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Wie lief die erste digitale Degrowth-Konferenz Vienna 2020?

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Am vergangenen (Pfingst-)Wochenende fand vom 29. Mai bis zum 01. Juni die Konferenz Degrowth Vienna 2020 – Strategies for Social-Ecological Transformation (Strategien für sozial-ökologische Transformation) statt. Das 23-köpfige Organisationsteam arbeitete zusammen mit acht Koordinator/innen und einem Advisory Board an der Vorbereitung sowie an einem reibungslosen Ablauf der Veranstaltung. Während der Veranstaltung wurden sie noch von zahlreichen Freiwilligen unterstützt. Gastgebende Organisationen waren neben dem Degrowth Vienna Team unter anderem Attac, der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) und mehrere Wiener Universitäten. Unterstützend waren z. B. die Stadt Wien, die Friedrich-Ebert-Stiftung und das Konzeptwerk Neue Ökonomie tätig sowie mehrere Medienpartner. Über 4000 Degrowth-Bewegte nahmen an der Konferenz teil und über 300 Vortragende gestalteten das Programm mit.

Die vier Tage waren entsprechend gefüllt mit vielseitigem Programm, welches in der Regel auf Deutsch (bzw. Österreichisch) und Englisch angeboten wurde. Während in den Online-Räumen auf einer Sprache gesprochen wurde, gab es auf der Diskussionsplattform Discord meist parallel eine Übersetzung in die jeweils andere Sprache. Es gab Workshops, Panel-Diskussionen, Vorträge und Spezialformate, zum Beispiel zur Präsentation von Büchern oder wissenschaftlichen Arbeiten, aber auch abendliche Musik (inkl. DJs) und Filmvorstellungen. In der Regel fanden vier bis fünf Veranstaltungen gleichzeitig statt. Es ist schön zu sehen, dass so viele und vielfältige Formate angeboten wurden. Allerdings machte es die Auswahl für die eigene Teilnahme nicht leichter. Man konnte sich auf ein paar Themen fokussieren oder sich quer durch die Bank mit quasi allen Themen der aktuellen Degrowth-Debatte vom Bedingungslosen Grundeinkommen, über Care und Corona bis zum Umgang mit Technologien beschäftigen. Das meiste, was man verpasst hat, kann im Nachgang auf dem YouTube-Kanal der Konferenz angeschaut werden. Für die großen Panels wurden zudem Graphic Recordings (grafische Aufzeichnungen) angefertigt, welche auf dem Kanal ebenso zu sehen sind. Damit stehen viele der Inhalte auch für Interessierte zur Verfügung, die am Wochenende nicht teilnehmen konnten oder die nicht mehr in einen Workshop reinkamen. Bei manchen Workshops war eine vorherige Registrierung nötig, bei den meisten jedoch nicht. Die Anzahl der zugelassenen Teilnehmenden hing dabei vom Inhalt des Workshops und/oder den technischen Kapazitäten ab. In der Regel war die Teilnahme auf 30 bis 50 Personen beschränkt.

Die Inhalte entwickelten sich von Freitag bis Montag von abstrakt/theoretisch zu eher konkret/praktisch, entsprechend der jeweiligen Tagesthemen. Am Freitag ging es mit „Gesucht: Strategien für Degrowth“ und einem Panel über die Notwendigkeit von Degrowth los. Zum Beispiel gab es einen Workshop darüber, wie man bestehende Degrowth-Initiativen bzw. -Projekte (sogenannte ‚seeds‘/Samen) skalieren und Hindernisse und Konflikte angehen kann. Am Samstag hieß das Motto „Transformationen und die Rolle von Strategien verstehen“ und am Morgen wurde im Panel über Degrowth und die Verbindung zu Corona gesprochen. Ein wichtiges Thema war – nicht nur in der entsprechenden Panel-Veranstaltung – der Umgang der Degrowth-Bewegten mit dem Europäischen Green Deal und dem Wirtschaftswachstum auch in der Klimawissenschaft. Als Alternative wurde vom Democracy in Europe Movement 2025 (DiEM25) der „Green New Deal for Europe – A Blueprint for Europe’s Just Transition“ (etwa: Grüner Neuer Deal für Europa – Eine Blaupause für Europas gerechten Wandel) gemeinsam mit internationalen Partnern ins Leben gerufen. Dieser stellt eine sozial-ökologische und demokratische Alternative für die Transformation in Europa dar. Einige der Referent/innen der Degrowth Konferenz waren auch an dessen Entwicklung beteiligt.

Der Samstag stand im Licht solcher großen Themen und generellen strategischen Ansätzen, aber es wurde auch über spezifische Strategien bezüglich Commons/Gemeingüter, Gewerkschaften, Arbeit und zivilem Ungehorsam, etc. diskutiert. Das IÖW war in Kooperation mit anderen Organisationen auch mit zwei Beiträgen vertreten. IÖW-Fellows und –Mitarbeiter/innen leiteten einen Workshop am Freitag mit dem Titel „Unleashing Fantasy for Transformation – Spekulation als Methode“ sowie am Samstag: „The Precautionary Post-Growth Approach: A response to the crises?“ (Die vorsorgeorientierte Postwachstumsposition: Eine Antwort auf die Krisen?).

Sonntags wurden unter dem Schlagwort „Gemeinsame Strategien gestalten“ verschiedene Sektoren unter die Lupe genommen, u. a. Ernährung, Mobilität, Care/Pflege, Stadtgestaltung, Wohnen und Technologie. Feministische Perspektiven und solche der globalen Solidarität wurden dabei nicht vergessen. Montag ging es mit „gemeinsame Strategien gestalten und nach vorne blicken“ um gutes Wohnen und Arbeiten, digitale Präsenz und Finanzsysteme aber auch um sehr viele praktische Beispiele und Initiativen. Darunter waren internationale Vereinigungen wie das Global Ecovillage Network (GEN) bis zu lokalen wie Cargonomia aus Budapest, Ungarn.

Die Konferenz war spannend und vielseitig. Die Panels waren für mich besonders inspirierend, aber ich konnte auch am Sonntag mein Interesse am Ernährungssystem in konsekutiven Workshops vertiefen. Für viele Interessensgebiete, wie zum Beispiel Mobilität, gab es ähnliche Möglichkeiten. Zudem gab es Einführungsveranstaltungen für Neue im Degrowth-Bereich ebenso wie akademisch fortgeschrittene Beiträge. Das Organisationsteam hat eine starke Leistung abgeliefert, vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass sie die analoge Veranstaltung im schönen Wien (leider) in kurzer Zeit zu einer digitalen ummodeln mussten. Über diese Erfahrung berichtete einer der Organisatoren auf degrowth.info. Insgesamt hat alles gut funktioniert und der Ablauf war auch sehr pünktlich, anders als bei vielen Präsenzveranstaltungen. Natürlich gab es, vor allem in den Workshops, die einen oder anderen technischen Tücken und Probleme. Für eine große digitale Konferenz hielten sich diese aber ihm Rahmen, obwohl auch für die meisten Präsentator/innen das Format sowie die Plattformen ungewohnt waren. Mit mehr Erfahrungen mit der Technik bei allen Beteiligten wird dies in Zukunft vermutlich noch besser funktionieren.

Leider fehlen bei einer rein digitalen Veranstaltung die menschliche Interaktion und die Einblicke, die man wohl nur bei Präsenz in den Räumen sowie vor allem bei gemeinsamen Mahlzeiten oder Kaffeepausen hat. Das Diskussionsforum Discord war zum Teil stark frequentiert, aber dieses Format lag vielen Teilnehmer/innen nicht, weil das Forum für weniger technik-affine Menschen verwirrend war. Zudem wurden die Fragen nicht unbedingt beantwortet. In den Workshops kamen die Diskussionen zum Teil sehr schwer in Gang und das Tool BigBlueButton war für viele Teilnehmer neu, weshalb sie teils Probleme mit dem Umgang des Programms hatten. Dafür konnten so Menschen aus aller Welt ohne Anreise teilnehmen, die den Weg nach Wien nicht hätten auf sich nehmen können oder wollen (unabhängig von Corona). Dies trug zur Niedrigschwelligkeit der Veranstaltung im Hinblick auf Kosten und Zeit bei und schonte Ressourcen.

Für die Zukunft könnte ich mir daher gut eine Präsenzveranstaltung vorstellen, die mit digitalen Formaten und Zuschaltungen von Teilnehmer/innen aus der Ferne ergänzt wird. Der Fokus der Konferenz lag – sowie bei Degrowth generell – thematisch eindeutig auf Europa, was auch der überwiegenden Zahl der Teilnehmer/innen und Referent/innen entsprach. Künftig wäre es schön, noch mehr Perspektiven aus anderen Kulturen zu integrieren und voneinander zu lernen, vor allem wenn es um eine Verbesserung der globalen Situation geht. Die Eröffnungsveranstaltung und das Panel über globale Solidarität waren diesbezüglich gute Ansätze, die noch weiter ausgebaut werden können. Die Veranstaltung war zudem akademisch geprägt, was durch viele Aktivist/innen unter den Teilnehmenden ergänzt wurde. Im Opening Panel erklärte Ulrich Brand von der Universität Wien, dass die Organisatoren versucht haben, mehr Aktivist/innen als bei den vergangenen Konferenzen mit einzubeziehen. Auch wenn es generell schwer ist, wäre es für die Zukunft schön, wenn noch weitere relevante Gruppen in die Debatte über eine gesellschaftliche Transformation einbezogen werden könnten, unter anderem Nicht-Akademiker/innen (Aktivist/innen sind ja oft auch akademisch geprägt) und Entscheidungsträger/innen, z. B. Politiker/innen.

Jetzt bleibt zunächst einmal, den Organisator/innen herzlich für ihren Einsatz und ihre Flexibilität zu danken und bis zur nächsten Veranstaltung fleißig weiter zu arbeiten. Die Degrowth Konferenz in Manchester wurde wegen Corona übrigens ebenso von September 2020 auf Juli 2021 verschoben. Es wird spannend, inwieweit die Organisator/innen dort die Erfahrungen der Wiener Digitalkonferenz einbeziehen werden.

Cathérine Lehmann studierte International Sustainability Management im Master an der ESCP Berlin/Paris und forschte danach an der TU Berlin zu Nachhaltigem Konsum und am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) zu Postwachstum, Engagement, Verbänden und sozial-ökologischer Transformation. Nun befasst sie sich mit der Nachhaltigkeitstransformation von Städten und Regionen. Sie ist politisch und zivilgesellschaftlich aktiv, unter anderem im Klimaschutzverein „3 fürs Klima e.V.“. Sie bloggt auch in ihrer Freizeit über nachhaltiges Leben und aktuelle Themen zur Nachhaltigkeit: https://cathagoessustainable.wordpress.com.

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