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Postwachstum und Kapitalismus: Ein Widerspruch? (7)

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Euphemistische Ökonomik 

In ökonomischen Debatten werden – so wie auch in der Debatte zum Postwachstum – unvermeidlich Begrifflichkeiten verwendet; teils wird das Verständnis dazu vorausgesetzt, teils wird auch um sie gestritten oder sie werden definiert. Der Sprachgebrauch in der Ökonomik ist dabei auffällig euphemistisch (Euphemismus: Beschönigende, verhüllende Umschreibung) sind vertretene Auffassungen sowie damit einhergehende Konsequenzen oft unklar oder unstimmig bzw. Probleme werden teilweise auch nicht mehr adressiert. Neben das Problem der Verwettbewerblichung der Hochschulen, die im fünften Beitrag dieses Blogs problematisiert wurde, besteht auch das Problem der euphemistischen Sprachverwendung, womit das Gelingen einer transformativen Wissensproduktion erschwert wird. Daher soll in diesem Beitrag mit Bezug auf die Wachstumsproblematik erstens an einige ökonomietheoretische Überlegungen und Einsichten erinnert werden aus der Zeit, als dieser Euphemismus noch nicht praktiziert wurde und zweitens soll aufgezeigt werden, warum dies auch für einige hier im Blog vorgebrachten Argumente relevant ist. 

Euphemistische Ökonomik: Verharmlosung und fehlende Konsequenzen 

Ausgehend von der idealisierten Ausgangsannahme, dass alle Marktbeteiligten bei vollständiger Konkurrenz Preisnehmer seien und aufeinander reagieren, werden diese bekanntlich als Anbieter bzw. Nachfrager verstanden. So „logisch“ dieses Herangehen auf den ersten Blick erscheint, so verharmlosend ist dieser bei näherem Hinsehen. Denn mit diesem euphemistischen Sprachgebrauch werden die Vorgänge in der Ökonomie als auffällig unabgeschlossene und somit folgenlose verbalisiert: Statt von Unternehmen, die verkaufen und auch verkaufen müssen, um weiter wirtschaften zu können, redet man von „Anbietern“ – so, als würde über ein „bieten“ hinaus nichts passieren, und Käufer, die kaufen müssen, um zu überleben, nennt man „Nachfrager“, als könnten sie es sich leisten, nur zu fragen. Neben dem Verschwinden der Schattenseite dieser Ökonomie – Firmenkonkurse ebenso wie Entlassene und damit fehlende Kaufkraft – verschwindet dabei ebenso der konkrete Akt der Preissetzung seitens der Unternehmen. Auch bei der Vorstellung des Idealfalls, dass alle Unternehmen als „Preisnehmende“ die Preise aller anderen hinnehmen müssen und nun mit Mengenerhöhung reagieren, um dann einen billigeren Preis anbieten zu können, fehlt der daraus folgende notwendige Schritt: Dass nun ein niedrigerer Preis gesetzt wird. Ebenso fehlt die mögliche Preissetzung durch Oligopole und Monopole, die aufgrund der singulären Stellung und somit entsprechenden Machtstellungen dieser Unternehmen erfolgt. Die aktuellen Folgen dieser Preissetzungen werden mittlerweile als Gierflation diskutiert und analysiert. 

Innerhalb der Ökonomik zeigt hier ein Blick in die Vergangenheit: Selbst Walter Eucken, der als Vordenker der Sozialen Marktwirtschaft gilt, hatte noch in Preisnehmer und Preissetzer differenziert und entlang dieser in entsprechende Unternehmenstypen unterschieden (z.B. preisnehmende Zulieferer, preissetzende Oligopole und Monopole usw.). Mit der Anbieter-Nachfrager-Argumentation bleiben aber nicht nur diese Akte der Preisentstehung und somit auch die realen Vorgänge und damit Marktverhältnisse unterthematisiert, sondern darüber hinaus wird die Preisentstehung mittlerweile dem Markt überantwortet. Einst als Begegnungsort gedacht, später zum „Mechanismus“ erklärt, avanciert der Markt so mittlerweile zum Akteur. In dieser so mystifizierten Welt können Ökonomen wie Paul A. Samuelson und William D. Nordhaus in Selbstbegeisterung dieser Idee Student:innen in ihrem Standardlehrbuch „Volkswirtschaftslehre“ (hier S. 58) auf die drei Grundfragen wirtschaftlicher Organisation, nämlich was, wie und für wen produziert wird, die Antwort geben, dass dies „Märkte“ tun. 

Hoffnung „Marktwirtschaft“ 

Ein Ende dieser euphemistischen Mystifizierung scheint nicht in Sicht. Denn solch Bild einer positiv gelabelten „Marktwirtschaft“ wird mit neuem Vokabular fortgesetzt, wenn es (wie im Beitrag 4 in diesem Block) heißt, Marktwirtschaft sei eine „Kommunikationsform“, die „anonymen Austausch“ ermöglichen würde. Diese Zuschreibung bleibt sogar noch hinter der bis zur Finanzkrise 2006 praktizierten Verharmlosung zurück: Statt von geldbasiertem Kauf und Verkauf wird nun (nur) wieder von „Tausch“ ausgegangen. 

Preise setzen und auf diese reagieren ist aber kein „kommunizieren“, sondern ein aufeinander reagieren mit Kauf- und Verkaufshandlungen einschließlich deren Scheitern. Und diesen Vorgang kann man nicht als „Tausch“ bezeichnen, wenn Geld dabei mehr als nur ein Tauschgut unter vielen ist. Und das ist Geld nicht, wenn es in seiner Bestimmung und Funktionsweise fast ausschließlich so genutzt wird, dass es einen Zins abwirft.  

Diese Erinnerung steht im Kontext eines weiteren Argumentes, dass im Beitrag 4 in diesem Blog vorgebracht wurde: In diesem wurde an das „volkswirtschaftliche Einmaleins“ erinnert, dass so genannte buchhalterische Gewinne, die an „Unternehmenseigner“ ausgezahlt werden, nur ein neutraler Bucheintrag seien und daraus wurde dann abgeleitet: „[…]eine Firma kann dauerhaft buchhalterischen Gewinn erzielen und ihren Eigentümern einen Lebensunterhalt verschaffen, ohne zu wachsen“. Ein Wachstumszwang entscheidet sich aber nicht entlang einer Begriffsdefinition, sondern entlang eines Bilanzergebnisses. Daher sind diese „buchhalterischen Gewinne“ nur dann unproblematisch, wenn alle „Unternehmenseigner“ unverschuldete Firmeneigentümer wären. Aber im Regelfall sind Unternehmenseigner Investoren, die Kredite ermöglicht haben, für die ein Zins zu zahlen ist. Schon allein deshalb ist einer geldbasierten Ökonomie ein Wachstumszwang inhärent. 

Marktwirtschaft als „lauterer“ Leistungswettbewerb? 

Ebenso wenig überzeugt das Festhalten an der Idee der „Marktwirtschaft“ als Wettbewerb, der sich (nur) auf menschliche Leistungen bezieht, wie ebenfalls im Beitrag vier in diesem Blog vorgeschlagen. Denn gekauft werden auf Märkten allerdings auch materiale Produkte. Wolle man nur die „Leistung“ anerkennen, müsste man alle produktbasierten Güter ausschließen und genau das wird dann in dem Beitrag auch propagiert mit der Behauptung: Güter, in denen sich Verbesserungen manifestieren, seien in einem „unlauteren Wettbewerb“ entstanden. 

So verständlich das Anliegen ist, bei dem Rückgriff auf Materialität in Produktionsprozessen die damit einhergehende „Materialschlacht“ und den „Ressourcenverbrauch“ einschränken zu wollen, so wenig gelingt dies, indem wissenschaftlich technischer Fortschritt zu „unlauterem Wettbewerb“ erklärt wird. Denn der wissenschaftlich-technische Fortschritt ist eine der Voraussetzungen für einen zukünftig „intelligenten Ressourcenverbrauch“, der im gleichen Beitrag angemahnt wird. Ebenso sind die menschlichen Leistungen dabei (zum Glück) nicht „natürlich begrenzt“, denn dem menschlichen Erfindergeist sind eben keine Grenzen gesetzt. Zu begrenzen ist aber neben den Ressourcen, die zur Produktion genutzt werden, der Konsum, der zumindest bezüglich der Grundbedürfnisse ebenso materiell basiert ist. Eine Konsequenz aus dieser Einsicht besteht daher in der Forderung nach einer suffizienteren Ökonomie. 

Mehr als nur Wortklauberei 

Die Argumentationen zu „Anbietern“ und „Nachfragern“, zu Märkten als „raffinierter“ Mechanismus oder zu einer Marktwirtschaft als „Kommunikationsform“, die „Austausch“ ermögliche, führen, wie hier problematisiert, zu einem Diskurs, in dem mehr verklärt wird statt erklärt. Einerseits werden mit solch euphemistischer Ökonomik konkrete Verläufe nicht mehr adressiert. Andererseits ist damit auch die Warnung verbunden vor einem sich immer weiter verfestigenden Diskurs, zu dem es schon 2012 von Paul Krugman hieß, damit entstehe ein „New Speak“: „[…]to make it impossible to talk, and possibly even think, about ideas that challenge the established order. 

2 Kommentare

  1. Eigentlich gibt es keinen Beitrag über Postwachstum, der nicht zu der Erkenntnis führt, dass sich suffiziente Ökonomie und Kapitalismus gegenseitig ausschließen.
    Ich möchte ein einfaches praktisches Beispiel anführen, um zu zeigen, dass suffizientes Wirtschaften bereits in vielen Beispielen der realen Welt existiert.
    In der „Küche für alle“, der Küfa werden die Rohstoffe kostenlos dem Container des Supermarktes entnommen. Freiwillige produzieren daraus Essen, welches deshalb kostenlos abgegeben werden kann. Diese Wirtschaft ist aus ihrem Selbstverständnis heraus suffizient. Niemand hat ein Interesse daran, dass sich jemand mehr nimmt, als er möchte, als es seinem momentanen Appetit entspricht.
    Selbst wenn es nur so wäre, dass man auf jegliche Werbung und Manipulation der Gäste, sich mehr zu nehmen verzichten würde, aber die Portionen für fünf Euro verkaufen würde, würden die Gäste darauf bestehen, einheitliche Portionen zu bekommen, unabhängig davon, wie groß ihr Appetit gerade ist.
    Es gibt tausende von Beispielen, z.B. bei Versorgungsstrukturen von Graswurzelbewegungen, die beweisen, dass dieses Wirtschaftsprinzip funktioniert.
    Wenn wir jetzt davon ausgehen, dass wir die „Gaben der Schöpfung“ eigentlich geschenkt bekommen und gemäß dem World Giving Index der Charities Aid Foundation mehr als 40 Prozent aller Menschen bereit sind, freiwillig zu arbeiten, wäre es tatsächlich möglich, diese suffiziente Wirtschaft kurzfristig und global zu realisieren. Alle Voraussetzungen sind vorhanden. Wir müssen es nur tun.

  2. Rainer Kirmse , Altenburg sagt am 23. August 2023

    Vom Urknall zum Anthropozän

    WELTALL – ERDE – MENSCH

    Am Anfang war der Urknall,
    un uns herum der Nachhall.
    Das Weltall in Expansion
    Milliarden Jahre nun schon.

    Es sind dabei die Galaxien
    einander rasant zu entflieh’n.
    Da ist keine Wende in Sicht,
    irgendwann geht aus das Licht.

    Dunkle Materie ist rätselhaft,
    dunkle Energie nicht minder.
    Das Wissen ist noch lückenhaft,
    man kommt nicht recht dahinter.

    Es braucht wohl wieder ein Genie,
    gar eine neue Theorie.
    Des Universums Architektur –
    Was ist der Sinn von allem nur?

    Uns’re Galaxie ist eine von Milliarden,
    ein Spiralsystem, keine Besonderheit.
    Die Erde hatte die besten Karten,
    hier fand das Leben Geborgenheit.

    Aus toter Materie ging es hervor,
    strebte hin zu höchster Komplexität.
    Die Evolution wirkt als ein Motor,
    der einfach niemals ins Stocken gerät.

    Zahllose Arten entsteh’n und vergeh’n,
    bevor der Mensch betritt die Szenerie.
    Auch dessen Ende ist vorherzuseh’n,
    das ist die kosmische Dramaturgie.

    Unser Planet ist ein herrlicher Ort,
    doch wir bedrängen ihn immerfort.
    Was nützt uns Wohlstand und alles Geld,
    wenn am Ende kollabiert die Welt?

    Man produziert und produziert,
    plündert Ressourcen ungeniert.
    Plastikflut und Wegwerftrend,
    man konsumiert permanent.

    Der Mensch, dieses kluge Wesen
    kann im Gesicht der Erde lesen.
    Er sieht die drohende Gefahr,
    spürt die Erwärmung Jahr für Jahr.
    Homo sapiens muss aufwachen,
    seine Hausaufgaben machen.

    Die Jagd nach ewigem Wachstum
    bringt letztlich den Planeten um.
    Das oberste Gebot der Zeit
    muss heißen Nachhaltigkeit.
    Statt nur nach Profit zu streben,
    im Einklang mit der Natur leben.

    Zu viele Buchen und Eichen
    mussten schon der Kohle weichen.
    Retten wir den herrlichen Wald,
    bewahren die Artenvielfalt.
    Kämpfen wir für Mutter Erde,
    dass sie nicht zur Wüste werde.

    Wir alle stehen in der Pflicht,
    maßvoll leben ist kein Verzicht.
    Teilen und Second Hand der Trend,
    Repair vor Neukauf konsequent.
    Bei allem etwas Enthaltsamkeit,
    nehmen wir uns die Freiheit.

    Für die Zukunft des Planeten,
    weg mit Panzern und Raketen.
    Lasst die weißen Tauben fliegen,
    Aggression und Hass besiegen.
    Keiner ist des Anderen Knecht,
    für alle gilt das Menschenrecht.

    Die Leute legen ab den Neid,
    die Religionen ihren Streit.
    Jeder kann glauben, was er will,
    Frieden und Freiheit unser Ziel.

    Rainer Kirmse , Altenburg

    Profitgier und Wachstumswahn beenden,
    das Anthropozän zum Guten wenden.?

    Herzliche Grüße aus Thüringen

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