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Utopie Entkopplung

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Was haben VW, die EU und die Chinesische Kommunistische Partei gemeinsam? Sie alle setzen auf „grünes Wachstum“ als Erfolgsformel. Grünes Wachstum soll „den Binnenmarkt stärken“, die „Wettbewerbsfähigkeit steigern“ und die die Zukunft sichern“. Damit ist grünes Wachstum Wunschtraum und Wiederwahlhoffnung vieler Umwelt- und Wirtschaftsminister: das Versprechen, den Wohlstand auch in Zukunft zu erhalten, ohne verzichten zu müssen. Doch nicht nur das. Es ist gleichzeitig retrospektive Vergewisserung, die Zusicherung bisher alles richtig gemacht zu haben, da ein Weiterarbeiten wie bisher möglich bliebe. Man müsste nur weiterhin effizienter werden und das Wachstum von den Umweltauswirkungen „entkoppeln“.

Dieser Mythos der Entkopplung ist nur eines von mehreren Luftschlössern, die Tim Jacksons in seinem Buch „Wohlstand ohne Wachstum“ zurück auf den Boden holt. Unter der inzwischen beachtlichen Anzahl an wachstumskritischen Büchern auf dem Markt, sticht Jacksons Werk nicht nur durch seine umfassende Aufarbeitung des Themas hervor. Als Wirtschaftsprofessor im Auftrag der britischen Regierung kann er im ökonomischen Diskurs vor allem auch hohe Glaubwürdigkeit herstellen. Besonders deutlich wird dies bei der stringenten Dekonstruktion etablierter ökonomischer Maximen in den ersten Kapiteln des Buches. So deckt Jackson nicht nur die Triebkräfte unserer vom Wachstum getriebenen Gesellschaft auf, sondern führt dem Leser auch vor Augen: Ein entkoppeltes Weitermachen wie bisher ist kaum möglich.

Dabei nutzt er zur Veranschaulichung sowohl die Empirie, die zeigt, dass in der für den Klimaschutz wesentlichen Frage der Emissionen pro Einheit Wirtschaftsleistung weltweit noch keine Trendwende zu beobachten ist (S.50), als auch einfache Arithmetik, mit der er aufführt, dass die Kohlenstoffintensität jedes weltweit ausgegebenen Dollar selbst bei moderatem Wirtschaftswachstum, im Jahr 2050 etwa 130 mal geringer sein müsste als heute (S.55). Führt man sich vor Augen, dass die größte industrielle Revolution der Welt mit dem wachsenden Energiehunger der BRIC-Staaten erst noch bevor steht und die weltweite Kohlenstoffintensität zur Zeit ansteigt statt fällt (S. 49), wird deutlich wie utopisch die  Entkopplungsidee ist.

Mit seinen leicht nachvollziehbaren Argumenten und der umfassenden Behandlung der Wachstumsproblematik ist Jacksons Buch deshalb sowohl für Themeneinsteiger, als auch für Postwachstumveteranen zu empfehlen, die aktuelle Datengrundlagen für ihre Argumente oder neue Lösungsansätze kennen lernen wollen.

Dieser Beitrag entstand im Rahmen des Seminars „Postwachstumsökonomie“ an der Universität Witten/Herdecke in Zusammenarbeit mit dem Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie.

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