Dass sich unser Wirtschaften ändern muss, wenn wir die ökologischen Krisen abwenden wollen, ist mittlerweile anerkannt. Umstritten sind jedoch die Wege dorthin. Ist ein grüner Kapitalismus mit weiterem Wirtschaftswachstum denkbar, in dem nur ökologischer produziert wird? Oder ist eine Rücknahme des Wachstums und des Konsums unabdingbar, weil neue Technologien allein nicht reichen werden? Und wie würden dann die Wohlfahrtssysteme aussehen? Schließlich: Setzen wir bei Reformen im Kapitalismus an oder brauchen wir ganz neue ökonomische Erzählungen? Diesen Fragen stelle ich mich in meinem neuen Buch „Wirtschaftswende“.
Die Vorzüge des Wohlstandsversprechens, das nach 1945 für viele Menschen in den westlichen Ländern auch eingelöst wurde, sind evident. Die Attraktivität des Modells ist zugleich sein Problem geworden. Denn mittlerweile sind auch die Schattenseiten offensichtlich. Es handelt sich dabei um ein Wohlstandsparadox: Wir sägen an dem Ast, auf dem wir sitzen. Und wir beuten andere mit unserer „imperialen Lebensweise“ (Brand/Wissen) weiter aus. Der Kapitalismus ist sozial und ökologisch blind. Produziert wird für Menschen mit genügend Kaufkraft, nicht für jene mit Bedarf. Die Natur wird ausgebeutet, die Ökosysteme werden destabilisiert.
Neben dem Abschied von den fossilen Energieträgern muss der Materialverbrauch drastisch reduziert, die Biodiversität wieder erhöht und die Regeneration der Böden, Meere und anderen Ökosysteme eingeleitet werden.
Umgestaltung des Wirtschaftens ist mittlerweile akzeptiert
Auch wenn es weiterhin Widerstände der alten Beharrungskräfte gibt, setzt sich im Mainstream durch, dass Veränderungen anstehen – Klimaneutralität, Kreislaufwirtschaft und der Natur angepasste Lösungen gelten als neue Leitprinzipien eines anders zu gestaltenden Wirtschaftens. Drei Ideenströmungen – oder auch ökonomische Erzählungen – lassen sich unterscheiden. Green Growth-Konzepte setzen auf technologische Lösungen und die Umlenkung der Finanzströme auf nachhaltige Technologien und Produktionsstrukturen. Degrowth-Konzepte verweigern sich neuen Technologien nicht, gehen aber davon aus, dass diese nicht reichen werden. Da auch die neuen Technologien Ressourcen verbrauchen, müssten zudem verbrauchsärmere Konsumstile umgesetzt und Strategien entwickelt werden, wie Unternehmen und Staaten auch ohne Wachstum gutgedeihen können. Vertreter:innen postkapitalistischer Entwürfe gehen davon aus, dass Kapitalismus ohne Wachstum nicht möglich sei, die Zuspitzung der ökologischen Krisen daher eine Vergesellschaftung der Produktion erfordern werde.
Reformen als Zukunftsweg
In den Mainstreamdebatten überwiegt der Ansatz eines grünen Kapitalismus – er ist anschlussfähig für Unternehmen und Politik; Postwachstumsansätze werden bislang in Nischen diskutiert, Planwirtschaften mit vergesellschafteten Betrieben sind historisch desavouiert. Es ist in unser aller Interesse, einen geplanten Umbau unserer Wirtschaften innerhalb der planetaren Grenzen anzugehen – an Postwachstum für die reichen Volkswirtschaften führt dabei aus meiner Sicht kein Weg vorbei.
Realistisch erscheint, den Kapitalismus durch Reformen zu zügeln und diesem eine andere Richtung zu geben. Dazu zählen Auflagen für Unternehmen etwa durch strenge Lieferkettengesetze – das EU-Parlament hat ein solches im April 2024 verabschiedet, globale Mindeststeuern, die Internalisierung ökologischer Kosten in die Produktion durch CO2-Steuern und wirksame Emissionszertifikate sowie ökologische Richtlinien für das Produktdesign. Die sich verschärfende Vermögens- und Einkommensschere kann durch ein wirksames Steuersystem, aber auch durch soziale Innovationen wie ein Erbe für alle, das etwa Thomas Piketty oder das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung vorschlägt, überwunden werden.
Notwendig bleibt auch ein Wertewandel sowie ein neues Framing des Wirtschaftens – nicht mehr die Produktion für jene, die bereits genug haben, sondern für jene, die Bedarf haben, muss in den Fokus rücken. Ob die Abkehr vom Überkonsum jedoch allein durch die Ausbreitung postmaterieller Lebensstile erreicht werden kann, wie der Postwachstumsökonom Niko Paech hofft, ist fraglich. Denkbar wären auch gestaffelte Konsumsteuern, selektive Werbeverbote sowie höhere Werbeabgaben, wie etwa Jason Hickel vorschlägt. Vorgaben für die Tabakindustrie könnten durchaus auch auf klimaschädliche Produkte ausgeweitet werden. Und: Verbindliche Reduktionspfade für Treibhausgase und Ressourcenverbrauch werden den Warenkonsum ohnedies verteuern – der Zugang aller zur Befriedigung der Grundbedürfnisse muss ins Zentrum des Wirtschaftens gerückt werden. Der Wachstumsdrang könnte durch höhere Kapitalertragssteuern, die hohe Renditen weniger attraktiv machen, oder durch langfristige Beteiligungsformen an Unternehmen, etwa die von Kate Raworth vorgeschlagenen „Evergreen Direct Investments“ gedämpft werden.
In der Energiewende können wir auf immer bessere Technologien sowie deren Wettbewerbsfähigkeit hoffen. Zugleich müssten jedoch alle Subventionen in fossile Energien umgehend abgestellt werden. Zudem muss der Reduktion des Energieverbrauchs mehr Augenmerk geschenkt werden, was insbesondere eine andere und verringerte physische Mobilität sowie ein Zurückfahren des Güterkonsums zugunsten langlebiger Produkte erfordert.
Die Pandemie hat so wie davor die Finanzkrise zu einer starken Ausweitung der Staatstätigkeit geführt – unterstützt wurden nicht nur die Bürger*innen, sondern in großem Ausmaß auch Unternehmen. Die Chance, den Staatsinterventionismus für eine sozial-ökologische Wende zu nutzen, wurde nur bedingt genutzt. Die Hoffnungen auf nachhaltige Wirtschaftsweisen in einer Post-Corona-Gesellschaft wurden enttäuscht, der Wunsch nach Rückkehr zur alten Normalität war zu groß. Die lockere Geldpolitik führte letztlich gemeinsam mit dem Ansteigen der Energiepreise im Zuge von Putins Krieg gegen die Ukraine doch in die Inflation, die nun mit einem Anziehen der Zinsen gedämpft werden soll.
Kapitalismus am Limit?
Manche sprechen vom „Kapitalismus am Limit“, so etwa Ulrich Brand und Markus Wissen in ihrem neuen Buch. Doch die These vom Zusammenbrechen des Kapitalismus ist strittig. Ebenso nebulös sind die Vorschläge zur Umsetzung eines Ökosozialismus. Reale Chancen auf neue Paradigmensetzungen und Umsteuerungen haben meines Erachtens lediglich Reformkonzepte, die an vielen Bereichen ansetzen, um das Wirtschaften in neue Bahnen zu lenken. Die Verschiebung der Kapitalströme auf nachhaltige Technologien und Produktionsstrukturen gelingt jedoch nur, wenn die fossilen und ressourcenvergeudenden Produktions- und Konsumstrukturen weniger lukrativ als die nachhaltigen sind.
Hier ist die Politik gefordert – moderne Wirtschaft funktioniert über die Sprache der Preise. Unternehmen und Bürger:innen brauchen neue Grenzsetzungen – auf Freiwilligkeit (allein) ist nicht zu vertrauen. Zudem sind die Wirtschaftsstrukturen so auszurichten, dass eine gute Grundversorgung für alle sichergestellt wird, nicht mehr der unbegrenzte Zugang zu Luxusgütern. Der Begriff des Wohlstands wird von jenem des Wohlbefindens abgelöst, Fortschritt nicht mehr als Expansion, sondern als Anpassung an neue ökologische Begebenheiten gesehen, wie der Soziologe Philipp Staab ausführt.
Umsteuerung passiert nicht auf Knopfdruck
Umsteuerung passiert nicht auf Knopfdruck, angestoßen von einer Kommandozentrale, sondern braucht das Drehen an vielen Schrauben – größeren und kleineren. Umsteuerung braucht daher auch viele Menschen, die in vielen Bereichen Neues wagen, und Politik und Wirtschaft ermuntern, dies ebenfalls zu tun. Die Wege der Transformation sind vielfältig. Die Umsteuerungen müssen daher nach dem Mehr-Ebenen-Prinzip in allen Bereichen erfolgen. Die Politik hat die Rahmenbedingungen zu setzen. Diese tut und kann dies jedoch nur, wenn sie genügend zivilgesellschaftlichen Druck verspürt. Dafür sind Allianzen aus Nichtregierungsorganisationen, innovativen, nachhaltigen Unternehmen, sich ökologischen Fragen öffnende Gewerkschaften und für den Wandel offenen Vertreter*innen aus der Politik zu schmieden. Auch Vermögende können für die Transformation gewonnen werden, wie die Initiative „Tax me now“ oder aufgeschlossene, emanzipatorische Stiftungen zeigen.
Die Zukunft bleibt offen. Das kann als Hoffnungsmoment gelesen werden, aber auch als Hinweis auf keine Gewissheit eines guten Ausgangs. Der Suchprozess nach neuen, besseren Lösungen auf allen Ebenen, in allen Gesellschaftsbereichen und in allen Wirtschaftssektoren muss weitergehen. Die Aufgaben der Politik werden steigen, das erfordert weitsichtige und mutige Politiker:innen. Ebenso braucht es aber innovative und aufgeschlossene Unternehmer:innen, eine engagierte und kreative Zivilgesellschaft sowieso.
Der Weg einer „Just Transition“ macht neben neuen Technologien und sozialen Erfindungen auch eine faire Verteilung des dann geschrumpften Wirtschaftsprodukts nötig. Wir werden in Zukunft nicht schlechter leben, aber anders. Positive Zukunftsbilder bleiben wichtig, um antidemokratischen sowie restaurativen Kräften die Stirn zu bieten. Sollten sich die ökologischen Krisen – oder auch die geopolitischen – zuspitzen, werden wir froh sein auch über heute noch unvorstellbare Konzepte moderner Rationierungswirtschaften – Corona hat dafür einen Vorgeschmack gegeben. Doch noch ist auf eine evolutionäre Transformation, die auf eine Veränderung der Institutionen und Regelwerke ebenso setzt wie auf einen Bewusstseins- und Wertewandel zu hoffen. Ob die Zeit dann gereicht haben wird, bleibt offen. Aber die Klimaforschung betont, dass jedes Zehntel Grad weniger Erwärmung sinnvoll ist. Also jede Maßnahme in die richtige Richtung zählt.