Verfechter*innen einer Postwachstumsökonomie stehen vor einer schwierigen Wahl. Ideen oder gar Konzepte, wie eine solche Ökonomie aussehen und zum Wohle der Mehrheit der in diesem Land lebenden Menschen politisch gestaltet werden könnte, sucht man im Wahlkampf vergebens. Im Gegenteil, für alle Parteien spielt Wachstum eine zentrale Rolle. Natürlich ist damit Wirtschaftswachstum gemeint, an das Wachstum des Ressourcenverbrauchs oder an das Wachstum sozialer Kompetenzen und individueller Entfaltungschancen wird dabei nicht gedacht. Die Vorstellung einer Wohlstandsökonomie jenseits von ökonomischem Wachstum ist wohl nicht nur im politischen Mainstream in weite Ferne gerückt.
Das hat möglicherweise auch damit zu tun, dass Wachstumskritiker*innen es bislang nicht geschafft haben, die Idee des Guten Lebens für alle in einer Postwachstumsgesellschaft mit einer dezidierten Gerechtigkeitsperspektive zu verbinden. Damit soll nicht gesagt werden, dass der Aufwind für die extremistische Rechte in der Verantwortung der Wachstumskritiker*innen liegt. Was sich in den Zustimmungswerten für die Rechtsaußenparteien ausdrückt, ist ein toxisches Konglomerat von Autoritarismus, Sehnsucht nach einfachen Lösungen statt komplizierten und langwierigen Aushandlungsprozessen, radikaler Denk- und Politikverweigerung. Das alles gepaart mit einem plumpen Nationalismus und ausgedrückt in menschenverachtender Sprache.
Komplizierte Wachstumskritik
Kritische Ökonom*innen können mit all dem nicht dienen. Die Wachstumskritik ist vielstimmig, sie verlangt Zeit für Kommunikation und Verhandlung, sie ist anspruchsvoll im Hinblick darauf, was sie Menschen abverlangt. Deshalb ist Wachstumskritik anstrengend. Und diese in die Praxis umzusetzen ist noch viel anstrengender. Deshalb nützt das Versprechen von Wohlstand jenseits des Wachstums nichts, auch wenn es für die Protagonist*innen des Diskurses noch so attraktiv erscheint.
Viel zu lange war Verteilungsgerechtigkeit engstens an Wachstum geknüpft. Die Verteilung des Zuwachses an Güter- und Geldwohlstand sorgte für gefühlte soziale Gerechtigkeit und die politische Stabilität im Wohlfahrtsstaat. Wenn die Eigentums- und Vermögensstruktur nicht angetastet werden soll, kann nur der Zuwachs an Wirtschaftsleistung verteilt werden.
Eine Ökonomie, die auf Wachstum basiert, auf Zuwachs an Einkommen, an Steuereinnahmen, an Staatsausgaben – was wir ja eigentlich gut finden, schließlich handelt es sich im besten Falle um Investitionen in öffentliche Güter wie Krankenhäuser, Schulen, Kultureinrichtungen – sichert auch den sozialen Frieden. Dieser wird von den autoritären Rechten seit einiger Zeit herausgefordert. Entsprechend reagieren die demokratischen Parteien quasi unisono mit der Antwort „Wachstum“, um die Illusion von Wohlstand heraufzubeschwören und die Verbesserung des Lebensstandards der gesamten Bevölkerung zu versprechen.
Es ist der Wachstumskritik bislang nicht ausreichend gelungen, diesen Mythos zu entzaubern. Das Wirtschaftswachstum der vergangenen dreißig Jahre hat vor allem die Reichen noch reicher gemacht, während die Forderung nach Verteilungsgerechtigkeit unter den Bedingungen des Neoliberalismus als „Neiddebatte“ verunglimpft wurde.
Ein Gutes Leben für Alle ohne ökonomisches Wachstum
Die Postwachstumsdiskussion hat viele gute Ideen und auch konkrete Praxen entwickelt, wie das Zusammenleben von Menschen und der mehr-als-menschlichen Natur aussehen könnte. Denn darum geht es ja: Die Plünderung des Planeten und die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen zu beenden.
Höchstens implizit kommt damit auch Kapitalismuskritik zum Ausdruck, denn der Kapitalismus als ökonomisches System baut auf der Vernutzung und Aneignung von Ressourcen auf, nicht allein der natürlichen Ressourcen, sondern auch der menschlichen Arbeitskraft im Lohnverhältnis ebenso wie der unbezahlten feminisierten Care-Arbeit. Nicht zu vergessen die postkoloniale Ausbeutung von Arbeitskräften in globalen Wertschöpfungsketten und die immer neue Erschließung von Rohstoffen, seien es Schiefergas und Erdöl, der Raubbau von Lithium für Akkus und Batterien, von seltenen Erden für Handys oder der Futtermittelanbau für die Fleischproduktion.
Die Postwachstumsgesellschaft bräuchte all das nicht mehr, erneuerbare Energien machten die Kohlenstoffverbrennung überflüssig, pflanzenbasierte Ernährung ersetzte den Fleischkonsum. Statt Einkommenswachstum Zeitwohlstand, statt technologieintensiver Medizin mehr Vorsorge und präventive Gesundheitspolitik.
Dies alles setzt ein Menschenbild von informierten, kompetenten, sozial gut eingebundenen Individuen voraus. Wenn sie auch nicht über ein großes ökonomisches Kapital verfügen, so doch über ausreichendes soziales und kulturelles Kapital. Können wir dieses Menschenbild nach dem Raubbau des Neoliberalismus an öffentlichen Gütern, nach dem hemmungslosen Konkurrenzstreben, das den Einzelnen in den vergangenen dreißig Jahren gepredigt wurde, noch voraussetzen? Ich befürchte nein. Der Rechtsextremismus ist die hässliche Fratze des Neoliberalismus.
Gerechtigkeit statt Wachstum
Wenn wir dabei nicht stehen bleiben wollen – und wer wollte das schon? –, dann sollten wir in der Postwachstumsdebatte stärker die Verteilungs- und Gerechtigkeitsfrage stellen. Wie jedes Jahr im Januar hat Oxfam soeben wieder den Bericht zur sozialen Ungleichheit veröffentlicht. Danach ist der Reichtum der Superreichen explodiert, ihr Gesamtvermögen ist danach dreimal schneller gewachsen als 2023. Das Vermögen der zehn reichsten Menschen der Welt ist täglich um täglich 100 Millionen US Dollar gewachsen. Wer kann sich unter dieser Form von Wachstum noch etwas vorstellen? Deutschland steht auf dem vierten Platz nach der Anzahl der Superreichen, nach den USA, China und Indien. Und dieses Land braucht Wachstum??
Nein, was dieses Land dringend braucht, ist Umverteilung, um soziale und ökonomische Gerechtigkeit zu verwirklichen. Wohin die Reichtumskonzentration in den Taschen weniger Techgiganten führt, erleben wir gerade live und in Schwarz-Weiß in den USA. Der Reichtum hierzulande ist nicht erarbeitet, er ist geerbt. Hier müssen wir ansetzen, um wieder in die Köpfe der Menschen zu bringen, dass es einen starken Staat braucht, der Gerechtigkeit im Zugang zu und der Nutzung von Ressourcen sicherstellt. Hier müssten sich Politische Ökologie und Postwachstum stärker verbünden, um sowohl die Analyse zu schärfen als auch die Aktionsbasis zu erweitern.
Der Staat in der Postwachstumsgesellschaft
Die Postwachstumsdebatte hat sich vom Staat als dem zentralen politischen Akteur ebenso verabschiedet wie der Neoliberalismus ihn ideologisch zersetzt hat. Das ist eine sehr harte Feststellung und wird nicht auf begeisterte Zustimmung stoßen, das ist mir klar. Aber um eine Debatte über die Rolle des Staates in einer Postwachstumsgesellschaft kommen wir meines Erachtens nicht herum.
Gemeint sind natürlich weder der imperialistische Kolonialstaat noch paternalistische oder totalitäre Staatsgebilde. Ich denke an eine sozialstaatliche Formation, die den Einzelnen Absicherung bietet, ohne sie zu kontrollieren oder zu bevormunden. Eine Formation, die ökonomische Not verhindert und soziale Einbindung ermöglicht. Die individuelle Freiheit an solidarische Verantwortung knüpft. Die Einnahmen aus vorhandenem Vermögen generiert, um sie in Infrastrukturen des Gemeinwohls zu investieren. Das fängt bei einer transnationalen Steuerpolitik an und hört bei supranationaler demokratischer Steuerungspolitik noch lange nicht auf.
Zeit für Utopien!
Dazu braucht es Orte der Verständigung, unterschiedlichster Praxen und ein gehöriges Maß an politischer Fantasie von Vielen. Diese geht dem propagierten Leitbild des Wachstums allerdings völlig ab. Es ist Ausdruck politischer Ideenlosigkeit, der jegliche Kreativität und utopisches Denken fehlt. Jetzt ist nicht die Zeit für Utopien, mögen manche einwenden. Aber Abwehrkämpfe allein geben keine Energie, sie zermürben eher und machen müde. Stattdessen braucht es Vorstellungen, wohin die Entwicklung gehen könnte. Postwachstum ist für die Überzeugten ein starkes Leitbild, aber diejenigen, die von öffentlichen Diskursen abgeschnitten sind, denen gesellschaftliche Vernetzungen fehlen, deren Einkommen kaum bis zum Monatsende reichen, sind für eine Postwachstumsgesellschaft hier und heute nicht zu gewinnen.
Wir müssen als Postwachstumsbewegung Strukturen aufbauen, die Menschen etwas anbieten, wir sollten Institutionen schaffen, die Kontakt, Begegnung, Kommunikation ermöglichen, um die Vereinzelung aufzubrechen, die für den Kapitalismus so funktional ist. Das heißt auch, wir müssen aus den selbst geschaffenen Refugien ausbrechen und Allianzen suchen. Und wir brauchen ein gesellschaftsstrukturierendes Gefüge, das wohlfahrtsstaatliche Züge trägt, ohne auf nationalen Fiktionen aufzubauen und in dem die Menschenrechte und die Belange der mehr-als-menschlichen Welt verfassungsgebend sind. Wachstum käme in dieser Verfassung nur als Metapher vor.
Danke für den Artikel! Ich stimme den meisten Aussagen darin zu. Nur, dass keine Partei sich mit Wachstum kritisch auseinandersetzt stimmt nicht. Die Linke tut das in ihrem BTW-Programm auf S. 29 „Unser Ziel ist eine gerechte, nachhaltige Wirtschaft, die der großen Mehrheit der Menschen ein besseres Leben ermöglicht und dabei die natürlichen Grenzen des Wachstums respektiert“ und die ÖDP in ihrem auf S. 34 „Wachstumszwang stoppen: „Stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum“ (§ 1 StabG) darf kein Staatsziel mehr sein.“.