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Wirtschaftsdemokratie ‚von unten‘ (II)

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Hier geht es zum ersten Teil des Beitrags ‚Wirtschaftsdemokratie ‚von unten“.

Förderung eines Demokratischen Charakters durch Unternehmensdemokratie

Im ersten Teil des Artikels haben wir die Mikroebene als Basis des Drei-Ebenen-Modells der Wirtschaftsdemokratie vorgestellt. Die Mikroebene der Wirtschaftsdemokratie spielt eine zentrale Rolle als gesellschaftlicher Erfahrungsraum, in dem demokratische Handlungskompetenzen und ein kollektiver „demokratischer Charakter“ entstehen können – Voraussetzungen für eine wirksame Teilhabe an gesamtwirtschaftlichen Planungsprozessen. In hierarchisch strukturierten Unternehmen bleiben solche Erfahrungsräume systematisch verwehrt, da Entscheidungsmacht zentralisiert und Partizipation begrenzt ist. Selbst wenn Mitentscheidung auf strategischer Ebene gegeben ist, ist diese erst abgesichert, wenn damit nicht die herkömmlichen Eigentumsstrukturen verbunden sind, die es Eigentümer:innen ermöglichen, Strukturen und Prozesse ohne Rechtfertigung gegenüber Anspruchsgruppen zu verändern, sodass Partizipationsgrade sich ggf. wieder verringern. Demokratische Unternehmen hingegen schaffen Experimentierfelder, in denen Beschäftigte und andere Anspruchsgruppen nicht nur über Arbeitsabläufe, sondern auch über strategische Ausrichtungen und Eigentumsfragen mitentscheiden.

Diese Praxis fördert ein gesteigertes Selbstwirksamkeitsgefühl und verändert individuelle Haltungen: Wer im Arbeitsalltag erfährt, dass eigene Ideen gehört und kollektive Lösungen entwickelt werden, überträgt diese demokratische Kompetenz auch auf zivilgesellschaftliche und politische Teilhabeprozesse. Gleichzeitig wirkt Unternehmensdemokratie einer politischen Entfremdung entgegen, wie sie in klassischen Hierarchien entsteht: Wenn über Köpfe hinweg entschieden wird – etwa bei ökologischen Transformationen –, verstärkt dies Frustration und schafft Nährboden für antidemokratische Tendenzen (Vgl. Göpfert (2024) & Büchling / Dörre / Lösche (2023)). Das verweist auf mögliche positive Zusammenhänge zwischen demokratischer Planung auf der Mikro- und der Makroebene: Wer in betrieblichen Demokratien gelernt hat, Konflikte deliberativ auszutragen und Verantwortung für Gemeinwohlbelange zu übernehmen, kann sich auch auf gesamtwirtschaftlicher Ebene an Planungsprozessen beteiligen.

Demokratische Prozesse in Unternehmen sind damit kein Selbstzweck, sondern schaffen Lernräume der Demokratisierung – sie können eine andere Form des Wirtschaftens ermöglichen, die bereits im Hier und Jetzt die normativen Grundlagen für ein gutes Leben für alle innerhalb planetarer Grenzen verankert und demokratische Prozesse auf Meso- und Makroebene vorbereitet.

Die demokratische Aushandlung betrieblicher Prozesse schafft außerdem ein Bewusstsein für systemische Zusammenhänge – etwa wie lokale Produktionsentscheidungen globale Lieferketten oder Klimaziele beeinflussen. Dieses Wissen befähigt Beschäftigte, nicht nur innerbetrieblich, sondern auch in gesellschaftlichen Debatten (z. B. zu Klimaschutzgesetzen) fundiert zu partizipieren. Gerade in einem kapitalistischen System ist dieser Anspruch jedoch ständig herausgefordert und steht unter Druck: Die Logik des Wettbewerbs, der Profitmaximierung und kurzfristiger Renditeerwartungen wirkt als mächtiger Gegenspieler zu demokratischen und nachhaltigen Entscheidungsprozessen.

Das macht es so kompliziert, demokratische Mitbestimmung und ökologische Verantwortung in Unternehmen tatsächlich durchzusetzen. Trotz aller Bemühungen um Transparenz, Beteiligung und systemisches Denken werden demokratische Alternativen immer wieder an strukturelle Grenzen stoßen, solange sie in ein kapitalistisches System eingebettet sind. Der Aufbau demokratischer Strukturen auf betrieblicher Ebene ist ein wichtiger Schritt, um Erfahrungen zu sammeln, Bewusstsein zu schaffen und schrittweise Veränderungen zu ermöglichen – er muss jedoch durch strukturelle Änderungen auf der Makroebene begleitet werden.

Wirtschaftsdemokratie und Umweltschutz

Die Studie eines Forscher:innenteams um Raymond Markey von der Macquarie University in Sydney bestärkt die positiven Wirkungen von Mitbestimmung: Mitbestimmung wirkt als Katalysator für präventiven Umweltschutz, da Beschäftigte Risiken früher erkennen und weniger an kurzfristigen Profitinteressen orientiert handeln (vgl. Markey/McIvor/O’Brien/Wright 2019). Ein Beispiel sind genossenschaftlich organisierte Energiebetriebe, die durch Mitarbeiter:innenbeteiligung schneller auf erneuerbare Technologien umstellen als konventionelle Konzerne. Je mehr verschiedene Arten von Mitbestimmung es im Unternehmen gibt, von Arbeitnehmendenvertretungen bis zu runden Tischen mit der Geschäftsführung, desto ausgeprägter sind laut der Studie Bemühungen um die Umweltverträglichkeit der Unternehmen. Auch Robert Scholz kommt in seiner Studie zur Erkenntnis, dass CDAX-gelistete Unternehmen mit einer starken Arbeitnehmenden-Mitbestimmung im Aufsichtsrat einen um durchschnittlich 18,9 Prozentpunkte höheren ESG-Score haben (vgl. Scholz 2023) (Der ESG-Score ist eine numerische Bewertung der „nachhaltigen und ethischen Leistung“ eines Unternehmens anhand der Kategorien Environmental (Ökologisches), Social (Soziales) und Governance (Unternehmensführung), der Score misst sich von 0 bis 100).

Stärkere Mitbestimmungsmöglichkeiten im Unternehmen führen neben demokratischen Selbstwirksamkeitserfahrungen somit auch zur Stärkung ökologischen Handelns. Denn vielmehr als in gesellschaftlichen Debatten oft immer noch behauptet, liegt der Schlüssel für die Adressierung derzeitiger Krisen (z.B. der Klimakrise) nicht auf der Konsumseite, sondern in der Demokratisierung der Produktionsmittel. Gemäß dem simplen, aber wahren Motto: Besser als einen SUV nicht zu kaufen, ist es, in der Firma mitzubestimmen, dass er gar nicht erst produziert wird – oder die Produktion dieser durch demokratische Planung auf der Makroebene, einzuschränken.

Vorschläge, ökologische Perspektiven stärker in Unternehmensentscheidungen zu verankern, bestehen momentan u.a. in „Interessensvertretungen“ nicht menschlicher Umwelt in Unternehmensräten oder einer Einführung von alternativen Bilanzierungen, wie der Gemeinwohl-Bilanz oder HILCSA (Holistic and Integrated Life Cycle Sustainability Assessment), die Aufschluss darüber geben sollen, wie sozial, ökologisch und demokratisch Betriebe agieren bzw. produzieren. Die britische Kosmetikfirma „Faith in Nature“ hat beispielsweise einen Sitz im Board of Directors für „die Umwelt“ geschaffen. Dieser wird durch eine Art Vormundschafts- oder Treuhandsmodell von einem Menschen vertreten und wird so in jede strategische Entscheidung miteinbezogen.

Durch zahlreiche, teils widersprüchliche Interessen verschiedener Anspruchsgruppen, besteht eine Gefahr darin, dass die Komplexität der ökologischen Dimension unterschätzt wird und ökologische Anliegen im Aushandlungsprozess entweder marginalisiert oder instrumentell behandelt werden. Zudem können Interessenkonflikte zwischen kurzfristigen ökonomischen Zielen und langfristigen ökologischen Notwendigkeiten zu Blockaden führen. Umso wichtiger ist es, Verfahren zu entwickeln, die eine transparente, inklusive und fachlich fundierte Auseinandersetzung mit ökologischen Zielkonflikten ermöglichen und die Vielfalt der Betroffenen – auch jenseits der Belegschaft – systematisch einbeziehen.

Herausforderungen auf der Mikroebene

Mit Blick auf globale Lieferketten scheint uns außerdem der Einbezug von Anspruchsgruppen aus Regionen und Ländern des Globalen Südens in den bisher vorgeschlagenen Konzepten nicht ausreichend reflektiert. Dabei wäre aus unserer Sicht zu fragen, an welchen Stellen in einer global verflochtenen Wirtschaft diese Anspruchsgruppen von Entscheidungen betroffen sind und durch welche Mechanismen die Vertretung ihrer Interessen gewährleistet wird. Die Herausforderung besteht darin, demokratische Beteiligungsstrukturen so zu gestalten, dass auch transnationale Lieferketten und globale Anspruchsgruppen wirkungsvoll einbezogen werden – etwa durch internationale Räte, verbindliche Sozial- und Umweltstandards oder neue Formate der Mitbestimmung entlang der gesamten Wertschöpfungskette.

Ein zusätzlicher herausfordernder Aspekt ergibt sich aus der Gefahr der Zentralisierung, insbesondere in großen Unternehmen oder Konzernen. Während Demokratisierung häufig mit Dezentralisierung, Partizipation und Empowerment assoziiert wird, zeigen praktische Erfahrungen, dass mit zunehmender Unternehmensgröße die Tendenz zur Machtkonzentration und Hierarchisierung zunimmt (vgl. Kühl (2015)). Entscheidungsprozesse werden oft in zentrale Gremien oder Führungsebenen verlagert, was die tatsächliche Mitbestimmung der Beschäftigten schwächen kann. Gerade in Großunternehmen besteht das Risiko, dass demokratische Strukturen formal bestehen, aber informell zentrale Akteure oder Abteilungen den Kurs bestimmen und Interessen der Belegschaft, von Regionen oder ökologischen Gruppen aus dem Blick geraten. Die Konzentration von wirtschaftlicher Macht in wenigen Händen erschwert zudem die Durchsetzung von Gemeinwohlinteressen und kann demokratische Prozesse insgesamt unterlaufen. Hier braucht es gezielte Mechanismen, um Dezentralisierung, Transparenz und echte Partizipation auch in komplexen, großen Organisationen zu sichern und die Machtbalance zwischen den verschiedenen Akteursgruppen zu wahren.

Zudem können sich auch in formal demokratisch organisierten Unternehmen informelle Machtstrukturen und implizite Hierarchien herausbilden, die echte Partizipation behindern. Die Transformation von Beziehungsweisen – weg von Konkurrenz und Dominanz, hin zu Kooperation und gegenseitiger Unterstützung – ist ein langfristiger Prozess, der bewusste Reflexion und kontinuierliche Aushandlung erfordert. Hier stellt sich die Frage, wie demokratische Strukturen so gestaltet werden können, dass sie nicht nur formale Mitbestimmung ermöglichen, sondern auch kulturelle Veränderungen in Form veränderter Beziehungsweisen fördern und Machtasymmetrien abbauen.

Die Mikro-Makro Kopplung

Was, wie, von wem und wozu produziert wird, muss und sollte aber nicht ausschließlich auf der Ebene von Unternehmen ausgehandelt werden. Demokratische Wirtschaftsplanung erfordert, dass gesellschaftlich ausgehandelt wird, welche Ziele – etwa ökologische Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit oder regionale Entwicklung – in welcher Ausprägung und Kombination im Vordergrund stehen und wie Ressourcen entsprechend verteilt werden.

Ausgehend von Entscheidungen über gesellschaftliche Zielsetzungen und in Anerkennung der Endlichkeit zur Verfügung stehender Ressourcen, wird auf der Makroebene demokratisch ausgehandelt, wie viel Energie, Rohstoffe und Arbeitskraft in welche Produktion fließen sollen. Lokale Akteur:innen sollten innerhalb dieser vorgegebenen Rahmen dezentral agieren können. Eine zu zentralistische Planung führt zu Wissensverlust auf der lokalen Ebene und schränkt Möglichkeiten der Partizipation und damit auch der Selbstbestimmung ein. Andererseits wäre ein zu dezentraler Ansatz nicht in der Lage die Ressourcenverteilung auf Makroebene zu überblicken (vgl. Heyer (2021)).

Verschiedene Makro-Konzepte demokratischer Wirtschaftsplanung unterscheiden sich in den Recheneinheiten, anhand derer Entscheidungen getroffen werden und in der Bedürfniserfassung, also der Frage, wie Bedürfnisse verschiedener Anspruchsgruppen erfasst werden (Vgl. Sorg (2024)). Die jeweils verwendeten Recheneinheiten und Bedürfniserfassungen werden auch die demokratischen Strukturen und Prozesse der Betriebe auf Mikroebene beeinflussen. Die Autorin Heide Lutosch weist darauf hin, dass bisherige Modelle, sowohl auf Makro- als auch auf Mikroebene, Anspruchsgruppen ausblenden. Vor allem solche, die nicht als erwerbstätig gelten oder nicht „mündige, gesunde, artikulationsfähige, junge, für sich selbst und ausschließlich für sich selbst verantwortliche, arbeitsfähige Menschen“ sind. Für ein erfolgsversprechendes Modell im Sinne eines guten Lebens für alle innerhalb planetarer Grenzen, müssen schließlich alle Ebenen der Wirtschaftsdemokratie ineinandergreifen und auch die Anspruchsgruppen miteinbezogen werden, die bisher „nicht produktiv“ an wirtschaftlichen Prozessen teilhaben.

Die Mikroebene, ein mögliches Demokratielabor

Viele Beiträge zu demokratischer Wirtschaftsplanung verbleiben auf der Makroebene. Auf der Ebene der Unternehmen und Organisationen zeigt sich schon heute, wie demokratische Strukturen konkret gelebt, erprobt und weiterentwickelt werden können. Die Mikroebene verbindet damit die theoretische Diskussion um demokratische Planung mit der praktischen Basisarbeit – sei es in Betrieben, Gewerkschaften oder Stadtteilen.

Gerade hier, in der alltäglichen Aushandlung von Interessen, im Aufbau von Beteiligungsstrukturen und im Erproben neuer Eigentumsformen, entstehen die Kompetenzen und der demokratische Charakter, die für eine umfassende Demokratisierung der Wirtschaft notwendig sein werden. Erst die Kopplung von Mikro-, Meso- und Makroebene schafft die Grundlage für eine Alternative zum vorherrschenden System.

Die Mikroebene der Wirtschaftsdemokratie bietet ein Labor und Sprungbrett für konkrete Alternativen, die sowohl die großen gesellschaftlichen Fragen als auch die alltäglichen Herausforderungen demokratisch beantworten – und damit einen zentralen Baustein für eine neue, demokratische und nachhaltige Wirtschaftsordnung.

 

Quellen

Büchling, Carsten / Dörre, Klaus / Lösche, Bernd (2023): Angst vor der Zukunft: Gründe für den Aufstieg der AfD.

Göpfert, Claus-Jürgen (2024): Krise bei VW: „Wasser auf die Mühlen der AfD“, in Frankfurter Rundschau.

Heyer, Jakob (2021): Demokratie und Planung.

Kühl, Stefan (2015): Wie demokratisch können Unternehmen sein? In Wirtschaft+Weiterbildung.

Lutosch, Heide (2022): Wenn das Baby schreit, dann möchte man doch hingehen.

Markey, Raymond / McIvor, Joseph / O´Brien, Martin / Wright, Chris F. (2019): Reducing carbon emissions through employee participation: evidence from Australia, Industrial Relations Journal.

Scholz, Robert (2023): Unternehmensmitbestimmung und die Sozialökologische Transformation – Zusammenhang zwischen Mitbestimmungsindex und ESG-Kriterien in börsenorientierten Unternehmen, Mitbestimmungsreport Nr. 79.

Sorg, Christoph (2024): Demokratisch planen, aber wie?

Zeuch, Andreas (2015): Alle Macht für niemand. Aufbruch der Unternehmensdemokraten.

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Matthias Kasper studierte Nonprofit-Ökonomie und Public Management an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. Er ist als Referent für gemeinwohlorientierte Organisationsberatung und Wirtschaftsdemokratie bei Humanistic Management Practices tätig. Er engagiert sich politisch in verschiedenen Initiativen im Kontext progressiver Wirtschaftspolitik und Vergesellschaftung. Als Co-Koordinator der Arbeitsgruppe Sozial-ökologische Nachhaltigkeit bei der SuperCoop eG ist er zudem ehrenamtlich für ein soziales Unternehmen tätig und engagiert sich als Vorstand und Trainer im Berliner Sportverein „Roter Traktor“.

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Philip Euteneuer studierte Ökonomie – Verantwortung – Institutionsgestaltung an der Hochschule für Gesellschaftsgestaltung. Zusammen mit Matthias Kasper lehrt und publiziert er zu Wirtschaftsdemokratie und progressiven Wirtschaftsweisen. Als Referent bei Humanistic Management Practices erarbeitet er ein Beratungskonzept für Unternehmen, die Demokratie ernst nehmen wollen. Ehrenamtlich ist er als Pfadfinder aktiv.

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