Standpunkte Unternehmen

Postwachstumsunternehmen denken in Generationen

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In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung im November 2014 äußert der Vorstandsvorsitzende der Siemens AG, Joe Kaeser, auf die Frage, ob das Unternehmen auch Aufträge ablehnen würde: „Wir haben begriffen, dass Wachstum an sich noch kein Wert ist, vor allem, wenn die Risiken überwiegen.“[i] Diese Aussage des Vorstandsvorsitzenden eines global agierenden Unternehmens, dass Wachstum eines Unternehmens „an sich noch kein Wert ist“, überrascht auf den ersten Blick. Denn immer wieder wird von Konzernen wie Siemens verkündet, ihr Ziel sei es, zu wachsen. Diese Sichtweise steht im Einklang mit der Standardlehre der Wirtschaftswissenschaft, die einem Mantra gleich verkündet: Unternehmen müssen wachsen, wenn sie im globalen Wettbewerb erfolgreich sein wollen. Gewinnmaximierung, kontinuierliche Steigerung des Umsatzes, Erhöhung des Marktanteils lauten aus dieser Perspektive die zentralen Herausforderungen, die das Management umzusetzen habe.

Die ökonomische Logik dieser Interpretation liegt im Prozess der Kapitalverwertung begründet. Denn mit Blick auf die Kapitalgesellschaften, vor allem auf jene, die an der Börse gelistet sind, ergibt sich der Zwang zum Wachstum zum einen aus der Marktdynamik und resultiert folglich aus den Wettbewerbsbedingungen. Zum anderen erwarten die Kapitalanleger ein stetig wachsendes Unternehmen. Damit verbunden ist der Impuls, der über die Kreditvergabe der Banken auf die Wachstumsziele von Unternehmen wirkt. Denn über die Geldschöpfung der Banken als Folge der Kreditvergabe an Unternehmen wird ein Wachstumszwang ausgelöst, der von den Unternehmen zu erfüllen ist, wenn sie ihren Verpflichtungen als Kreditnehmer nachkommen wollen. Hans Christoph Binswanger hat in seinen Studien, beispielweise im Buch „Die Wachstumsspirale“[ii], diesen Mechanismus analysiert.

Folgt daraus, dass Unternehmen aus diesem vom System der Kapitalverwertung gesetzten Zwang heraus wachsen müssen und sie nur dann erfolgreich im Wettbewerb bestehen können, wenn Umsatz und Rendite kontinuierlich steigen?

Wachstum: Die Formel für ökonomischen Erfolg?

Betrachten wir einmal Unternehmen, die in ihrem Markt erfolgreich sind und dort zu den sogenannten Marktführern gehören. Eine besondere Spezies sind die sogenannten „Hidden Champions“, die einer breiten Öffentlichkeit zwar kaum bekannt, aber in ihrem Marktumfeld in einer herausragenden Position im globalen Wettbewerb sind. Viele dieser „Hidden Champions“ sind familiengeführte mittelständische Unternehmen, die ihren Standort eher in der Peripherie haben, also nicht von Metropolen aus agieren. Welche Ziele und Visionen verfolgen diese heimlichen Spitzenreiter?

Die These des Unternehmensberaters Hermann Simon, „Hidden Champions“ verfolgen „vor allem auf kontinuierliches Wachstum und auf Marktführerschaft ausgerichtete Ziele“[iii], erweist sich bei näherer Betrachtung als ein Resultat, weniger als Zielsetzung für ein erfolgreiches Geschäftsmodell. Der Wettbewerbserfolg von „Hidden Champions“ ist vor allem durch deren Produkte und Dienstleistungen, deren Kundenorientierung, deren Markenpflege und deren Mitarbeiterengagement begründet, um nur einige Aspekte zu nennen. Im Zentrum der Strategie steht nicht das Ziel „Wachstum“, sondern die unternehmerische Vision und die Antwort auf die Frage, wie die Wertschöpfung im Geschäftsmodell des Marktumfelds zu gestalten und zu steuern ist.

Aus der Warte der tradierten Ökonomik werden diverse Gründe für das Wachstumsziel genannt. Aus dieser Perspektive ist vor allem ein Argument anzuführen, das für Unternehmensgründungen gilt. Für ein neu in einen Markt eintretendes Unternehmen ist Wachstum relevant, um überhaupt als Mitspieler im Wettbewerb wahrgenommen zu werden. Doch nach dem Erreichen einer konkurrenzfähigen Unternehmensgröße tritt Wachstum als Führungsziel in den Hintergrund. Zwar lautet dann die Vorgabe nicht, dass das Unternehmen nicht wachsen darf. Sondern es handelt sich eher um die Konzentration auf das Wesentliche, nämlich wie kann die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens mittel- und langfristig gewährleistet werden. Und hierbei rücken gerade in mittelständischen Unternehmen andere Ziele in den Vordergrund.

Familienunternehmen – ein sonderbares Phänomen?

Selbst an sich wachstumsorientierte Unternehmensberater, wie beispielsweise Peter Bartels, Vorstand bei PricewaterhouseCoopers und Leiter des dortigen Geschäftsbereichs Mittelstand und Familienunternehmen, sprechen in diesem Zusammenhang von einem „deutschen Phänomen“, wonach gerade für Familienunternehmen das wichtigste Ziel darin bestehe, „die Firma an die nächste Generation weiterzugeben. Das ist wichtiger als Wachstum und Profitabilität“.[iv] Der Hinweis auf ein „deutsches Phänomen“ lässt jedoch vermuten, dass den deutschen Mittelständlern zwar eine traditionsbewusste Werteorientierung zugeschrieben, aber auch Rückständigkeit angesichts eines sich dynamisch wandelnden Weltmarkts mit großen Wachstumschancen attestiert wird. Allerdings ist entgegen der im oben genannten Zitat zum Ausdruck kommenden Skepsis festzuhalten, dass sich das „deutsche Phänomen“ Mittelstand sowohl im nationalen als auch im globalen Wettbewerb gut behaupten kann. Und diese Position ist vor allem ein Ergebnis einer langfristigen Denkweise, die für die Strategie vieler familiengeführter mittelständischer Unternehmen handlungsleitend ist.

Differenzierungen: Emergentes Wachstum vs. Gelenktes Wachstum

Unternehmen, deren Produkte und Dienstleistungen nachgefragt werden und die aufgrund der Marktnachfrage wachsen, werden diese zunehmende Nachfrage nur dann nicht bedienen, wenn Engpässe bei den dafür notwendigen Ressourcen oder Risiken für die Unternehmensentwicklung auftreten. Diese als emergentes Wachstum zu bezeichnende Entwicklung gilt es durch das Management zu steuern, vor allem mit Blick auf die Unternehmenspolitik und –kultur. Es geht hierbei nicht darum, Wachstum zu verhindern. Das wäre aus der Unternehmensperspektive angesichts der Chancen, die eine zunehmende Marktnachfrage bietet, auch etwas blauäugig. Sondern es sollte um Antworten auf die Fragen gehen: Mit welchen Produkten und Dienstleistungen ist das Unternehmen im Markt erfolgreich? Ist das Geschäftsmodell nicht nur ökonomisch erfolgreich, sondern vor allem sozial und ökologisch verantwortbar? Diese normative Fragestellung nach Verantwortung stellt sich, wenn es darum geht, mit welchen Produkten und Dienstleistungen ein Unternehmen wächst.

Wie bereits eingangs erwähnt, wird gerade von Konzernen Wachstum als Wettbewerbsstrategie formuliert. Geht dieser Impuls von der Unternehmensführung aus, dann wird der Versuch unternommen, über Investitionen, Zukäufe und vor allem Marketingkonzepte zu wachsen. Im Unterschied zum soeben skizzierten emergenten Wachstum als Folge der Marktnachfrage wird in diesem Fall die Strategie verfolgt, die Position des Unternehmens im Wettbewerb durch Größenwachstum zu stärken. Wenn dieses Ziel erreicht ist, erscheint weiteres Wachstum auch unter ökonomischen Gesichtspunkten als wenig sinnvoll. Denn mit weiterem Wachstum sind eher Risiken, denn Chancen verbunden. Zwar ist der Zustand fragil, weil Wettbewerb ein dynamischer Prozess ist. Aber auch hier gilt: Wachstum ist kein Ziel „an sich“, sondern ein Ergebnis unternehmerischen Handelns im Wettbewerb. Die normativen, strategischen und operativen Unternehmensziele, um im Wettbewerb bestehen und verantwortlich gegenüber der Gesellschaft und der Natur handeln zu können, sind die zentralen Herausforderungen, denen sich die Unternehmen stellen müssen.

Nachhaltig wirtschaftende Unternehmen unterliegen nicht dem Wachstumszwang

Normativ argumentiert lautet die These: Unternehmen werden sich von der Wachstumsfixierung lösen und sich fragen müssen, wie sie in einem nicht-wachsenden Marktumfeld erfolgreich bestehen können. Unternehmen sollten fähig sein, an die sich verändernden Bedingungen einer Ökonomie mit weniger Ressourcenverbrauch und Emissionsbegrenzung anpassen zu können. Unternehmen unterstützen den Prozess in Richtung einer nachhaltigen Entwicklung, wenn sie sich vom Wachstumsparadigma unabhängig machen und sich den Wachstumszwängen nicht unterwerfen. Denn es geht nicht darum, immer mehr materielle Güter zu produzieren und diese mit möglichst hoher Rendite zu vermarkten. Sondern Ziel einer nachhaltigen Unternehmenspolitik ist es, die Bedürfnisse aller Anspruchsgruppen, nicht nur der Kapitaleigner, sondern vor allem der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, der Kunden und der Gesellschaft zu befriedigen. An die Stelle der Wachstumspolitik tritt eine ökologisch und sozial ausgerichtete Unternehmenspolitik. Nachhaltig wirtschaftende Unternehmen berücksichtigen in ihren Entscheidungen und Prozessen, kurzum in ihrem Handeln, die Externalitäten des Wirtschaftens und damit die Auswirkungen auf Gesellschaft und Natur. Postwachstumsunternehmen denken in Generationen, wirtschaften nachhaltig und sind dabei, sich vom Wachstumszwang und Wachstumsdrang als Impetus ihres Wirtschaftens zu lösen.


 

Nachweise:

[i] Süddeutsche Zeitung, Nr. 263, 15./16. November 2014, S. 28

[ii] Vgl. Hans Christoph Binswanger, Die Wachstumsspirale. Geld, Energie und Imagination in der Dynamik des Marktprozesses, Marburg 2006

[iii] Hermann Simon, Hidden Champions. Aufbruch nach Globalia. Die Erfolgsstrategien unbekannter Weltmarktführer, Frankfurt / New York 2012, S. 112

[iv] Süddeutsche Zeitung, Nr. 261, 13.11.2014, S. 24

1 Kommentare

  1. Es dürfte auch in Stück Selbstkontrolle im inhabergeführten Mittelstand wirksam sein. Regionale Verwurzelung, Familiensinn usw. üben ausgleichende Faktoren aus. Das wäre dann auch oft nachhaltig/zukunftsfähig.

    Was ich allerdings mit Sorge betrachte, sind staatlichen Subventionen, die eine solche Regulierung verhindern. Wo der Weg an die Kapitalmärkte verschlossen ist, sorgt der Staat für Fehlentwicklungen mit steuernden Geldgaben – besonders in der Ökologie. Da wird zwar von ökonomischer und sozialer Nachhaltigkeit gesprochen, aber der Mitwelt-Faktor ausgeschlossen.

    Wenn öffentliche Gelder fließen, sind zukunftsfähige Generationen-Strategien in Gefahr – oder sie werden seit Jahren geschädigt. Abschreckende Beispiele dafür lassen sich z.B. in der Landwirtschaft und Massentierhaltung finden.

    Solche Geschäftsführungen allein sind mit Postwachstumsstrategien überfordert, weil ihnen das Bewusstsein für Generationen fehlt – vom Geld vernebelt. So sind auch die Konsumenten gefordert, nicht Nachhaltiges zu meiden und Verwaltungen zu beauftragen, ihre Handlungsspielräume zu nutzen.

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