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Wachstumsstudien anders lesen!

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Einen differenzierten Blick auf die Unternehmensmehrheit richten!

Unternehmenswachstum ist regelmäßig Gegenstand statistischer Erhebungen. Klassische Wachstumsstudien erfassen Umsatz- und Beschäftigungsentwicklungen und analysieren die Unterschiede in der „Performance“ der Unternehmen. So sollen Wachstumstreiber und -hemmnisse identifiziert und (Politik-)Empfehlungen abgeleitet werden. Zielvorstellung ist das stark wachsende Unternehmen, das etwa Umsatz und Beschäftigung rasant ausbaut.

Hierbei wird häufig der breite Mittelstand adressiert: Dessen Wachstums- und Beschäftigungsbeiträge gelten als Schlüssel für eine erfolgreiche wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung. Doch gerade Wachstumsstudien zu kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) zeigen einen sehr begrenzten Anteil wachstumsstarker Firmen (4 bis 20 Prozent, je nach Fokus der Studien). Der Großteil der KMU wächst hingegen wenig(er) bis gar nicht – und formuliert oft auch keine Wachstumsambitionen und -strategien.

Diesen „Underperformern“ werden zumeist Unternehmensqualitäten und Leistungsfähigkeit abgesprochen, denn wachsen zu wollen und es auch zu tun, gilt weithin als wesentliches Merkmal und Erfolgskennzeichen von Unternehmertum. Doch gerade KMU unterscheiden klar zwischen qualitativen und quantitativen Erfolgskenngrößen und sie entscheiden sich gegen Wachstum, wenn es ihre spezifischen Qualitäten und Unternehmensziele gefährdet.

So schaffen sich KMU oftmals gerade dadurch eine bessere Entwicklungsperspektive, dass sie ihr Größenwachstum und ihre Abhängigkeit davon grundsätzlich begrenzen. Ihre unternehmerischen Qualitäten beweisen sich dann darin, vorausschauend mit externen, zum Beispiel ökologischen, Begrenzungen umzugehen und riskanten Marktdynamiken durch Stabilisierungs- oder Reduktionsprozesse selbstbestimmt, innovativ und existenzsichernd zu begegnen.

Am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) haben wir im Projekt „Postwachstumspioniere“ mit elf Fallstudien genauer auf solche KMU geschaut. Die Auswahl der Fallstudien für die Broschüre „Wir sind so frei.“ trafen wir auf der Basis einer Onlineumfrage. Deren Ergebnisse präsentieren wir erstmals gebündelt in einer aktuellen IÖW-Schriftenreihe mit dem Titel „Wie wichtig ist Wachstum für KMU?„.

Die Umfrageergebnisse bestätigen, dass Wachstum für KMU allenfalls begrenzt auf der strategischen Agenda steht: Von den 700 teilnehmenden Unternehmen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz gibt fast die Hälfte an, nicht weiter bzw. nur bis zu einer bestimmten Unternehmensgröße wachsen zu wollen. Ein Viertel der KMU hat keine ausdrücklichen Wachstumsziele formuliert, äußert also ebenfalls keine eindeutige Wachstumsambition. Nur zwei Prozent der KMU setzen auf starkes Wachstum, während wiederum ein Viertel die Wachstumsrate begrenzt und damit auf Kontinuität zielt.

Die Wachstumsorientierung von Unternehmen unterliegt vielfältigen unternehmenseigenen und externen Faktoren. Insgesamt 15 potenzielle Einflussgrößen haben wir näher untersucht. Von denen ließen sich für unsere nicht-repräsentative Stichprobe fünf als statistisch signifikant und damit als systematisch bestätigen.

Wir haben dabei zunächst nur die ausdrückliche Angabe, nicht oder kaum weiter wachsen zu wollen, als „wachstumsneutral orientiert“ gekennzeichnet. Dieser stellten wir die anderen vier – wenngleich durchaus diversen – Antwortoptionen gebündelt gegenüber. Die „wachstumsneutrale“ Aussage wurde am ehesten von denjenigen KMU getroffen, die kleiner, älter, auf lokalen bis nationalen und höchstens nur noch langsam wachsenden Märkten aktiv sind sowie aktuell kein Fremdkapital aufgenommen haben.

Der oben erwähnte vorausschauende und selbstbestimmte Umgang mit Wachstumsgrenzen und -abhängigkeiten ist sicher nicht in der Breite der begrenzt oder nicht wachsenden KMU zu finden. Dies deuten auch die Ergebnisse der latenten Klassenanalyse an. Die vier Typen von KMU, die wir in Bezug auf das erreichte Wachstum und die weiteren Wachstumsziele herausarbeiteten, verdeutlichen zum Beispiel jeweils qualitative Entwicklungsbedarfe. Diese gilt es in weiteren Arbeiten noch genauer zu beschreiben.

Aus unseren ersten sondierenden Analysen ergaben sich vor allem weitere Forschungsfragen. Insgesamt muss es gelingen, die große Gruppe derjenigen Unternehmen, die aus unterschiedlichen Gründen weder (stark) wachsen noch überhaupt primär auf Größenwachstum ausgerichtet sind, deutlich differenzierter abzubilden, als es das Stigma vom „Underperformer“ hergibt.

Ein besseres Verständnis der Beweggründe und Erfolge, aber selbstverständlich auch der Risiken und Unterstützungsbedarfe von nicht-wachstumsorientierten Unternehmen ist notwendig, um ihr Potenzial zu heben: um unternehmerischen Akteuren in der Breite Wege aus der Wachstumsabhängigkeit zu weisen und sie zu befähigen, ihre langfristige Entwicklung unternehmerisch und sozial verträglich sowie mit ökologischem Gewinn zu gestalten. Wir sehen die vorliegende Erhebung als einen Anstoß, dieses notwendige differenzierte Verständnis zu erarbeiten.

Jana Gebauer ist Fellow am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW), für das sie zuvor als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig war. Ihre inhaltlichen Schwerpunkte sind: Rolle von Unternehmen in der (Postwachstums-)Gesellschaft sowie Ziele, Prozesse und Instrumente für nachhaltiges und verantwortliches unternehmerisches Handeln.

1 Kommentare

  1. Wege aus der Wachstumsabhängigkeit – Der Ansatz ist edel, man muss sich diesen Ansatz jedoch leisten können.
    Jeder angestellte Manager, der sich in Abhängigkeit von Banken, Börse oder Kapitalgebern bewegt ist nicht lange Manager, wenn er die Erwartungen der Finanzwelt nicht erfüllt.
    Solange wir noch unverändert ein Stabilitäts- und Wachstumsgesetz aus dem Jahre 1967 haben, solange in jedem Wirtschaftsteil der Zeitungen unverändert die Katastrophe ausgerufen wird, wenn ein Unternehmen oder ein Staat die Wachstumsprognosen nicht erfüllt und solange große Pareien und Gewerkschaften noch an das quantitative Wachstumsparadigma glauben, wird das schwierig.
    Ich denke wir müssen ernsthaft an die Frage heran: Wie wollen wir leben. Wir müssen unsere gemeinsamen Werte weiterentwickeln.
    19.12.2015, Hans Wolfgang / Heidelberg

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