Normative Tabus auflösen
Ergänzend zum Bedarf der Reflektion vermeintlicher Wachstums-Normalitäten dürfte das Auflösen von sachlich unbegründeten und unhinterfragten Tabus Voraussetzung für eine echte Kurswende bei der Energieverbrauchsminderung sein. Gemeint sind vor allem politische und nicht fachlich begründete Setzungen wie das de-facto-„Verbot“ von neuem Ordnungsrecht der letzten Koalitionsverträge, der Widerstand gegen eine Bepreisung externer Kosten auf Grundlage von wissenschaftlichem Sachverstand, oder der weit verbreitete Unwillen, bereits bestehende Energieverbrauchsgruppen wie den Geräte- oder Gebäudebestand wirksam zu regulieren.
Die Gründe für derlei Tabus dürften vielfältig sein, angefangen bei einer starken Rolle von Lobbyverbänden (ob Industrieverbände oder Wohnungswirtschaft) bis hin zu Politik und Verwaltung selbst, die diese Dogmen nach endlosen Repetitionsschleifen bereits verinnerlicht zu haben scheinen, oder sie aus Angst vor entsprechenden Reaktionen vorauseilend implementieren und damit weiter zementieren. Wie es anders gehen kann, zeigen in dem Politikfeld Nachbarländer wie Dänemark oder die Niederlande, bei denen eine ambitioniertere und konsensorientierte Energieeinspar-Politik quer über die Parteienlandschaft zu beobachten ist.
Energieeinsparung und Energieeffizienz in die Fläche bringen
Es scheint erforderlich, die Erfahrungen der Skaleneffekte der Erneuerbaren Energien nach dem ersten EEG von 2000 auf die Energieeffizienz-Politik zu übertragen und zu deklinieren, mit welchen Politikinstrumenten sich hohe Umsetzungsraten erreichen lassen. Letztere sind vor allem dann notwendig, wenn wie bisher in dem heterogenen Politikfeld vor allem auf kleinteilige Politikinstrumente gesetzt wird. Dies betrifft unter anderem die notwendige Verdoppelung der leitungsgebundenen Wärmeversorgung bis 2050 gegenüber heute, die Umsetzung von Maßnahmen aus Energieeffizienz-Förderprogrammen, oder auch mögliche Suffizienz-Förderinstrumente. Im Gegensatz zum EEG 2000 könnte am Ende möglicherweise auch mehr als ein Politikinstrument herauskommen, um der Unterschiedlichkeit der Regelungsbereiche gerecht zu werden, selbst wenn Schlichtheit auch Trumpf ist. Nebenbei bemerkt bedeutet das auch: Mit Blick auf die Ambitionshöhe von 2030 und 2050 muss die Zeit der Pilotvorhaben zu Ende gehen.
Eine effektive Lobby fürs Energiesparen aufbauen
Der letzte Punkt betrifft vor allem strategische Aspekte. Vor dem Hintergrund der im Vergleich mit anderen Sektoren eher begrenzten Anzahl an Lobby-Akteuren, deren Schlagkraft bei einem derart breiten Themenfeld weiter „verdünnt“ wird, stellt sich die Frage, wie die Energiespar-Lobby in die Breite geführt und effektiviert werden kann. Diese Forderung richtet sich explizit nicht gegen die wenigen aktiven Effizienz-Verbände wie die Deneff, die immer wieder hervorragende Arbeit leisten. Es geht vielmehr darum, „Lobby“ in einem breiteren gesellschaftlichen Verständnis zu denken. Denn das Thema ist bislang bei fast allen Akteuren von Parteien bis zu den Umweltverbänden, die sich rhetorisch zuvorderst aufs Energiesparen berufen, personell dünn besetzt, wenn es überhaupt explizit feste Stellen dafür gibt. Das wirkt sich auch auf die wenigen bestehenden Bündnisse wie das Bündnis Effizienzwende aus.
Dazu kommt: Gerade auch weil sie so heterogen sind, schwächen sich die unterschiedlichen Lobby-Akteure bisweilen gegenseitig. Ein Beispiel ist die problematische Blockade (sinnvoller) ambitionierter Sanierungs-Instrumente aus (ebenfalls sinnvollen) sozialpolitischen Intentionen. Zwei Belange, die nicht zwingend im selben Instrument zu adressieren sind und nicht gegeneinander ausgespielt werden müssten. Daneben könnte eine Energiespar-Lobby auch durch ein verbessertes Zusammenspiel mit weiteren gesellschaftlichen Gruppen wie Wissenschaftler*innen oder sozialen Bewegungen gewinnen. Leider trifft für beide bislang eine ähnliche Situationsbeschreibung zu, wie sie für die bisherigen Lobby-Verbände selbst gilt: Wissenschaftliche Expert*innen sind über das breite Themenfeld aufgefächert, die sozialen Bewegungen bislang auf „dickere Bretter“ wie Kohleausstieg oder konkrete mobilisierungsstärkere Konfliktthemen fokussiert.
Fazit: Neuausrichtung der Energieeffizienz-Politik notwendig
Der Artikel plädiert vor dem Hintergrund der empirisch düsteren Ausgangslage für eine drastische Neuausrichtung der bestehenden Energieeffizienz-Politik. Insbesondere wird angeregt, eine solche Diskussion zeitnah zu führen, da der Blick in der Vergangenheit oftmals stark auf das unmittelbar anstehende Zieljahr lag, und scheinbar weit entfernte Ziele weniger im Fokus standen. Da diese Ziele näher rücken, lohnt es sich, einen Schritt zurückzutreten und die Diskussion über grundlegenden Änderungsbedarf zu führen, um sich nicht in Detaildiskussionen über Politikinstrumente oder kleinteilige technische Aspekte zu verlaufen.
Dazu wurden fünf nach Ansicht des Autors zentrale „Baustellen“ angerissen. Die Wende beherzt einzuleiten, lohnt sich derzeit mehr denn je. Und zwar nicht nur wegen der Bundestagswahl 2021 und den Chancen, die eine neue Bundesregierung mit sich bringt, sondern auch aufgrund der Erfahrungen mit der Pandemie-Situation. Die für viele bis dato unvorstellbare Situation hat zahlreiche alte Gewissheiten einstürzen lassen und bei allen schmerzlichen Erkenntnissen erstmals deutlich aufgezeigt, dass ein „Anders“ und auch „Weniger“ möglich sind. Gerade weil es darum gehen muss, Zukunftsfähigkeit „by design and not by desaster“ zu erreichen, ist die Diskussion um eine effektive Politik der Energieverbrauchsminderung unerlässlich.
Dies ist der zweite Teil eines zweiteiligen Artikels. Zum ersten Part gelangen Sie hier.
Hinweis:
Bei diesem Text handelt es sich um einen gekürzten und überarbeiteten Beitrag auf Grundlage des Artikels „Warum eine Kurswende bei der Energieeffizienz notwendig ist. Fünf große Fragen für eine erfolgreiche Reduktion des Energieverbrauchs“ in der aktuellen Ausgabe 3/2021 der Zeitschrift „Ökologisches Wirtschaften“ des IÖW. Die hier wiedergegebene Meinung muss zudem nicht zwingend mit der Meinung des Umweltbundesamtes, Arbeitgeber des Autors, übereinstimmen.
Warum so viel Aufwand?
Warum machen wir es nicht wie die Schweizer?
Ressourcenverbrauch wesentlich höher finanziell belasten und als Öko-BGE an alle Bürger zurückverteilen?
Wer profitiert von diesem großen Aufwand, obwohl er in meinen Augen volkommen überflüssig erscheint?