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„Wohlstand ohne Wachstum“ braucht gleichmäßige Einkommensverteilung

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Wie ist es möglich, die Ziele des Umweltschutzes zu erreichen und gleichzeitig die Einkommensungleichheit zu reduzieren? Auf der Basis einer makroökonomischen Analyse argumentiere ich für die folgende These: Während kurzfristig hohes Wachstum nötig sein dürfte, um die ökonomische Ungleichheit in vielen Staaten zu reduzieren, wird längerfristig erst die Reduzierung der Ungleichheit den dauerhaften Zwang zu weiterem Wirtschaftswachstum überwinden helfen und somit umfassende Arbeitszeitverkürzungen attraktiv machen.
Dieser Beitrag stellt die Einleitung zu meinem Text dar, der vor wenigen Tagen in der Zeitschrift „Aus Politik und Zeitgeschichte“ veröffentlicht worden ist und hier heruntergeladen werden kann.

Das Verhältnis von Wirtschaftswachstum, gesellschaftlichem Wohlstand und Umweltschutz ist ambivalent. Einerseits schafft und erhält Wachstum Einkommen und Arbeitsplätze und trägt damit zum Wohlstand bei. Wie während der Finanzkrise ab 2008 und der durch sie ausgelösten Krise des Euroraums deutlich wurde, trifft das Ausbleiben von Wachstum – unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen – besonders die Schwächsten der Gesellschaft unmittelbar hart. Ein hohes Wirtschaftswachstum kann gesellschaftliche Verteilungskonflikte entschärfen und die Umverteilung von Einkommen erleichtern. Dabei ist die Reduzierung der Ungleichheit aktuell umso notwendiger, als sie von Ökonomen zunehmend als Hauptursache der weltweiten Krise ab 2008 ausgemacht wird. (Vgl. für einen Überblick: Till van Treeck, Did inequality cause the U. S. financial crisis?; ders./Simon Sturn, Income inequality as a cause of the Great Recession?)

Andererseits werden aus ökologischer Sicht die „Grenzen des Wachstums“ immer deutlicher. Denn der regelmäßige Anstieg des Bruttoinlandsprodukts (BIP) führt – beim aktuellen Stand der Technik – zu negativen Folgen für die Umwelt, insbesondere zu Klimaveränderungen durch Treibhausgasemissionen. Längerfristig gefährdet umweltbelastendes Wirtschaftswachstum daher den gesellschaftlichen Wohlstand und bringt zudem ein erhebliches gesellschaftliches Konfliktpotenzial mit sich. Denn wirtschaftlich schwächere Personengruppen beziehungsweise Staaten haben in der Regel einen größeren Teil der mit Umweltschäden verbundenen Kosten zu tragen. (Vgl. James K. Boyce, The Political Economy of the Environment)

Zugleich zeigen Ergebnisse der Glücksforschung immer wieder, dass es in reichen Ländern längerfristig keinen positiven Zusammenhang zwischen dem durchschnittlichen Einkommensniveau beziehungsweise dem Wachstum des BIP und der durchschnittlichen Lebenszufriedenheit der Menschen gibt. Entscheidender ist ab einem bestimmten Niveau die Verteilung der Einkommen: Soziale und gesundheitliche Probleme häufen sich vor allem in Ländern mit hoher Ungleichheit (vgl. Richard G. Wilkinson/Kate Pickett, The Spirit Level).

Trotz Wirtschaftswachstum steigt daher in vielen Ländern der gesellschaftliche Wohlstand nicht, während die Treibhausgasemissionen hoch bleiben. Auf der anderen Seite drohen bei weniger Wachstum noch größere soziale Verwerfungen. Was kann getan werden, um dieses Spannungsfeld aufzulösen? Beispielsweise kann die Verkürzung der Arbeitszeit helfen, Beschäftigung auch bei weniger Wachstum zu halten und damit die sozialen Folgen von geringerem Wachstum abzufedern. Aber sie ist voraussetzungsvoll, denn geringere Arbeitszeit bedeutet auch geringere Löhne, was derzeit insbesondere für die unteren und mittleren Einkommensgruppen wenig attraktiv erscheint. Deswegen ist die Umweltfrage stark mit der Verteilungsfrage verknüpft.

Im Folgenden wird zunächst aufgezeigt, dass für das Erreichen der politisch verabredeten Reduzierung der Treibhausgasemissionen in der Europäischen Union (EU) bis 2050 eine Reduzierung des Wirtschaftswachstums nötig sein dürfte. Um einem massiven Abbau von Beschäftigung vorzubeugen, müsste daher auch die durchschnittliche Arbeitszeit stark reduziert werden. Einer flächendeckenden Arbeitszeitverkürzung steht aber die Ungleichheit in der Einkommensverteilung im Weg, deren jüngere Entwicklung im darauffolgenden Abschnitt für die USA und Deutschland beschrieben wird. Danach wird zuerst genauer erörtert, warum ein hohes Wirtschaftswachstum zumindest kurzfristig durchaus hilfreich beziehungsweise sogar unabdingbar sein dürfte für die Reduzierung der Einkommensungleichheit. Die anschließende Diskussion empirischer Forschungsergebnisse legt jedoch den Schluss nahe, dass eine dauerhafte Verdrängung von Verteilungskonflikten durch Wirtschaftswachstum nicht nur an ökologische Grenzen stoßen wird, sondern auch aus sozialen Gründen mit großen Gefahren verbunden ist.
Hieraus ergibt sich eine auf den ersten Blick paradoxe Schlussfolgerung: Während kurzfristig hohes Wachstum nötig sein dürfte, um die ökonomische Ungleichheit in vielen Staaten zu reduzieren, wird längerfristig erst die Reduzierung der Ungleichheit den dauerhaften Zwang zu weiterem Wirtschaftswachstum überwinden helfen und somit umfassende Arbeitszeitverkürzungen attraktiv machen (vgl. Simon Sturn/Till van Treeck, Wachstums­zwang durch Ungleichheit und Ungleichheit als Wachstumsbremse)

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