Suffizienzpolitik – ein Begriff und eine Politikrichtung, die bisher wohl vielen noch nicht geläufig ist. Sie steht für eine Gestaltung der Rahmenbedingungen, die einen Wandel hin zu ressourcenleichteren Lebensstilen flankiert. Suffizienz ist bekannt als dritte Nachhaltigkeitsstrategie neben den technischen Strategien der Konsistenz (Kreislaufwirtschaft, Nutzung erneuerbarer Ressourcen) und Effizienz (Reduktion des Ressourcen- bzw. Energieaufwands bei gleichbleibender Produktion), die hauptsächlich die Angebotsseite betreffen. Im Gegensatz dazu adressiert Suffizienz die Nachfrageseite und mit dem Ziel einer absoluten Reduktion des Energie- und Ressourcenverbrauchs.
Aktuell erfährt dieses Politikfeld weit ab der großen Öffentlichkeit zunehmend Beachtung. Insbesondere einige Kommunen begeben sich auf den Weg erste experimentelle Schritte in diese Richtung zu gehen, wie eine Analyse des ifeu – Institut für Energie- und Umweltforschung zeigt. Sie trauen sich an dieses noch junge, wenig erforschte Politikfeld heran. Doch während das Buch „Damit gutes Leben leichter wird – Perspektiven einer Suffizienzpolitik “ in der interessierten Fachöffentlichkeit in den vergangenen Jahren Wiederhall gefunden hat, findet eine Diskussion zur dritten Strategie der Nachhaltigkeit zumeist allenfalls hinter vorgehaltener Hand statt.
Suffizienz-Pionierstadt Zürich
Den ersten Schritt in Richtung Suffizienz auf kommunaler Ebene ging man wahrscheinlich in der Schweiz. Im Jahr 2006 setzten die Bürgerinnen und Bürger der Stadt Zürich in einem Bürgerentscheid sich und der Kommune das Ziel, bis 2050 eine 2000-Watt-Gesellschaft zu erreichen. Schnell jedoch stellten Planungen und Szenarienberechnungen fest, dass dieses Ziel allein mit den technischen Strategien der Konsistenz und Effizienz nicht erreichbar sind. Seither hat sich in Zürich einiges getan. In vielfältigen Wohngenossenschaften wie Kalkbreite und Kraftwerk 1 experimentiert man mit weniger Privatfläche und mehr geteilten Räumlichkeiten und Infrastrukturen. In der Kalkbreite sind keine PKW-Stellflächen vorgesehen und somit der Einzug ohne Privat-PKW eine der Bedingungen. Daneben hat die Kommune verschiedene Leitfäden erarbeitet und herausgegeben, die verschiedene Themen wie „psychologischen Grundlagen für Suffizienz“ oder einem „Suffizienzpfad Energie – Das Beispiel Wohnen“ behandeln.
Kommunale Initiativen in Deutschland
Doch auch in Deutschland kommt in einigen Kommunen Bewegung in Richtung Suffizienzpolitik. In zahlreichen kommunalen Klimaschutzkonzepten wird die Bedeutung der Suffizienz zum Erreichen kommunaler Klimaschutzziele erkannt und es wird eine Vielzahl an Politikmaßnahmen vorgeschlagen, um Suffizienz in Kommunen zu ermöglichen, zu erleichtern und zu bestärken. Zu diesem Ergebnis kommt die Analyse der Klimaschutzkonzepte von 32 Kommunen und Regionen sowie der Masterpläne 100% Klimaschutz von 19 Kommunen und Regionen, deren Masterpläne in der ersten Förderperiode seit 2012 im Rahmen der Nationalen Klimaschutzinitiative vom Bundesumweltministerium gefördert wurden. Die Analyse erfolgte durch das ifeu im Rahmen des Forschungsprojekts „Energiesuffizienz“ . Die von den Kommunen, Forschungsinstituten und beteiligten Bürgern entwickelten Maßnahmen reichen von der Beschränkung des PKW-Verkehrs in Städten, über Veggie-Days und vegetarische Nachbarschafts-Kochkurse bis hin zu einem Suffizienzquartier.
Suffizienz als Ergänzung gedacht
Während in den Klimaschutzkonzepten eher Einzelmaßnahmen gefunden wurden, haben 10 von 19 Masterplan-Kommunen dem Thema Suffizienz ein ganzes Kapitel gewidmet, über Annahmen in die Szenarienberechnung miteinbezogen und Maßnahmen zur Förderung entwickelt. Der Grund ist – wie im Falle Zürichs – ein ambitioniertes Klimaschutzziel, in diesem Falle die Reduktion der CO2-Emissionen um 95 % und die Halbierung des Energieverbrauchs. Die Analyse zeigt, dass Suffizienz daher einen wichtigeren Stellenwert in größeren Städten und wachsenden Kommunen einnimmt. In diesen wird offensichtlich, dass die ambitionierten Ziele allein mit den technischen Strategien der Konsistenz und Effizienz nicht zu erreichen sind. So kam die Suffizienz ins Spiel. Sie soll weitere Emissions-Einsparungen bewirken, die die Technik nicht schafft. Ein Schnitzel gibt es beispielsweise nicht treibhausgasneutral, ebenso werden Sanierungsmaßnahmen durch die weiter steigende Wohnfläche pro Kopf konterkariert. Landkreise und schrumpfende Städte dagegen, die beispielsweise über ausreichend Flächen verfügen, erreichen die Treibhausgas- und Energieeinsparungen leichter durch die Annahme eines sehr ambitionierten Ausbaus der Erneuerbaren Energien und hohe Sanierungsraten im Gebäudebestand.
Von der Ergänzung zum Schwerpunkt
In Zürich aber geht man mittlerweile einen Schritt weiter. Hier ist Suffizienz als handlungsleitendes Prinzip in der Stadtpolitik festgeschrieben. Zudem soll dort die Priorität umgekehrt und Suffizienz nicht als Ergänzung, sondern mit der Frage nach dem jeweiligen Bedarf an erster Stelle behandelt werden. Der Bedarf soll schließlich als zweite Priorität effizient gedeckt werden. Die danach verbleibenden Energie- und Ressourcenbedarfe sind schließlich möglichst konsistent zu decken. Diese Bewegung in Richtung Suffizienz ist auch in Deutschland zu beobachten, wie der Ausschreibungstext zur zweiten Ausschreibungsrunde der Masterplan-Kommunen zeigt.
Ein erster Überblick
Aus den gewonnenen Erkenntnissen der Analyse der Klimaschutz-Konzepte und Masterpläne lassen sich erste Thesen und Ergebnisse ableiten:
Der Ansatz „Vom Ziel her denken“ verdeutlicht die Notwendigkeit, Suffizienz als wichtiges Handlungsfeld für Klimaschutz zu erkennen und zugehörige politische Maßnahmen zu konzipieren und umzusetzen. Die Kommunen, die sich das Ziel einer Halbierung des Energieverbrauchs und einer Reduktion der CO2-Emissionen um 95% bzw. einer 2000-Watt-Gesellschaft bis 2050 setzen, um daraus notwendige Veränderungen und Maßnahmen abzuleiten, erkennen in den meisten Fällen den Stellenwert der Suffizienz. Sie haben hierzu die ambitioniertesten Maßnahmen unter den verglichenen Konzepten.
Insbesondere im Handlungsfeld Mobilität konnten zahlreiche Suffizienzmaßnahmen identifiziert werden. Das ist auf die schon länger andauernde Diskussion im Verkehrssektor über ein „Vermeiden, Verlagern und Verbessern von Mobiltät“ zurückzuführen. In anderen Handlungsfeldern wie Ernährung, Konsum sowie Bauen und Wohnen steht man dagegen noch (fast) am Anfang. Hier werden Suffizienzmaßnahmen bisher nur in geringem Umfang gedacht, konzipiert und verankert. Damit liegt in diesen Sektoren ein großes Potential für die Entwicklung von zukünftigen politischen Maßnahmen.
Die Wirkungsweise des überwiegenden Anteils der Maßnahmen ist es, Bürgerinnen und Bürgern Suffizienz zu ermöglichen (enable) und beispielgebend zu wirken (exemplify). Maßnahmen, die Bürgerinnen und Bürger in suffizienten Praktiken bestärken (encourage) (d.h. auch nicht-suffizientes Handeln erschweren) oder für diese motivieren (engage), sind zwar in einigen Konzepten vorgesehen, können jedoch noch deutlich ausgeweitet werden. Insbesondere im Bereich Mobilität ist dies mit Maßnahmen wie „Tempo 30“ und „City-Maut“ zumindest in einigen Kommunen mittelfristig vorgesehen.