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Adieu, Wachstum! Das Ende einer Erfolgsgeschichte

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Mit seinem im Tectum Verlag erschienen Buch „Adieu, Wachstum! Das Ende einer Erfolgsgeschichte“ (2016) sticht Norbert Nicoll in den Kern der Probleme unserer Zeit: der Politikwissenschaftler und Ökonom illustriert, dass unsere herrschende Wachstumsorientierung obsolet ist und zunehmend an Glaubwürdigkeit verliert. Durch komplexe, aber sachliche Beschreibungen, die mit alltagsnahen Beispielen aufgelockert werden, gelingt es dem Autor auch all jene anzusprechen, die sich bisher wenig mit Wachstumsgrenzen beschäftigt haben.

In seinem Buch versucht Nicoll die Schattenseiten des Wachstums zu entlarven und sucht dafür nach den Ursprüngen der vermeintlichen „Erfolgsgeschichte des Wachstums“. Zur Analyse greift Nicoll dabei auf Erkenntnisse aus unterschiedlichen Fachrichtungen zurück. Sein interdisziplinärer Aufschlag umfasst Einblicke aus der Geschichte, wenn es beispielsweise um die Herleitung des Kapitalismus aus dem mechanischen Weltbild geht, ebenso wie Wissen aus der Psychologie, um zu erklären, wie das „Wachstum in unseren Seelen“ Einzug hielt. Doch auch vor der Physik macht Nicoll nicht halt, um zu erklären, dass Energie nicht grenzenlos in verfügbarer Form vorhanden sein wird (Gesetze der Thermodynamik); und er bezieht sich auf die Soziologie, um die Rolle des Wachstumsversprechens für den sozialen Zusammenhalt einer Gesellschaft zu erklären und benennt deutlich, welche geopolitischen Konflikte unser fossiles Energieregime – eine Grundlage des Wachstum-getriebenen Kapitalismus – schon heute hervorruft. In seinen Ausführungen bezieht sich Nicoll dabei auf bekannte heterodoxe Vertreter*innen (u.a. K. Polanyi, E. Altvater, N. Gorgescu-Roegen, T. Picketty,), aber auch im Mainstream anerkannte Theoretiker wie den Soziologen Thorstein Velben und seine Ansichten zum „demonstrativen Konsum“.

Leider finden dabei feministische Autor*innen keine Beachtung, was in einer so reichhaltigen Analyse durchaus zu erwarten gewesen wäre. Dies ist besonders bedauerlich, bietet eine genderspezifische Sicht auf die andauernde multiple Krise doch wichtige konzeptionelle Einsichten: wirtschaftliches Wachstum fußt auf einer doppelten Externalisierung. Also nicht nur der Trennung von Ressourcen, sondern auch der Trennung von bis heute meist von Frauen geleisteten Sorge- und Reproduktionsarbeit von der restlichen Ökonomie. Diesen Aspekt ignoriert Nicoll fast gänzlich, obgleich er die gängige Kritik am BIP übernimmt und erwähnt, dass „Soziale Lebensgrundlagen […] aus Sicht der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung im wahrsten Sinne des Wortes keinen Wert“ hätten (S. 135).

Dennoch schafft es Nicoll mit seiner unaufgeregten Art, das Für und Wider des Wachstumsglaubens zu beschreiben, ohne dabei seine Thesen zu überfrachten und von den zentralen Knackpunkten abzulenken. Besonders glückt ihm dies bei der Frage nach der Energiewende und möglichen Entwicklungspfaden weg vom fossilen Kapitalismus: in den detailreichen Ausführungen holt er durch seine alltagsnahe Sprache selbst fachfremde Leser*innen ab und führt geduldig von Peak Oil & Peak Everything zur Problematik der Ressourcenerschöpfung und betont dabei die Nettoenergie als zentrales Kriterium, um Energieträger zu bewerten. In seinen Ausführungen zur Ressourcenerschöpfung überrascht er womöglich einige Leser*innen, wenn er neben den übliche Verdächtigen wie Öl auch auf andere, weniger offensichtliche Ressourcen eingeht: fruchtbare Böden als Grundlage für Nahrungsanbau, Sand als Baustoff und Rohstoffe wie Kupfer und Seltene Erden, die in unserem hochtechnisierten Alltag unverzichtbar geworden sind.

Insgesamt hebt Nicoll deutlich hervor, welche Nadelöhre sich aus den kapitalistischen Produktions- und Konsumweisen ergeben. So illustriert er ein komplexes Bild davon, wie uns wirtschaftliches Wachstum unvermeidbar vor immense Herausforderungen stellt. Seine umfassende Bestandsaufnahme beschönigt er also nicht, sondern bietet eine realistische Abschätzung der gegenwärtigen Situation. Die Quintessenz: „Vieles spricht im Augenblick dafür, dass sich die Menschheit auf einem gefährlichen Entwicklungspfad befindet. In dieser Frage stimmt eine überwältigende Zahl von seriösen Wissenschaftlern aus höchst unterschiedlichen Fachrichtungen überein“ (S. 35).

Was Nicoll nicht bietet und auch explizit nicht möchte, ist einen „12-Punkt-Rettungsplan“ aus der multiplen Krise zu präsentieren. Dies begründet er zu Recht mit der Aussage, dass ein solcher Rettungsplan „hoffnungslos unterkomplex“ sei und sich große Transformationen nicht technokratisch planen ließen (S. 403). Er hinterlässt die Leser*innen aber nicht hoffnungslos zurück, sondern betont die Möglichkeit jeder*jedes Einzelnen „freiwillige Einfachheit“ zu leben, also einen suffizienten Lebensstil orientiert am Guten Leben zu pflegen. Und auch den skeptischsten Stimmen, die einen solchen Verzicht als Verlust wahrnehmen, bietet er eine charmante Antwort, indem er einen Perspektivwechsel vorschlägt: „Nicht: Worauf müssen wir in Zukunft verzichten? Sondern: Worauf verzichten wir im Moment?“ (S. 408). Dennoch bleibt die geschlechtshierarchische Strukturierung der Wachstumsökonomie Nicolls blinder Fleck und so verpasst er es, in seinem Plädoyer der sozialen Reproduktion explizit die Bedeutung beizumessen, die ihr sowohl ökonomisch wie auch gesellschaftlich zukommen sollte.

 

Norbert Nicoll: Adieu, Wachstum! Das Ende einer Erfolgsgeschichte. Marburg: Tectum Verlag 2016

Santje Kludas ist politische Ökonomin (M.A.) und Forschungsassistentin am IÖW. Sie studierte in Lüneburg Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaften mit Nachhaltigkeitsschwerpunkt. Anschließend fokussierte sie sich im heterodox geprägten Master Political Economy of European Integration an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin auf die Umsetzung der „Großen Transformation“ und ihre Genderdimension. So untersuchte sie in ihrer Abschlussarbeit, unter welchen Bedingungen eine Lohnarbeitszeitverkürzung zu mehr sozialer Nachhaltigkeit und Gendergerechtigkeit in der EU beitragen kann.

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