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Klimapläne zwischen Green Growth und Postwachstum

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Pläne über Pläne

Politiker/innen aus verschiedenen Ländern und mit unterschiedlichen Funktionen präsentieren verstärkt Pläne zur Bekämpfung des Klimawandels. Besonders bekannt sind hierbei der Europäische Grüne Deal (European Green Deal) der EU-Kommission um Ursula von der Leyen. In den USA hat die Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez letztes Jahr bereits einen Green New Deal ins Gespräch gebracht, welcher offensichtlich von den Republikaner/innen, aber auch von konservativen Demokrat/innen, kritisiert wurde. Ein solcher Plan ist dabei nichts Neues. Auf US-Bundesebene zog die Vertreterin der Grünen Partei (Green Party US), Jill Stein, bereits 2012 mit einem derartigen Plan in ihren Wahlkampf um die Präsidentschaft. Was häufig vergessen wird, ist, dass es in den USA neben dem festgefahrenen Zwei-Parteien-System noch weitere Parteien gibt, die sich für ein pluralistisches System engagieren, aber bisher wenig Einfluss haben.

Solche Pläne werden von der umwelt- und klimapolitisch engagierten Zivilgesellschaft nicht nur kritisch geprüft, sondern sie bringt auch Vorschläge zur Verschärfung ein oder sie macht direkt ihre eigenen Pläne. In Europa gibt es daher den zivilgesellschaftlich initiierten Green New Deal for Europe, welcher Vorschläge für eine sozial-ökologische Transformation der Union macht, aber auch eine Erweiterung bzw. einen Umbau der EU-Institutionen fordert, um die gesellschaftlichen Herausforderungen adäquat angehen zu können.

Der European Green Deal ist durch die Wachstumsorientierung der EU auf grünes Wachstum ausgerichtet und soll inzwischen auch die durch Covid-19 verursachte Rezession abfedern. Kritik an diesem Plan wurde daher u. a. ausführlich bei einem Panel der Wiener Degrowth-Konferenz im Mai geäußert. Im Folgenden wird sich der Artikel jedoch auf zivilgesellschaftliche Pläne aus und für Deutschland beschränken.

Verschiedene Ansätze, ähnliche Ziele!?

In Deutschland gibt es – meines Wissens – zwei prominente zivilgesellschaftliche Klimapläne, einen von GermanZero e. V. und einen von gerechte1komma5, den sogenannten Klimaplan von unten. Bei ersterem handelt es sich um einen Verein, der vom bekannten (Fahrrad-)Aktivisten Heinrich Strößenreuther ins Leben gerufen wurde, um Deutschland bis spätestens 2035 klimaneutral zu machen. Letzteres ist ein Bündnis von Menschen und zivilgesellschaftlichen Gruppen auch aus dem aktivistischeren Klimaschutzlager, z. B. sind Ortsgruppen von Extinction Rebellion und Fossil Free Frankfurt dabei. Die Pläne verbindet, dass beide die Einhaltung des 1,5° Klimaziels anstreben, vor allem aus der Motivation heraus, intra- und intergenerationelle Gerechtigkeit herzustellen. Wie wir im Folgenden sehen werden, überschneiden sich auch einige der Maßnahmen – das Rad wird nicht jedes Mal neu erfunden; aber es braucht mehr Raum im Verkehr.

Die Wortwahl und die genaue Zielstellung (z. B. mehr Fokus auf Postwachstumsinhalte und Gerechtigkeit beim Klimaplan von unten), aber auch die Ansätze der Planerstellung unterscheiden sich jedoch deutlich. GermanZero hat den knapp 60-seitigen Plan in Zusammenarbeit mit Expert/innen und Wissenschaftler/innen erarbeitet. Dieser Plan wird nun bis zur nächsten Bundestagswahl in ein Gesetz ausformuliert, um ihn der neuen Bundesregierung mit auf den Weg zu geben und möglichst viele Abgeordnete davon zu überzeugen. Der Klimaplan von unten hat aktuell über 250 Seiten. Im kollaborativen und iterativen Schreibprozess soll im Herbst 2020 die zweite Auflage erscheinen, wobei auch hier eine wissenschaftliche Überprüfung der Vorschläge geplant ist. Die Umsetzung soll dann nicht top-down bzw. im Rahmen der existenten politischen Strukturen stattfinden, sondern „[i]n lokalen und überregionalen Gruppen werden Maßnahmen konkret ausgestaltet, weiter diskutiert und unterschiedliche Möglichkeiten ausprobiert, wie der Klimaplan von unten in die Praxis umgesetzt werden kann“ (letzte Seite des Klimaplans).

Komplementär oder konträr?

Bei einigen Maßnahmen sind sich beide Ansätze einig: angemessene CO2-Preise sind nötig, schädliche Subventionen müssen abgebaut und Erneuerbare Energien gefördert werden, wir brauchen längere Garantien auf Produkte/Geräte, etc. Vor allem im Bereich Verkehr überschneiden sich die Maßnahmen stark bzgl. Förderung von Rad, ÖPNV und Schiene sowie starker Reduktion des individuellen motorisierten Verkehrs und Flugverkehrs. In der Landwirtschaft fordern beide eine starke Verringerung und Veränderung der Tierhaltung, wobei bei GermanZero eher von hoher Qualität bei tierischen Produkten und vegetarischer öffentlicher Versorgung die Rede ist, während im Klimaplan von unten bioveganer Anbau angestrebt wird. In beiden Plänen finden sich internationale Ansätze, auch bezogen auf die historische Umweltschuld Deutschlands. Der Abschnitt Wohnen ist im Klimaplan von unten noch nicht veröffentlicht, sodass dieser Punkt noch nicht verglichen werden kann. In diesen Punkten sind die Pläne weitgehend komplementär.

Der Fokus liegt beim Klimaplan von unten jedoch auf einer deutlich demokratischeren Ausrichtung und Umsetzung (z. B. bezüglich einer dezentralen Energiewende) sowie auf Gerechtigkeitsaspekten (Ausgleich Stadt und Land, Umverteilung, Bedingungsloses Grundeinkommen, Wirkung der Umstellung auf Erneuerbare Energien für Länder, aus denen dafür Rohstoffe benötigt werden, …). Bei GermanZero wird zwar von der Abfederung sozialer Härten gesprochen, die konkreten Umsetzungspläne werden aber nicht genauer beleuchtet. Am Ende des Plans von GermanZero werden Maßnahmen für ein klimafreundlicheres Verhalten von Privatpersonen vorgeschlagen, während der Klimaplan von unten von generell Engagement vieler Bürger/innen im Privaten wie Politischen ausgeht und die Punkte daher nicht separiert.

Insgesamt ist der Klimaplan von GermanZero in seinen ökologischen Zielen zwar recht radikal, nicht jedoch in Bezug auf eine gerechte sozial-ökologische Umsetzung. Mit Wörtern wie „Baumoratorien“ und „Suffizienz“ würde sie ihre Zielgruppe – eher die obere Mittelschicht – wohl verprellen. Auf solche Befindlichkeiten und Privilegien nimmt der Klimaplan von unten keine Rücksicht. Die Pläne sind in ihrer Zielgruppe divergent und vor allem in Bezug auf die Rolle von Wirtschaftswachstum konträr:

Grünes Wachstum vs. Postwachstum

Am Ende läuft der Unterschied vor allem auf die Orientierung in Richtung von Green Growth/Grünem Wachstum bzw. Degrowth/Postwachstum hinaus. GermanZero begründet die Maßnahmen klar auch mit ersterem: „Ein „klimapolitisches Wirtschaftswunder“ wäre ein angenehmer Nebeneffekt des vorliegenden Plans. Wichtig ist, dass wir als Gesellschaft mit der nötigen Entschlossenheit in die Rettung des Klimas investieren und unsere gesellschaftliche Infrastruktur entsprechend umbauen“ (S. 4). Im Klimaplan von unten wird dagegen klar Stellung für Postwachstum bezogen: „Denn bisher werden sinnvolle Maßnahmen zum Klimaschutz zumeist auf dem Altar des Wirtschaftswachstums geopfert. Da keine Chance besteht, Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch zu entkoppeln (wie Studien immer wieder belegen), muss die deutsche Wirtschaft insgesamt zumindest aufhören, wachstumsabhängig zu sein, wenn nicht sogar schrumpfen. Da unter den jetzigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ein Wachstumsrückgang oder Schrumpfen der Wirtschaft in eine Krisenspirale führen würde, werden hier Veränderungen der Rahmenbedingungen vorgeschlagen, die eine Postwachstumswirtschaft bei gleichzeitigem Erfüllen menschlicher Bedürfnisse ermöglichen (S. 6).“

Bei der Betrachtung der zwei Pläne zeigt sich einmal mehr, dass die Ansätze einige gemeinsame Wege und Maßnahmen haben, aber sich in ihrer Konsequenz unterscheiden.

Mit- oder Gegeneinander

Wenn GermanZero seine Ziele erreichen und die nächste Bundesregierung auf einen Pfad der zeitnahen Klimaneutralität bringen könnte, würde sich in Deutschland schon eine Menge tun im Vergleich zum Status Quo. Der Verein hat bisher zumindest schon einiges an Wirbel verursacht und die Klimaschutzkampagne wird mit großem Einsatz und professioneller Organisation vorangetrieben. Postwachstumsorientierte sollten gute Vorschläge wie die vielfältigen Maßnahmen des Klimaplans von unten stärker bekannt machen und, soweit möglich, auf lokaler Ebene bereits implementieren. Einige Maßnahmen müssen aber auf höherer Ebene umgesetzt werden. Dafür würde es sich lohnen, die Ansätze von GermanZero mit den entsprechenden Postwachstumsideen zu verbessern. Angelika Zahrnt (im Expert/innenrat) und Maja Göpel (als Reviewerin) waren als wachstumskritische Personen in die Erarbeitung des GermanZero-Plans involviert. Mehr Bewegung in diese Richtung sollte daher möglich sein.

Cathérine Lehmann studierte International Sustainability Management im Master an der ESCP Berlin/Paris und forschte danach an der TU Berlin zu Nachhaltigem Konsum und am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) zu Postwachstum, Engagement, Verbänden und sozial-ökologischer Transformation. Nun befasst sie sich mit der Nachhaltigkeitstransformation von Städten und Regionen. Sie ist politisch und zivilgesellschaftlich aktiv, unter anderem im Klimaschutzverein „3 fürs Klima e.V.“. Sie bloggt auch in ihrer Freizeit über nachhaltiges Leben und aktuelle Themen zur Nachhaltigkeit: https://cathagoessustainable.wordpress.com.

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