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Wie das Wachstum in die Welt und in die Seelen kam

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Harald Welzer beschreibt in „Mentale Infrastrukturen – Wie das Wachstum in die Welt und in die Seelen kam“ das Wachstumskonzept als ein Konzept der Moderne.
Er zeigt, dass es neben den von vielen anderen bereits beschriebenen Wachstumstreibern, eine tiefere Dimension des Wachstumszwangs gibt, die im mentalen Bereich angesiedelt ist.

Diese erklärend analysiert Welzer auf Individualebene wie die, durch die Industrialisierung aufgebrachte Formel „Jeder ist seines Glückes Schmied“, aus dem Fremdzwang der Arbeit ein Selbstzwang wurde.
Laut Welzer ging es vor dieser Entwicklung darum einen Gegenstand oder ein Werk fertigzustellen. Heute kommt es dagegen zu der „erstaunlichen Verwandlung von Substantiellem in bloße Durchlaufzustände: jeder Herstellungsvorgang ist nur der Vorläufer des Nächsten, jedes Produkt der Vorgänger des folgenden, jeder Arbeitsgang nur der vorläufige Akt in einer unendlichen Kette von Wiederholungen“ (S.24). Damit wird aus Arbeit „als eine in sich unbegrenzte endlose Tätigkeit“ (S.24) mit dem alleinigen Ziel einer nicht endenden Produktion und damit unendlichem Wachstum.
Hier hat sich demnach eine gesellschaftliche Transformation (Industrialisierung) auf den Habitus des Einzelnen niedergeschlagen (S.16; Elias, 1969).

Laut Welzer ist uns hierdurch die Endlichkeit des Wachstums – durch die Endlichkeit der fossilen Energieträger als Grundlage für die Maschine Wachstum – innerhalb unserer Wachstumskultur „so unheimlich, wie der eigene Tod“ (S.26).

Doch nicht nur die Angst vor dem nicht abwendbaren Ende und die heutigen Produktions- und Arbeitsmuster prägen laut Welzer die mentalen Infrastrukturen in unseren Köpfen.
Auch die Konsumstrukturen tragen ihren Teil dazu bei: Als Ausgleich zur Beschleunigung, Flexibilisierung und Globalisierung der Lebensläufe der Einzelnen wird Konsum zu „identitätsstiftendem Tun“ (S.30).
Somit werden viele Produkte gekauft, ohne jemals konsumiert zu werden, da der Kaufakt selbst zum sinnstifenden (und gemeinsschaftsstifenden) Handlung wird (S.31).

Welzer betont, dass diese mentalen Infrastrukturen nicht-reflexiv und selbst gebaut sind und „derart durch das Gegebene formatiert [sind], dass sie nur selten eine distanzierte Betrachtung erlauben. Wir verbleiben gewissermaßen immer in der Nahsicht auf uns selbst, wenn wir unsere Praktiken betrachten, und die zeigt naturgemäß nie das ganze Bild“ (S.33). Aus diesem Grund unterliegen wir laut Welzer einem Locked-in-Effekt, der am Beispiel der Mobilität verdeutlicht wird:
Es wurden und werden noch immer alle modernen Verkehrs-, Siedlungs- und Konsumstrukturen rund um das Auto herum gebaut. Wir haben bezüglich von Mobilität allein die Hoffnung auf mehr Technik, mehr Effizienz und bessere Fahrzeuge und denken weiter immer nur in die eine Richtung – haben jedoch keinen wirklichen „Plan B“ (S. 36).

Aufgrund dieser Verengung und Verinnerlichung sieht Welzer auch nicht die Aufklärung als Ausweg, da die Vernunft nicht zwingen den Habitus des Menschen beeinflusst. „Der Habitus, die Gefühle und die Denkformen des ökonomischen Menschen haben sich nicht durch kognitive Operationen verändert, die Aufklärer entworfen und gefordert haben, sondern durch die ökonomische, industrielle und politische Praxis der sich entwickelnden bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft“ (S.39). Somit müssen sich, um aus der Verengung des jetzigen Denken und Tuns hinauszukommen wiederum die ökonomische, industrielle und politische Praxis transformieren.
Hierzu braucht es Visionen, die zukünftige Wege aufzeigen und Angst und Hemmschwellen vor dem Ende des Wachstums ablegen und Experimente, die ein zukünftiges Leben mit „Reversibilität, Fehlerfreundlichkeit, Kleinräumigkeit und Achtsamkeit“ (S.41) ausprobieren.

Welzers Thesen werden auch im Debattenblog „Immer mehr?! Wie das Wachstum in unser Denken kommt“ diskutiert.

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