Transformationsmodelle und -expert/innen liefern Erkenntnisse
Dass sich in unserer Welt vieles ändern muss, ist in Anbetracht der zahlreichen Krisen von Klimawandel und Biodiversitätsverlust über Rassismus und soziale Ungleichheit zu gesundheitlichen Bedrohungen wie der aktuellen Pandemie klar. Die Frage ist jedoch, wie die notwendige sozial-ökologische Transformation gelingen kann. Dem widmet sich Kora Kristof in ihrer (Forschungs-)Arbeit auf systematische Art und Weise: „Wie kann dieser systemische Wandel – der zum Teil ja schon stattfindet – unterstützt, stimuliert, zielführend gestaltet und dauerhaft verankert werden?“ (S. 12).
Sie beginnt ihr Buch „Wie Transformation gelingt – Erfolgsfaktoren für den gesellschaftlichen Wandel“ nach der Beschreibung der Fragestellung mit der Vorstellung bisheriger Ansätze zu Nachhaltigkeitstransformationen. Dabei klammert sie Literatur zur Ex-Post-Analyse von Veränderungsprozessen aus, die sich häufig auch mit der Zielrichtung der Veränderung beschäftigt („transformative Forschung“) und fokussiert sich stattdessen auf Forschung für erfolgreiche Veränderungen („Transformationsforschung“) und Ex-Ante-Modelle (S. 13). Sie skizziert daher den niederländischen ‚Transition-Management‘-Ansatz (Geels, 2002, 2011; Loorbach, 2004; Rotmans & Loorbach, 2009), den ‚Transformation-Puzzle‘-Ansatz des Öko-Instituts (Grießhammer & Brohmann, 2015), den ‚Smart CSOs Lab‘-Ansatz (Civil Society Organisations) (Narberhaus & Sheppard, 2015) und ihren eigenen ‚Models of Change‘-Ansatz (Kristof, 2010b, 2010a).
In Anbetracht der gesellschaftlichen Veränderungen und neuerer eigener sowie externer Forschung hat Kora Kristof entschieden, ihren Ansatz weiterzuentwickeln. Dies hat sie auf Basis aktueller Literatur, ihrer praktischen Erfahrung mit dem alten Models of Change-Ansatz und mit 30 Tiefeninterviews getan. Die Interviewten haben vielseitige Hintergründe und sind zentrale Figuren aus der (überwiegend deutschen) Nachhaltigkeitslandschaft wie Prof. Dr. Dirk Messner (UBA, damals WBGU), der auch das Vorwort verfasst hat, Prof. Dr. Maja Göpel (WBGU), Prof. Dr. Harald Welzer (Futurzwei) und Prof. Dr. Uwe Schneidewind (damals Wuppertal Institut). Aus der Postwachstumsrichtung waren auch einige direkte Vertreter/innen dabei wie Prof. Dr. Irmi Seidel und Prof. Dr. Reinhard Loske. In der zweiten Hälfte des Buches in Kapitel 5 finden sich anonymisiert die zusammengefassten Ergebnisse aus diesen Interviews und die jeweiligen Transformationsmodelle der Expert/innen. Darin spiegeln sich zusätzliche Anregungen wider, die nicht explizit im ersten Teil des Buchs aufgegriffen werden. Für die Leser/innen dieses Blogs ist es sicherlich interessant zu hören, dass vier der Expert/innen unabhängig voneinander darauf hingewiesen haben, dass die Nachhaltigkeitsbewegung sich auch mit Vertreter/innen der Wachstumskritik zusammentun kann, bzw. dass etablierte Denkmuster wie z. B. über die Rolle von Wirtschaftswachstum in der Gesellschaft hinterfragt werden sollten, was bisher noch nicht weitflächig der Fall ist.
Welche Faktoren für Transformation essenziell sind
Die Quintessenz aus den Interviews verknüpft Kora Kristof für die Leser/innen in Kapitel 2 mit der Theorie und stellt Erfolgsfaktoren und Modelle für Veränderungsprozesse vor. Dabei wird u. a. die Relevanz von Zielstellungen, Auslösern für Veränderung und Zeitaspekten sowie der Umgang mit Komplexität und Unsicherheit erläutert. Besonders wichtig sei es, auch das Phase-out veralteter Techniken und Praktiken, die sogenannte Exnovation nicht zu vergessen und sinnvoll mit Phase-in bzw. Innovation zu verknüpfen, auch wenn sich ggf. unterschiedliche (kooperierende) Akteure diesen Aspekten annehmen. Es sei gut, mit Experimenten und Pilotprojekten Alternativen zum Status Quo zu testen und weiterzuentwickeln, aber es sollten auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Strukturen geändert werden. Kora Kristof weist zudem darauf hin, dass Selbst-Reflexion bei den Veränderungsakteuren sehr wichtig ist, um zum Beispiel Erfolge und das eigene Vorgehen adäquat bewerten zu können. Weniger geläufig ist vermutlich der Hinweis, dass man die Kraft des Gegners/Widerstände auch für die eigenen Zwecke nutzen kann und sollte. In einem der Interviews wird dies mit der japanischen Kampfkunst Jiu-Jitsu verglichen, welche rein defensiv ist und die Kraft des Angriffs nutzt, um diesen abzuwehren. Es wird dann weniger eigene Energie für eine Abwehr benötigt. In Bezug auf Transformationen bedeutet das laut Kristof zunächst, dass Widerstände richtig kategorisiert werden sollten, und zwar nach folgenden Aspekten: 1) Wogegen richtet sich der Widerstand? (z. B. gegen die neue Idee, die Notwendigkeit zur Veränderung, systemischer Widerstand, ausgelöst durch Unwissenheit, allgemeine Veränderungsresistenz) und 2) nach Reifegrad von Veränderung und Widerstand. Davon abhängig kann der Widerstand gehandhabt werden, beispielsweise können andere Ideen zur Verbesserung der eigenen genutzt werden, blockierende Personen in gemeinsame Lösungen mit einbezogen werden, Angst vor Verlusten kann durch ergänzende Maßnahmen gemindert werden und Widerstand kann ggf. ignoriert werden. Dafür seien eine „lösungsorientierte, proaktive Haltung sowie die notwendige Flexibilität, neue Lösungen zu finden“, hilfreich (S. 43).
‚Models of Change‘ in neuer Version
In den kurzen Kapiteln 3 und 4 fasst Kora Kristof alle diese und weitere Aspekte in ihrem neuen ‚Models of Change‘-Ansatz zusammen und schlägt einerseits vor, wie dieser in der Praxis eingesetzt und andererseits, wie der Ansatz auch durch Forschung weiterentwickelt werden kann. Das Modell enthält eine Beschreibung von relevanten Kompetenzen für erfolgreiche Veränderungen, welche in Basis- und prozedurale Kompetenzen unterteilt sind. Zu ersteren zählen (Selbst-)Reflexion als Grundhaltung; Widerstände nutzen, nicht bekämpfen; ganzheitliche Ansätze nutzen; und Veränderungskompetenzen/-kultur aufbauen. Bei den prozeduralen Kompetenzen handelt es sich um Umgang mit Komplexität und Unplanbarkeit, systematischer und breiter Einbindung von Akteuren und adäquatem Umgang mit Zeitaspekten. Dies wird mit den vorig skizzierten Erfolgsfaktoren Visionen und Ziele, Verbindung von Phase-in und -out, Testen in kleinem Maßstab und Änderung von Strukturen ergänzt und am Ende in einem Konzept verknüpft.
Insgesamt handelt es sich um ein theoretisches, wissenschaftliches Buch, welches keine leichte Lektüre über die Verbreitung von Veränderungsansätzen darstellt. Dies wird auch durch das schematische Coverdesign ausgedrückt und zeigt sich durch die stark akademische Auswahl der Interviewpartner/innen. Es kann sicherlich eine gute Basis für weitere Forschung im Transformationsfeld / Transition Research liefern und die Ergebnisse der Interviews sind in Ergänzung zum Modell interessant zu lesen. Für meine Begriffe kann Kora Kristofs Buch nicht nur als Ansatzpunkt für Forschung hilfreich sein, sondern auch als eine Art ausführliches Handbuch für Veränderungsakteure. Gruppen, die in einem solchen Prozess stecken oder ihn gerade beginnen, können damit überprüfen, ob sie relevante Aspekte ausreichend beachten, worin sie sich noch verbessern müssen, welche Kooperationspartner/innen fehlen und ob sie systematisch genug an das Thema herangehen. Es wäre spannend zu sehen, wie das Buch dabei (erfolgreich) genutzt wird, um dann auch konkretere Praxisbeispiele, Do’s/Don’ts und Best Practices vorstellen zu können, an denen sich Akteure noch leichter orientieren können als an dem abstrakten ‚Models of Change‘-Modell. Um den eigenen Prozess anhand der vorgeschlagenen Aspekte und Schritte zu prüfen, kann das Buch jetzt bereits herhalten; in Zukunft würden Erfahrungsberichte über den Umgang mit den Modell die Lektüre sicherlich gut ergänzen.
Kora Kristof (2020): Wie Transformation gelingt – Erfolgsfaktoren für den gesellschaftlichen Wandel. München: oekom verlag.
Weitere Literatur (zitiert in Kristof, 2020):
Geels, F. W. (2002). Technological transitions as evolutionary reconfiguration processes: a multi-level perspective and a case-study. Research Policy, 31(8–9), 1257–1274. https://doi.org/10.1016/S0048-7333(02)00062-8
Geels, F. W. (2011). The multi-level perspective on sustainability transitions: Responses to seven criticisms. Environmental Innovation and Societal Transitions, 1(1), 24–40. https://doi.org/10.1016/j.eist.2011.02.002
Grießhammer, R., & Brohmann, B. (2015). Wie Transformationen und gesellschaftliche Innovationen gelingen können. In UBA UFOPLAN-Vorhaben. https://doi.org/10.5771/9783845267326
Kristof, K. (2010a). Models of Change: Einführung und Verbreitung sozialer Innovationen und gesellschaftlicher Veränderungen in transdisziplinärer Perspektive (1st ed.). Zürich: vdf Hochschulverlag an der ETH Zürich.
Kristof, K. (2010b). Wege zum Wandel – Wie wir gesellschaftliche Veränderungen erfolgreicher gestalten können. München: Oekom Verlag.
Loorbach, D. (2004). Governance and Transitions – An multi-level policy-framework based on complex systems thinking. Berlin Conference on Human Dimensions of Global Environmental Change. Online unter: userpage.fu-berlin.de/ffu/akumwelt/bc2004/download/loorbach_f.pdf
Narberhaus, M., & Sheppard, A. (2015). Re.imagining Activisim: A practical guide for the Great Transition. Online unter: https://www.smart-csos.org/images/Documents/reimagining_activism_guide.pdf
Rotmans, J., & Loorbach, D. (2009). Complexity and Transition Management. Journal of Industrial Ecology, 13(2), 184–196. https://doi.org/10.1111/j.1530-9290.2009.00116.x