Standpunkte

Über die Vermessung der Natur (I)

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„Degrowth ist sowohl Kritik am Wachstum als auch Kritik an der kolonialisierenden Ausweitung der Werte, der Logik und der Sprache des Marktes auf bisher unberührte soziale und ökologische Bereiche“

„Degrowth fordert die Entkommerzialisierung sozialer Beziehungen und des Verhältnisses zwischen Mensch und Natur und hinterfragt den neuen Umweltpragmatismus“

Goméz-Baggethun (2016): Kommerzialisierung.
In: Degrowth. Handbuch für eine neue Ära. S. 152.


Diese beiden Zitate von Eric Goméz-Baggethun aus dem Buch „Degrowth. Handbuch für eine neue Ära“ (2016) beschreiben die kritische Sichtweise von einigen Postwachstumsvertreter/innen auf die zunehmende Kommerzialisierung von Natur.

Doch was sind eigentlich Naturkapital- und Ökosystemdienstleistungsansätze und wie lässt sich das Spannungsverhältnis zwischen einer zunehmenden Kommerzialisierung von Natur auf der einen und Postwachstumsvisionen auf der anderen Seite beschreiben?

Diesen Fragen möchte ich in den folgenden zwei Beiträgen nachgehen, um zum einen die Heterogenität der Ansätze rund um eine Inwertsetzung von Natur zu verdeutlichen und zugleich die Wichtigkeit einer ausführlichen Diskussion über die Wirksamkeit und die Folgen der verschiedenen Ansätze hervorzuheben.

Was ist unter den Begriffen Naturkapital und Ökosystemdienstleistungen zu verstehen?

Die Auswirkungen menschlichen Handelns auf die Umwelt werden in den letzten Jahren immer deutlicher sichtbar – neben dem Klimawandel rücken hierbei auch verstärkt der Landnutzungswandel und damit zusammenhängende Biodiversitätsverluste in den Vordergrund. Nicht zuletzt das Planetary-Boundary-Konzept der durch Rockström et al. (2009) veröffentlichen Studie zeigt, wie vielfältig und alarmierend die Veränderungen global voranschreiten (Rockström et al., 2009; Steffen et al., 2015). Demzufolge ist es nicht verwunderlich, dass Umwelt- und Naturschützer/innen in der gesamten Welt nach Lösungen suchen, um beispielsweise den stets steigenden Biodiversitätsverlusten zu begegnen – einer dieser bereits als überschritten geltenden planetaren Grenzen.

Der Ansatz, Naturkapital und die dadurch erbrachten Dienstleistungen ökonomisch zu bewerten und durch diese Inwertsetzung den Naturschutz voran zu bringen und weiteren Biodiversitätsverlusten Einhalt zu gebieten, ist bereits seit vielen Jahrzehnten diskutiert und in einigen Fällen auch schon umgesetzt worden. Jedoch sind die Begrifflichkeiten sehr differenziert zu betrachten, kommt es doch häufig zu Missverständnissen in der Debatte (Fatheuer, Fuhr, & Unmüßig, 2015). Zur begrifflichen Klärung ist auf der einen Seite Naturkapital als Bestandsgröße zu sehen, welche die natürlichen Ressourcen umfasst. Aus diesem Naturkapital wiederum speisen sich Flussgrößen, sogenannte Ökosystemgüter- und dienstleistungen, die aus dem Naturkapital beständig hervorgehen und bisher nicht oder kaum im Wirtschaftssystem Berücksichtigung finden (Costanza et al. 1997). Solche externen Werte in den Markt zu internalisieren liegt zunächst auf der Hand, werden doch Umweltzerstörungen bisher kaum erfasst oder teils gar positiv im Bruttoinlandsprodukt berücksichtigt.

In diesem Rahmen wurden in der letzten Zeit vermehrt Ansätze entwickelt, welche eine solche Inwertsetzung von Natur ermöglichen – ganz nach dem Motto: Auch Dienstleistungen der Natur sollten etwas kosten, wobei ihr Wert für den Menschen im Vordergrund steht. Die Zuweisung erfolgt also aus einer anthropozentrischen Sichtweise heraus. Mittlerweile wird das Konzept auch auf höchster politischer Ebene diskutiert. Beispiel hierfür ist die durch die Europäische Union in Auftrag gegebene Studie „The Economics of Ecosystems and Biodiversity“ (TEEB), welche 2009 erschien.

Solche Ökosystemdienstleistungen können beispielsweise das CO2-Speichervermögen oder das Wasserreinhaltevermögen von Feuchtgebieten betreffen. Oftmals findet eine Wertzuweisung durch die Summierung eines ökonomischen Gesamtwertes statt, welcher direkte und indirekte Gebrauchswerte sowie Nicht-Gebrauchswerte umfasst (Grunewald & Bastian, 2013). Direkte Gebrauchswerte können direkt für Konsum und Produktion verwendet werden und sind damit sehr leicht quantifizierbar. Hierzu zählen insbesondere Versorgungsdienstleistungen und soziokulturelle Dienstleistungen von Ökosystemen. Zusätzlich zu den Gebrauchswerten kommen sehr schwer zu berechnende Nicht-Gebrauchswerte. Diese setzen sich zusammen aus dem Vermächtniswert, welcher die Bereitschaft der Menschen ausdrückt, auf heutiges Einkommen zu verzichten, um Dinge für zukünftige Generationen zu bewahren sowie dem Existenzwert – die Zahlungsbereitschaft, um Dinge zu schützen, egal ob sie jemals genutzt werden.

Allgemein sind bei der monetären Bewertung eine Vielzahl an Schwierigkeiten sichtbar. Hierzu zählt beispielsweise, dass Ökosysteme und deren Resilienz gegen äußere Einflüsse oft noch ungenügend wissenschaftlich verstanden sind. Hierdurch wird auch eine Grenzziehung zwischen den Ökosystemen zur exakten Bestimmung der Werte schwierig. Daraus wiederum ergibt sich das Problem von Doppelzählungen hinsichtlich der Dienstleistungen. Des Weiteren kommt es zu Schwierigkeiten durch nichtlineare Reaktionen der Umwelt auf menschliche Einflüsse. Bekanntestes Beispiel ist der Klimawandel, welcher durch Kippelemente zusätzlich beschleunigt werden könnte. Daneben bietet auch die räumliche Ebene Schwierigkeiten aufgrund der Ortsabhängigkeit solcher Bewertungen.

Soweit die Theorie – doch zu welchen Implikationen führt diese Inwertsetzung in der Praxis? Welche Chancen und Risiken bietet die Inwertsetzung von Natur, um diese tatsächlich zu schützen?

Welche Managementkonzepte folgen aus diesen Ansätzen?

Diese Frage zählt sicherlich zu den wichtigsten, denn gerade hier scheiden sich die Geister hinsichtlich der Sinnhaftigkeit oder gar Gefahr von Naturkapital- und Ökosystemdienstleistungsansätzen.

Zunächst ist hervorzuheben, dass anfangs Inwertsetzungen eher als Warnsignal entwickelt wurden (Gómez-Baggethun, de Groot, Lomas, & Montes, 2010). Durch die Nennung von konkreten Geldwerten sollte verdeutlicht werden, wie abhängig unsere gesamte Gesellschaft von den Ökosystemen der Erde ist. Marktverknüpfungen oder ähnliches und damit zusammenhängende Managementkonzepte waren demnach zunächst gar nicht Ziel der ersten Autor/innen. Stattdessen sollten die errechneten Geldwerte den bisher gängigen Naturschutz voranbringen. Doch in letzter Zeit wurden auch ökonomische Managementkonzepte stärker diskutiert, teils gar implementiert (Gómez-Baggethun et al., 2010; Gomez-Baggethun & Ruiz-Perez, 2011). Auch hier ist es nötig, die Konzepte sauber zu trennen. Sie reichen von vor allem staatlich gesteuerten Instrumenten, wie beispielsweise Steuern und Subventionen (sogenannte pigouvianische Ansätze) bis hin zu Märkten für Ökosystemdienstleistungen (coaseanische Ansätze). Es handelt sich demnach um verschiedene Stufen einer Kommodifizierung und Marktfähigmachung von Natur. In der Praxis sind tatsächliche Märkte bisher nur selten zu finden, jedoch gibt es verschiedene Konzepte der Zahlungen für Ökosystemdienstleistungen, beispielsweise Ausgleichszahlungen von Unternehmen oder der öffentlichen Hand (Fatheuer et al., 2015). Diese Zahlungen können entweder freiwillig oder verpflichtend sein. Die Gelder gehen an Gemeinden und Privatmenschen, welche im Gegenzug den Erhalt von Naturkapital und den daraus hervorgehenden Dienstleistungen sicherstellen. Als nationales Beispiel kann Moorfutures genannt werden. Unternehmen können hier direkt CO2-Zertifikate erwerben, um sich an der Wiederbewässerung von Mooren in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern zu beteiligen, welche als CO2-Senken gelten. Daneben liefern Moore auch noch eine Vielzahl weiterer Dienstleistungen, beispielsweise im Rahmen der Wasserreinigung, des Hochwasserschutzes oder auch als Erholungsgebiet. In diesem konkreten Fall findet die Verwaltung des Projektes durch staatliche Hand statt. Es handelt sich also nicht um einen freien Markt. Doch wäre im Gegensatz dazu das Wiederbewässerungsgebiet in Privatbesitz, so könnte hieraus gegebenenfalls ein entsprechender Markt gebildet werden. Ein solches Beispiel ist in den Vereinigten Staaten zu finden: Hier wurde das Wetland-Banking-System im Rahmen des US Clean Water Acts entwickelt (Robertson 2004). Feuchtgebiete und damit handelbare Flächennutzungsrechte können hier direkt von Privatmenschen erworben werden, um dann über Zertifikate mit Unternehmen, welche Feuchtgebiete zerstören, zu handeln. Nichtsdestotrotz sind bisher Märkte für Ökosystemdienstleistungen nur selten zu finden, wenngleich deutliche Tendenzen in Richtung einer zunehmenden Kommodifizierung erkennbar sind (Fatheuer et al., 2015; Gómez-Baggethun et al., 2010). Ein häufiges Problem ist dabei auch, Ausschließbarkeit und damit konkrete Besitz- und/oder Verfügungsrechte für diese Güter hinsichtlich Einzelpersonen, Unternehmen etc. herzustellen, handelt es sich doch ursprünglich zumeist ökonomisch gesehen um öffentliche Güter oder Allmende. Je nach spezifischem Natur-Gut beziehungsweise je nach Dienstleistung führen Märkte zu neuen privatisierten Eigentumsverhältnissen, welche soziale Spannungen hervorrufen können. Letztlich können auch CO2-Märkte als Ökosystemdienstleistungsmärkte verstanden werden, doch ist auch hier die Ausgestaltung ganz unterschiedlich. So existieren oftmals Märkte, welche lediglich die Emissionen von größeren Industrien handelbar machen. Daneben ist aber auch eine Kopplung mit Wiederaufforstungsprojekten denkbar, welche als Kohlenstoffspeicher dienen. Es findet in diesem Fall eine Kopplung von verschiedenen Ökosystemdienstleistungen statt, welche über CO2-Zertifikate miteinander verbunden werden. Gegenwärtig wird beispielsweise diskutiert, ob das auf der Klimarahmenkonvention 2005 entwickelte Projekt „Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradation“ (REDD+) mit CO2-Märkten verbunden werden sollte, um hierdurch eine Finanzierung von Ausgleichszahlungen an Entwicklungsländer, welche im Gegenzug den Wald schützen, zu ermöglichen (Beltran et al., 2013).

Diese Beispiele sind selbstverständlich nur eine kleine Auswahl an diversen Managementkonzepten, doch zeigt sich bereits daran, welche unterschiedlichen Konsequenzen hinsichtlich des Landmanagements die Inwertsetzung von Natur haben kann.

Doch welche Chancen und Risiken sind mit den verschiedenen Managementkonzepten von Ökosystemdienstleistungen aus Postwachstumssicht verbunden?

Antworten auf diese und weitere Fragen finden Sie im zweiten Teil des Beitrags „Über die Vermessung der Natur“.

 

Literaturverweise

Beltran, A. M. et al. (2013). Analysing the options and impacts of including REDD credits in carbon markets, PBL Working Paper. 17, 1–20.

Costanza, R. et al. (1997). The value of the world ’ s ecosystem services and natural capital. Nature, 253–260.

Fatheuer, T., Fuhr, L., & Unmüßig, B. (2015). Kritik der Grünen Ökonomie. München.

Gómez-Baggethun, E. et al. (2010). The history of ecosystem services in economic theory and practice: From early notions to markets and payment schemes. Ecological Economics. 69, 1209–1218.

Gomez-Baggethun, E., & Ruiz-Perez, M. (2011). Economic valuation and the commodification of ecosystem services. Progress in Physical Geography. 35, 613–628.

Goméz-Baggethun, E. (2016). Kommerzialisierung. In: D’Alisa, G; Demaria, F; Kallis, G (Hrsg.) (2016): Degrowth. Handbuch für eine neue Ära. München.

Grunewald, K., & Bastian, O. (2013). Ökosystemdienstleistungen. Konzepte, Methoden und Fallbeispiele. Heidelberg.

Robertson, M. M. (2004). The neoliberalization of ecosystem services: wetland mitigation banking and problems in environmental governance. Geoforum. 35, 361 – 373.

Rockström, J. et al. (2009). Planetary boundaries: Exploring the safe operating space for humanity. Ecology and Society. 14.

Steffen, W. et al. (2015). Planetary boundaries: Guiding human development on a changing planet. Science. 247, 736 – 746.

Josef Kaiser studiert aktuell im Master "Global Change Geography" an der Humboldt-Universität zu Berlin. Parallel gibt er im Sommersemester 2017 sowie Wintersemester 2017/18 das studentische und interdisziplinäre Projekttutorium "Grünes Wachstum versus Postwachstum. Im Spannungsfeld unterschiedlicher wirtschaftspolitischer Positionen zur Bewältigung aktueller sozioökologischer Herausforderungen", dessen Ziel unter anderem die Organisation von Dialogveranstaltungen ist. Daneben engagiert sich Josef Kaiser in der studentischen Initiative Nachhaltigkeitsbüro an der Humboldt-Universität zu Berlin, sowie im netzwerk n e.V.

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