Teil 1/3
Eigentlich mag die Taz-Wirtschaftsredakteurin Ulrike Herrmann den Kapitalismus. Sie hält ihn für „außerordentlich segensreich“, aber trotz all seiner Segen muss der Kapitalismus jetzt aber doch abdanken, denn er hat „leider eine fundamentale Schwäche: Er erzeugt nicht nur Wachstum, sondern muss auch wachsen […] Ohne ständige Expansion bricht der Kapitalismus zusammen“ (Herrmann 2022: 11). Darum ist Klimaschutz „nur möglich, wenn wir den Kapitalismus abschaffen“, darum brauchen wir eine Alternative, darum brauchen wir Planwirtschaft (Herrmann 2022: 11). Oha, die Alternativlosigkeit der Marktwirtschaft bröckelt, endlich. Aber brauchen wir wirklich eine Planwirtschaft, reicht es nicht den Markt staatlich einzuhegen? Und falls nicht, wie schaffen wir eine demokratische, effiziente und ökologische Planwirtschaft – alles, was die Planwirtschaften des 20. Jahrhundert nicht waren?
Grundsätzlich unflexibel – die unbequeme Wahrheit über die Marktwirtschaft
Verteidiger*innen der Marktwirtschaft unterscheiden gerne einen bösen Kapitalismus von einer guten Marktwirtschaft. So Simoneit/Richters: „Kapitalismus ist ein grundsätzlich marktwirtschaftliches System, welches aber […] ‚aus dem Ruder läuft‘“. Der Kapitalismus ist also eine Art übertriebene Marktwirtschaft, wird diese politisch richtig reguliert, kann sie alles. Grün, gerecht, effizient, ja ist sogar „voll kompatibel mit einer Postwachstumsökonomie“ (Ebd.). Aber gerade „was Märkte ausmacht: Geld, Profit, Konkurrenz und Lohnarbeit“, produziert, was man nicht möchte: Externalisierung von Kosten, Ausbeutung von Natur und Arbeiter*innen, Wachstumszwang. Das sind alles direkte Folgen der Konkurrenz, diese sorgt für Kostenreduktion und regt Innovation an, aber erzwingt auch die Orientierung an Profit über andere Werte wie Nachhaltigkeit, Wohlbefinden der Arbeiter*innen oder Suffizienz. Die Betriebswirtschaftslehre gesteht das frei heraus: „Demnach ist die Unternehmung in der Marktwirtschaft immer darauf ausgerichtet, langfristig einen maximalen Gewinn in Relation zum investierten Eigenkapital zu generieren“. Firmen mit weniger Profit können weniger Werbung bezahlen, weniger Innovation umsetzen und schwerer neue Märkte erschließen. Früher oder später werden sie in der Konkurrenz unterliegen und untergehen. Nestlé könnte sicherlich ökologischer, sozialer und menschlicher produzieren – wahrscheinlich wollen das sogar viele im Unternehmen, aber die steigenden Kosten wären das Ende der Weltmarktposition. Firmen können Gewinne erzielen und „nicht wachsen“, wie es Simoneit/Richters vorschlagen, aber dann gefährden sie ihre Existenz, „schließlich ist ein maximaler Marktanteil die Basis für höhere Gewinne“. Keine Trennung von guter Marktwirtschaft und bösem Kapitalismus also, Profit- und Wachstumszwang resultiert direkt aus dem Markt.
Auf diesem Blog muss kaum erwähnt werden, dass Green New Deal und Entkopplung von Wachstum und Zerstörung nichts wird. „Die große Hoffnung ist, dass sich die gesamte Wirtschaft auf Ökostrom umstellen ließe“, die ist aber eine „Illusion, denn der Ökostrom wird nicht ausreichen“ (Herrmann 2022: 11). Wir haben weder die Ressourcen, noch reicht die Energiedichte erneuerbarer Energien. „Der Markt kann die Frage nach der Suffizienz und nach dem, was wir für ein gutes Leben benötigen, nicht beantworten. Dafür brauchen wir demokratische Planung“ (Wissen 2022). So argumentieren Postwachstumsökonom*innen gegen eine sozial-grüne Marktwirtschaft, marxistische Planwirtschaftsvertreter*innen betonen noch einen anderen Punkt.
Für Ulrich Brand ist der Staat kein „neutraler“ Akteur, in ihm „spiegeln sich die Machtverhältnisse einer Gesellschaft“ (Brand 2015: 25), aber selbst wenn ökologische Linke die Macht hätten, bleibt deren Handlungsmacht stark begrenzt, wie linke Regierungen in Venezuela, Griechenland oder Spanien zeigen. Im Staat spiegeln sich nicht nur die Machtverhältnisse, sondern das Kapitalverhältnis wider. Trotz aller Einsicht für eine hohe CO2-Steuer, starke Ordnungspolitik, fundamentale Aufwertung der Sorgearbeit oder Ende der globalen, rassistischen Arbeitsteilung, müssen auch linke Regierungen die Wettbewerbsfähigkeit, und das heißt Profitträchtigkeit ihrer nationalen Wirtschaft, sichern. Sonst sieht es mit Arbeitsplätzen, Wachstum und Steuereinnahmen schlecht aus.
Darum kann es nicht verwundern, wenn ein Autor, der CO2-Steuern empirisch untersucht, niedergeschlagen bemerkt „Given the praise carbon taxes have received in both literature and policy, the absence of a statistically detectable effect in aggregate emissions is sobering” (Petris 2019: 3). „Yet after nearly four decades of experience with carbon pricing, the empirical evidence to date suggests that low prices are a feature of this policy, rather than a bug. More worrisome is the fact that even those nations with high prices have relatively modest reductions“ (Green 2021: 11f). Auch kann es nicht verwundern, wenn linke Regierungen in Venezuela, Bolivien oder Ecuador gegen ihren Willen mit dem fossilen Extraktivismus weitermachen, wenn Syriza oder Podemos enttäuscht. All diese Regierungen versuch(t)en ein Wirtschaftssystem zu begrünen oder gerecht zu gestalten, das Zerstörung der Umwelt, Leben auf Kosten anderer, Ausbeutung und Profit über Bedürfnisse zu seinen Kernprinzipien zählt. Und die Standortkonkurrenz torpediert dazu noch kooperative Bemühungen einer starken internationalen Sozial- und Klimapolitik. Den klugen Kräften in den genannten linken Bewegungen und Parteien war auch immer klar: Die Marktwirtschaft setzt dem Staat politische Grenzen, die ein Regierungswechsel überschreiten kann, aber eben auch Systemgrenzen, und die sollten wir uns nicht hinwegwünschen oder ignorieren, sondern ernst nehmen. Darum gibt es ein Ende des blinden Wachstums, ein Ende der Zerstörung erst mit einem „Ende des Kapitalismus“ (Herrmann), mit einem Ende der Marktwirtschaft.
Reformist*innen wie Hans-Jürgen Urban drehen – bei all ihrer analytischen Klugheit – den Spieß um, das Zeitprimat der ökologischen Katastrophe verlangt für sie nicht ein deutliches Drängen auf eine planwirtschaftliche Alternative, sondern ein Ausschöpfen der Möglichkeiten in der Marktwirtschaft (Urban 2021, 48:00ff). Diese Möglichkeiten gibt es sicherlich, aber diese sind deutlich geringer als Reformist*innen glauben und sozial und ökologisch notwendig sind. Betonen und überschätzen wir aber die Möglichkeiten, stabilisieren wir mit unserer Forderungen nach hoher CO2-Steuer, Umverteilung und ökologischer Ordnungspolitik das Märchen des rot-grünen Kapitalismus. Dieser erzählt ja am liebsten, wie flexibel er ist, und dass er auch antirassistisch, feministisch, ökologisch und nicht-ausbeuterisch wirtschaften könnte. Wir dürfen bei diesem Märchen nicht miterzählen. Der Staat versagt nicht zufällig, sondern notwendig. Genau diesen Vertrauensbruch in den einhegenden Staat müssen wir in unserer Politik betonen, und damit die Notwendigkeit einer Planwirtschaft.
Brand, Ulrich (2015), Schöne grüne Welt – Über die Mythen der Green Economy. Luxemburg argumente Nr. 3, Berlin.
Green, J. F. (2021). Does carbon pricing reduce emissions? A review of ex-post analyses. Environmental Research Letters, 16(4), 043004.
Nuss, Sabine; Urban, Hans Jürgen (2021): Enteignen und dann?; https://www.youtube.com/watch?v=qnkIHrrBrg4
Pretis, F. Does a Carbon Tax Reduce CO2?Emissions? Evidence from British Columbia.Environ Resource Econ83, 115–144 (2022). https://doi.org/10.1007/s10640-022-00679-w
Wissen, Markus (2022): Planen gegen die Klimakrise – Degrowth, Vergesellschaftung und Planwirtschaft, Vergesellschaftungskonferenz, Berlin.
Weiter:
NOW Collective (2020): Unboxing Capitalism, Wie wir unter 1,5 Grad bleiben, https://www.youtube.com/watch?v=JSGuy3LA-d0&t=52s
Creydt, Meinhardt (2017), Die Armut des kapitalistischen Reichtums und das gute Leben: Ökonomie, Lebensweise und Nachhaltigkeit, München.
Sutterlütti, Simon (2020): Konstruktive Geschwister? Zum schwierigen Verhältnis von Reform, Revolution und Konstruktion, https://www.akweb.de/bewegung/reform-und-revolution-konstruktive-geschwister/