Sind kapitalistische Gesellschaften an einen Punkt gelangt, an dem sie im Streben nach dauerhaftem Wachstum die Voraussetzungen ihrer Existenz ernsthaft gefährden? Was sind die Bedingungen und Dynamiken kapitalistischer Wachstumsgesellschaften? Wie wirken sie sich auf die Gesellschaft in all ihren Facetten aus? Wie könnte eine Postwachstumsgesellschaft aussehen? Zu diesen Fragen hat die Kollegforscher_innengruppe „Landnahme, Beschleunigung, Aktivierung. Dynamik und (De-)Stabilisierung moderner Wachstumsgesellschaften (kurz: Postwachstumsgesellschaften)“ an der Friedrich-Schiller-Universität Jena acht Jahre intensiv geforscht. Die Gruppe stellt ihre Ergebnisse auf der internationalen Abschlusskonferenz „Great Transformation: Die Zukunft moderner Gesellschaften“ in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS) vom 23. bis 27. September 2019 in Jena vor. Die Konferenz bietet vielfältige Möglichkeiten sich auch über die Arbeitsschwerpunkte des Kollegs hinaus zu verschiedenen Transformationsfeldern auszutauschen sowie gesellschaftliche Praxisansätze in und um Jena zu erleben.
Die Themen der Konferenz sind entsprechend breit: Fragen einer anderen Mobilität und die Zukunft sozialer Sicherung werden genauso diskutiert wie die Digitalisierung und Vorstellungen zu nachhaltiger Arbeit. Stadtentwicklung und Landwirtschaft spielen im Konferenzprogramm ebenso eine Rolle wie Ungleichheit und Care-Arbeit. Feministische Analysen der Gegenwart und Perspektiven der Geschlechterforschung auf die Frage nach einer möglichen Postwachstumsgesellschaft fehlen genauso wenig wie Workshops und Sessions zu möglichen Ideen und Visionen einer anderen Zukunft.
Ausgangspunkt und Zentrum der Konferenzdebatten ist Karl Polanyis Diagnose einer „Großen Transformation“: Niedrige Wachstumsraten, wachsende Ungleichheit innerhalb von Staaten, zunehmende ökologische Zerstörung und verstärkte Migrationsbewegungen sind nur einige Anzeichen tiefgreifender Umbrüche, die vor allem in den Länder Nordamerikas und Europas stattfindet. Diese Transformation wird voraussichtlich eine Abkehr von den über Jahrzehnte hinweg prägenden Wachstumsmustern, Produktionsformen und Lebensweisen beinhalten. Doch wohin wird sie führen? Wer soll die Weichen stellen? Und welchen Beitrag kann die Soziologie, können die Sozialwissenschaften leisten, um über Triebkräfte, Folgen und mögliche Perspektiven gesellschaftlicher Umbrüche aufzuklären?
Mit diesen Fragen beschäftigt sich die Jenaer Konferenz. In mehr als 170 Vorträgen, Podiumsdiskussionen und thematischen Sessions debattieren Wissenschaftler_innen aus unterschiedlichen Fachdisziplinen und Regionen der Welt. Hierzu gehören u. a. mit Keynote-Vorträgen: Massimo de Angelis (University of East London), Lucio Baccaro (MPI Köln), Regina Becker-Schmidt (Universität Hannover), Gurminder K. Bhambra (University of Sussex), Luc Boltanski (EHESS Paris), Klaus Dörre (Universität Jena), Arnaud Esquerre (EHESS Paris), Hartmut Esser (Universität Mannheim), James K. Galbraith (University of Texas), Phil S. Gorski (Yale University), Qingzhi Huan (Universität Peking), Stephan Lessenich (LMU München), Branko Milanovi? (City University New York), Evgeny Morozov, Jason W. Moore (Binghampton University, USA), Hans-Peter Müller (HU Berlin), Wolfgang Streeck (MPI Köln), Maristella Svampa (Universidad Nacional de La Plata, Argentinien), Joan Tronto (University of Minnesota) und Hartmut Rosa (Universität Jena). Es werden etwa 1.300 Teilnehmende erwartet.
Über die Wissenschaft hinaus sucht die Konferenz intensiv den Austausch mit politisch Engagierten, Gewerkschaften, Verbänden und der breiten Öffentlichkeit. Im Sinne einer „Öffentlichen Soziologie“ werden sie von Anfang an als Diskussionspartner_innen und Impulsgeber_innen in den verschiedenen Veranstaltungen eingebunden.
Begleitend zur Konferenz richten wir außerdem gemeinsam mit der Stadt Jena und transformativen Initiativen vor Ort ein Festival zur Konferenz aus. Im Rahmen dieses Festivals finden Ausstellungen, Stadtspaziergänge, Vernetzungstreffen, Workshops, Musikveranstaltungen und gemeinsame kulinarische Events statt. Diese laden dazu ein, sich den Themen der Konferenz in anderer Weise zu nähern, Ideen und Handlungsmöglichkeiten austauschen und Jenaer_innen sowie Gäste der Stadt noch besser kennenzulernen.
Der Blog Postwachstum wird als Diskussionsplattform der Konferenz dienen. Hier werden im Vorfeld zentrale Ergebnisse und Thesen der Konferenz vorgestellt und mit den Leser_innen debattiert. Während und nach der Konferenz besteht die Möglichkeit Berichte zu inhaltlichen Highlights zu teilen oder weiter zu den Themen der Konferenz zu diskutieren. Durch die Kooperation werden Brücken zwischen (soziologischen) Fachdebatten, dem gesellschaftlichen Diskurs, praktischen Projekten und persönlichen Erfahrungen geschlagen. Alle Artikel zur Konferenz finden sich im Blog-Newsletter und gebündelt hier.
Wir freuen uns auf eine spannende Woche im September in Jena und auf alle, die mit uns über die Zukunft moderner Gesellschaften diskutieren wollen!
Weitere Informationen zum Programm, organisatorische Hinweise und Anmeldemöglichkeiten finden Sie hier.
Zur Kollegforscher_innengruppe Postwachstumsgesellschaften:
Die Kollegforscher_innengruppe besteht seit 2011 und wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert. Die Leitung liegt bei Klaus Dörre und Hartmut Rosa. Bis 2015 gehörte auch Stephan Lessenich dem Leitungsteam an, der der Gruppe als Special Fellow weiterhin eng verbunden ist. Ein Schwerpunkt der Forschung lag in den letzten zwei Jahren auf Fragen nach möglichen Konturen einer Postwachstumsgesellschaft. Es wurden Ideen und Vorschlägen für mögliche Eckpfeiler einer Gesellschaft untersucht, die nicht mehr kapitalistischen Zwängen nach immer weiterem Wachstum unterliegen.
Bild-Design: Sarah Cords