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Die Digitalisierung im Sinne von Postwachstum gestalten

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Bericht von der Degrowth Summer School im Leipziger Land

Die diesjährige Degrowth Summer School fand auf dem Klimacamp Leipziger Land statt. Am vielseitigen Programm beteiligte sich auch unsere Forschungsgruppe zu „Digitalisierung und sozial-ökologische Transformation“ mit dem zweitägigen Workshop „Achtung, die Digitalisierung kommt!?“. Bei strahlendem Sonnenschein zeigte sich passend zum Klimacamp das Wetter von seiner wärmsten Seite. In doppelsinnig hitzigen Diskussionen loteten die Teilnehmenden den Zusammenhang von Digitalisierung und Postwachstumszielen aus.

Ein breites Feld von Chancen und Risiken

Am ersten Tag wurde der Status quo der Digitalisierung genauer betrachtet: Woher kommt sie, wie hat sie sich bisher entwickelt? Beim gemeinsamen Sammeln aktueller Narrative und Versprechungen der Digitalisierung wurde deutlich: Auf dem weitläufigen Einsatzgebiet der Digitalisierung kann man sich schon mal verlaufen – von dezentralen Energiesystemen, digitalen Währungen, Sharing-Plattformen, Automatisierung, Social Media, neuen Zugängen zu Bildung und Information, e-Participation, Smart Everything, Internet of Things, Industrie 4.0 bis hin zu den obligatorischen selbstfahrenden Autos war alles dabei. Fazit: in fast jedem unserer Lebensbereiche hat das Digitale Einzug gehalten oder wird dieser Einzug zumindest schon mal prognostiziert. Dabei entwickeln sich die Technologien ständig weiter. Umso schwieriger, ein klares Bild der Chancen und Risiken zu umreißen. So wurde beispielsweise im Konsumbereich deutlich, dass heute zwar durch den erweiterten Zugang zu Informationen, Handlungswissen und nachhaltigen Konsumangeboten nachhaltige Lebensstile stark vereinfacht werden – faktisch jedoch bleiben diese Angebote gerne in der Nische stecken, während absatzorientierte Online-Shops im zweistelligen Wachstumsbereich boomen und den schnelllebigen Konsum weiter anfeuern. Denn obwohl sich viele Hoffnungen an die Digitalisierung knüpfen, ist gerade die Förderung von Nachhaltigkeit bei den digitalen Innovationen bei weitem kein Selbstläufer und stark von den Motiven der Akteure abhängig, welche die digitale Umwelt aktuell gestalten.

Vom Informationsaustausch zur Daten- und Materialschlacht

Wer sind also die Akteure, die die digitalen Räume prägen? Als das Zeitalter der Digitalisierung ihren Anfang nahm, wurde das Internet zunächst als stabiles Informationsnetzwerk für militärische Operationen von Akteuren aus Militär und Forschung aufgebaut. Doch auch zivilgesellschaftliche Idealist/innen sahen große Potenziale: Hacker/innen und Aktivist/innen der counterculture Bewegung kämpften in den 60er und 70er Jahren bereits gegen die militärisch-industrielle Macht und für eine lebensfreundliche Technik. Sie sahen das Internet als demokratischen und emanzipatorischen Raum, an dem jede/r teilhaben und der frei gestaltet werden konnte. Nun, rund 50 Jahre später lässt sich eine teilweise ernüchternde Bilanz ziehen: Zwar hat der Zugang zu Informationen und die Vernetzung zugenommen. Doch gleichzeitig beobachten wir Monopolisierung, Kommerzialisierung, und dadurch steigenden Konsum ressourcenintensiver Güter und Dienstleistungen durch das Internet, welches größtenteils von wenigen kommerziellen Akteuren beherrscht wird. Zudem bleibt der Datenschutz noch immer ungelöst, wie netzpolitische Plattformen nicht müde werden, zu betonen. In ihrer aktuellen Form sind digitale Räume geprägt von Konsumanreizen und Überwachungsgefahren. Die These, Digitalisierung in ihrer derzeitigen Stoßrichtung würde zu einer nachhaltigeren Welt beitragen, erscheint aus diesem Blickwinkel eher gewagt.

Konvivialität und Suffizienz: wie Digitalisierung postwachstumsfreundlich werden kann

Am zweiten Tag des Workshops rückte der Fokus auf die Gestaltung einer zukunftsfähigen Digitalisierung. Zum einen wurden gemeinsam drei Leitprinzipien aus dem Buch „Smarte grüne Welt“ von Steffen Lange und Tilman Santarius diskutiert. Unter der Prämisse, dass Gesellschaft und Politik die Digitalisierung viel stärker gestalten müssen, schlagen sie digitale Suffizienz, konsequenten Datenschutz und Gemeinwohlorientierung als Leitprinzipien für eine zukunftsfähige Digitalisierung vor. Daran anknüpfend ging es anschließend konkret um die Gestaltung digitaler Technologien. Das Konzept konvivialer, also lebensfreundlicher Technik von Andrea Vetter zeigt anhand von Auswirkungen auf zwischenmenschliche Beziehungen, Zugang, Selbstbestimmung, Wechselwirkung mit der biologischen Umwelt und Ressourcenverbrauch die unterschiedlichen sozialen, gesellschaftlichen und ökologischen Wirkungsweisen von Technik auf. Die Gruppe führte diese über das Konzeptwerk Neue Ökonomie zur Verfügung gestellte Übung am Beispiel des Smartphones durch. Das Ergebnis zeigte: in der lebensfreundlichen Gestaltung von digitalen Endgeräten gibt es durchaus noch Luft nach oben.

Abrechnung mit dem Smartphone – die Workshop-Teilnehmenden vergaben bei der Bewertung rote Zahlen insbesondere in ökologischen, aber auch sozialen Auswirkungen

Einladung zum Mitreden und Mitgestalten

Dem Ausmaß des Themas geschuldet, gingen die Teilnehmenden mit mehr Fragen als Antworten nach Hause. Ob und wie die Digitalisierung zu einer Postwachstumsgesellschaft beitragen kann; diese Frage wird uns in Zukunft auf jeden Fall weiter begleiten. Klar wurde, dass es höchste Zeit ist, die aktuellen digitalen Trends umzukrempeln, die Ärmel hochzukrempeln und aktiv zu werden.

Eine breite gesellschaftliche Debatte darüber, welche Aspekte der Digitalisierung wir für eine nachhaltige Zukunft umsetzen möchten, ist längst überfällig. Dabei gilt es vor allem, die Diversität der Gestaltungsakteure zu erhöhen, und kommerziellen Playern nicht das Feld zu überlassen. Dies dachten sich auch die neun Trägerkreis-Organisationen der Konferenz „Bits & Bäume – Die Konferenz für Digitalisierung und Nachhaltigkeit“. Am 17. und 18. November laden sie daher die Communities der Nachhaltigkeits- und Techie-Bewegungen ein, sich genau diesen Fragen zu stellen. Wer nun Lust bekommen hat, bei der Gestaltung der Digitalisierung mitzumischen, der/m sei der Anlass wärmstens empfohlen. Als Teilnehmende, aber auch als aktive Gestalter/innen: der Call for Participation ist noch bis zum 19.8.18 offen und wir freuen uns über Beiträge gerade auch aus der Postwachstumsbewegung!

Vivian Frick ist seit Juni 2016 am Zentrum Technik und Gesellschaft tätig und promoviert in der Nachwuchsgruppe „Zwischen Rebound-Risiken und Suffizienz-Chancen: Herausforderungen der Entkopplung von Umweltverbrauch und Wirtschaftswachstum am Beispiel der Digitalisierung von Dienstleistungen“. Sie hat Sozialpsychologie mit Nebenfach Politikwissenschaft an der Universität Zürich studiert. Danach arbeitete sie zunächst am Institut für Nachhaltige Entwicklung der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) zur Förderung suffizienten Energieverhaltens. Anja Höfner hat Soziologie (B.A.) und Nachhaltigkeitsökonomik (M.A.) studiert und arbeitet als Forschungsassistenz am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung zu dem Thema Digitalisierung und sozial-ökologische Transformation. In bisherigen Forschungsarbeiten hat sie sich mit den Themen Commons und kollaborativer Ökonomie beschäftigt.

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