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Wie Kampagnen für Suffizienzpolitik gelingen

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Unsere (westlichen) Lebensstile müssen sich ändern. Ohne Suffizienz, also eine veränderte Nachfrage und damit weniger Energie- und Ressourcenverbrauch, schaden wir anderen Menschen und uns selbst.

Menschliche Bedürfnisse aber lassen sich nicht einfach per Dekret steuern. Änderten sich jedoch die Umstände des Konsums, wäre es womöglich leichter suffizient zu leben. Es geht also um mehr Radwege, höhere Fleischpreise oder kleinere Wohnflächen. Das ist die Idee hinter „Suffizienzpolitik“.

Solche Forderungen sind nicht neu. Im Kern ist Suffizienzpolitik einfach härtere Umweltpolitik. Härter, weil sie direkt die Umstände des Konsums ändert, anstatt z. B. nur durch mehr Informationen aufzuklären. Härter aber auch, weil es nicht einfach ist, für Suffizienzpolitik zu streiten.

Aber unmöglich ist es auch nicht. In diesem Blogpost möchte ich sechs Vorschläge präsentieren, wie Kampagnen für Suffizienzpolitik gelingen können.

#1: Über Alternativen reden

Wer die Worte Suffizienz und Suffizienzpolitik hört, denkt an Verzicht. Menschen sollen Gewohntes aufgeben. Mit solchen Forderungen aber gewinnt man keinen Blumentopf. Hier braucht es ein Umdenken.

Wichtig ist, nicht über das Weniger, sondern über das konkret Andere zu sprechen. Statt über kleineren Wohnraum also über neue Modelle des Wohnens, etwa in Gemeinschaft. Oder statt über weniger Flugreisen über Möglichkeiten, Bedürfnisse nach Erholung, nach kulturellem Austausch und gegenseitigem Lernen anders zu erfüllen (und zwar weniger klimaschädlich und vielen Menschen zugänglich).

Das mag wie Erbsenzählerei anmuten – ist aber strategisch enorm wichtig. Denn für „Nicht-Konsum“ – also für das Nichts anstelle von Etwas – kann man nicht werben. Für einen anderen Konsum dagegen schon.

#2: Bedürfnisorientiert argumentieren

Umweltpolitische Kampagnen werben häufig für abstrakte Anliegen („Das 30-Hektar-Ziel!“) oder appellieren an das Gewissen („Die nachfolgenden Generationen!“). Nur – wen interessiert das?

Es sind Minderheiten, die wissen, was sich hinter bestimmten Zielmarken verbirgt. Und leider sind es auch Minderheiten, die sich politisch stark von altruistischen Argumenten leiten lassen. Für die Mehrheit der Menschen aber sind eigene Bedürfnisse und das direkte Lebensumfeld wichtiger – und auch wahlentscheidender.

Diese schlichte Einsicht in gute politische Öffentlichkeitsarbeit sollte auch bei suffizienzpolitischen Kampagnen berücksichtigt werden. Sie sollten Menschen mit Hilfe der Vorteile ökologischen Verhaltens motivieren.

Etwa beim Thema Verkehr: Radfahren ist natürlich nicht nur gut für das Klima, sondern hilft auch, Geld zu sparen, gesund zu bleiben, flexibel und unabhängig zu sein – und sieht zudem einfach gut aus. Ähnlich bei der Ernährungswende: viele Menschen möchten gesunde, regionale und leicht verfügbare Lebensmittel konsumieren. Ob nun der Regenwald geschont wird, wenn weniger Billigfleisch auf den Teller kommt, ist da erst mal zweitrangig.

Bei Suffizienzpolitik geht es um diese handfesten, alltäglichen Bedürfnisse. Diese Co-Benefits sollten bei Kampagnen also die Hauptrolle spielen.

#3: Normalität hinterfragen

Alle Jahre wieder zeigt die Umweltbewusstseinsstudie, dass viele Menschen nachhaltig leben würden, wenn sie könnten. Zum Beispiel sagten zuletzt 91 % der Befragten, dass sie gerne weniger auf das eigene Auto angewiesen sein möchten. Tatsächlich kommen in Deutschland jedoch noch immer 548 PKW auf 1000 Einwohner_innen.

De facto sind alternative Mobilitätsformen an bestimmten Orten einfach nicht konkurrenzfähig. Etwa der Bus in dünn besiedelten Regionen oder das Fahrrad in der autogerechten Stadt. In anderen Bedürfnisfeldern ist es ähnlich: Bio-Lebensmittel kosten mehr, Bahnfahren erscheint als teurer und man selbst gilt in den Augen anderer nur etwas, wenn man in einer großen Wohnung lebt.

Wenn es darum geht, nachhaltig ihre Bedürfnisse zu erfüllen, haben viele Menschen den Eindruck, sich eine schiefe Ebene hochkämpfen zu müssen. Es kostet sie mehr Zeit und Geld oder bringt ihnen weniger Komfort und Anerkennung.

Es ist diese schiefe Ebene, mit der suffizienzpolitische Kampagnen umgehen müssen. Sie treten an gegen Vorstellungen von Normalität, an denen kaum jemand rütteln möchte – geschweige denn sie überhaupt für veränderbar hält. Wer die Gesetze, Infrastrukturen und kulturellen Regeln hinter dieser Normalität ändern möchte, muss sie sprachlich entkleiden. Dafür müssen wir anfangen, anders über Umweltschutz und menschliches Streben nachzudenken und zu sprechen – wir benötigen ein anderes Framing.

#4: Ökotipps stoppen

Ob jemand einen nachhaltigen Lebensstil pflegt oder nicht, gilt als Privatangelegenheit. Der Staat möge sich darin bitteschön nicht einmischen. Um diese Normalitätsvorstellung zu ändern, müssen wir lernen, anders darüber zu sprechen.

Nehmen wir zum Beispiel die niedrigschwellige Umweltkommunikation vieler NGOs. Deren Ökotipps für Verbraucher_innen – etwa für umweltfreundliches Gärtnern, Grillen oder Eierfärben – wirken harmlos. Diese einfachen Vorschläge sollen Problembewusstsein und Interesse für ökologische Themen wecken. Natürlich ist den NGOs die ökologische Unzulänglichkeit einzelner Handlungen bewusst – für sich genommen bewirken sie fast nichts. Aber sie halten diese Ökotipps immer noch für sinnvoller, als nichts zu sagen.

Das Problem mit diesen Tipps ist jedoch nicht ihre geringe Wirksamkeit. Folgenschwer ist die Vorstellung von Umweltschutz, die sie vermitteln. Sprachliche Rahmung formt nachweislich das Denken und Handeln von Menschen. Wenn NGOs Ökotipps geben, dann stärken sie den kognitiven Frame „Umweltschutz als Privatsache“. Gemeinsam mit der verbreiteten Vorstellung von „Konsum als Privatsache“, die den Staat aus der Verantwortung entlässt, werden auf diese Weise kollektive, politische Lösungen erschwert, die das Umfeld für Konsum nachhaltiger gestalten – was den Zielen vieler NGOs eigentlich zuwider läuft.

Hinzu kommt ein zweites Problem: Menschen sind nur begrenzt rational. Unser Kopf sucht bei komplexen Problemen nach hilfreichen „Denkabkürzungen“. Häufig wägen wir zum Beispiel miteinander ab, was eigentlich nicht vergleichbar ist. Mit dem SUV fahren – aber zum Biohof. Oder auch: viel Fleisch und Käse gekauft – aber auf den Plastikbeutel beim Einkauf verzichtet. Das Gewissen ist beruhigt.

Ökotipps und die Handlungen, die sie anstiften, liefern das (scheinbare) Gegengewicht zu unseren Umweltsünden. Sie unterstützen uns in unserer menschlichen Neigung, Äpfel mit Birnen zu vergleichen und so unseren ökologischen Fußabdruck einzuschätzen. Das Resultat erleben wir alle im Alltag: Gespräche über Umweltschutz drehen sich zu 90 % um das richtige Konsumverhalten. Was tun? Aufhören mit den Ökotipps. Und über Politik reden. Über das Gemeinsam-Regeln-finden, damit suffizientes Leben leichter wird.

Wenn konkrete Bedürfnisse auf dem Spiel stehen (siehe Punkt 2), hat das bei ähnlichen Problemen in der Vergangenheit auch geklappt. Etwa bei der Anschnallpflicht – da wurde aus „Freiheitsberaubung“ eine breit akzeptierte Routine, die allen hilft. Oder bei den Kampagnen und Schutzgesetzen gegen Rauchen: erst lässig, dann lästig. Warum soll das nicht auch mit Suffizienzpolitik gelingen?

#5: Geschichten des Scheiterns erzählen

Wer sich in den letzten Jahren mit Umweltpolitik beschäftigte, kam um folgende Erkenntnis nicht herum: nicht apokalyptische Fünf-vor-Zwölf-Geschichten bewegen Menschen zum Umdenken, sondern sogenannte „Geschichten des Gelingens“. Erzählungen über Kastanien-Retter oder Kräutergärten in Meck-Pomm. Realutopien des nachhaltigen Lebens. Sie zeigen, dass eine andere Welt (und viel Gutes schon in der heutigen) möglich ist.

So sinnvoll das auch ist – um Debatten zu beleben und für Suffizienzpolitik zu streiten, braucht es noch etwas Anderes. Ein ehrlicher Blick auf die mediale Debattenlandschaft zeigt, dass es jenseits einer positiven Vision vor allem darauf ankommt, dass eine Gruppe erfolgreich Empörung und Opferstatus für sich beanspruchen kann. Wer glaubhaft das eigene, relativ zu anderen empfundene Leid beklagt, erhält Aufmerksamkeit, Legitimation und politischen Veränderungswillen.

Geschichten des Gelingens helfen daher nur bedingt weiter. Stattdessen müssen wir lernen, auch Geschichten des Scheiterns zu erzählen, von Menschen, die nachhaltig leben wollen, aber nicht können. Ihre Botschaft lautet: die besten Intentionen schützen uns nicht vor den Zwängen zum Leben auf Kosten anderer. Warum sich selbst benachteiligen und mehr zahlen, während andere den billigeren oder kürzeren Weg gehen (können)? Warum, zum Beispiel, sind 3 % der Berliner Straßenfläche für Radler_innen, aber ganze 58 % für Autofahrer_innen? Beiden Gruppen haben doch das gleiche Bedürfnis, von A nach B zu kommen.

Geschichten des Scheiterns machen die schiefe Ebene sichtbar, die Menschen vom nachhaltigen Leben abhält. Und sie nutzen die Empörung darüber, um gegen diese Ungerechtigkeiten zu mobilisieren. Denn im Kern sind Geschichten des Scheiterns der Beginn einer bekannten, Aufmerksamkeit erzeugenden Story: David gegen Goliath, Underdog gegen die Verhältnisse.

#6: Ein anderes Menschenbild wagen

Wie lässt sich diese Geschichte weiterspinnen? Hier kommt Suffizienzpolitik ins Spiel. Sie verändert die Rahmenbedingungen, sie planiert die schiefe Ebene und schafft ein „Level Playing Field“, so dass ein gutes Leben für alle einfacher wird.

Damit ist ein wichtiger Perspektivwechsel verbunden. Denn die öffentliche Erzählung vom änderungsresistenten Menschen, der sich an der Umwelt versündigt, wird so in ihr Gegenteil verkehrt. Stattdessen wird ein positives Bild gezeichnet, ja geradezu unterstellt: Menschen wollen anderen nicht schaden. Sie wollen nachhaltig leben. Und sie würden, wenn sie könnten.

Schlechte Bedingungen für nachhaltiges Handeln dürfen Menschen nicht länger als mangelnde Motivation ausgelegt werden. Die Leitidee für Suffizienzpolitik muss daher ein öko-positives Menschenbild sein. Jede und jeder hat das Recht, nicht auf Kosten anderer leben zu müssen – diese Anspruchshaltung sollte Kampagnen für Suffizienzpolitik zugrunde liegen.

 

1 Kommentare

  1. Sehr gute Gedanken für die Argumentation innerhalb von Kampagnen.
    Der Überschrift wird damit aber nur teilweise Rechnung getragen. Die weit wichtigere Frage ist für mich, wie muss eine Kampagne beschaffen sein? Welche Art von Kampagnen versprechen den größten Erfolg? Publikationen, Vorträge, Demos, Agitationsstände …? Wieviele Menschen erreiche ich wirklich, und zwar solche, die das Problem nicht sowieso schon auf dem Schirm haben?
    Hier wäre eine gründliche Analyse vonnöten, um die ohnehin begrenzten Mittel und Möglichkeiten effektiv einsetzen zu können. Ich denke, dass momentan sehr viel wertvolles Engagement ins Leere läuft.

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