbar, Wackernagel fragt: Gestalten wir unsere Zukunft durch Design oder Desaster. Ich frag mich ob wir nicht jetzt schon mittendrin sind das Desaster noch zu vergrößern. Da sind so zukünftige Entwicklungen wichtig wie sie sie bewegen, in Gang setzen, Essen ist ein hohes Gut. Ich möchte ein angemessenes Minus-Wachstum salonfähig machen. Gutes Essen und das Erleben von Kreislauf und Wachsen hilft die Not der jetzigen Zeit eher zu vertragen. Was ich noch nie öffentlich gemacht habe, aber glaube, dass in Deutschland über gar nicht so lange Zeit wieder über 20 % mit Landwirtschaft, Gartenwirtschaft, Handwerk und Versorgungswirtschaft auf dem Land leben und eine gute Versorgung für die Städte liefern. Ein schöner Traum? Oder müssen wir uns einfach auch aus Notwendigkeit einstellen, aber dann auch Freude daran gewinnen. Herzlich