Wir leben mittlerweile im Anthropozän, in dem der Mensch zum gestaltenden Element geworden ist. Der weltweite Verlust der Biodiversität hat dem jüngsten Bericht des Intergovernmental Panel on Biodiversity and Ecosystems (IPBES) aus dem Jahr 2019 dramatische Ausmaße angenommen, die Herausforderungen dieser Krise sind vergleichbar mit denen der Klimakrise und stellen für das menschliche Überleben eine existenzielle Bedrohung dar. Offenbar haben die bisherigen politischen Instrumente versagt, die bisherigen umweltpolitischen Leitbilder greifen nicht oder zu kurz. Vor diesem Hintergrund hat die Diskussion um Rechte der Natur in den letzten 15 Jahren einen Bedeutungszuwachs erfahren und ist auch im deutschen Feuilleton angekommen (siehe u.a. Artikel hierzu in der Süddeutschen, der FAZ oder der ZEIT).
Können die offensichtlichen Defizite im Naturschutz überwunden werden, wenn wir der Natur nicht mehr nur wie gegenwärtig nach Art. 20a des Grundgesetzes einen objektiv-rechtlichen Schutz zugestehen, sondern ihr und natürlichen Entitäten wie Flüssen, Bergen oder Ökosystemen einen Status als Rechtssubjekt, als juristische Person zuweisen, um Klagen gegen ihre Ausbeutung zu ermöglichen?
Auch das Recht ist stets einem Wandel unterzogen und passt sich dem gesellschaftlichen Rechts- und Moralempfinden an, wie beispielsweise die Entwicklung der Frauenrechte zeigt. Ist daher die Zeit reif für die Abkehr von der Mensch-Natur-Dichotomie (Andreas Gutmann), eine Anerkennung der Natur als Partnerin und nicht nur als passive Ressourcenquelle, verbunden mit einer entsprechenden Verfassungsänderung, um die Herausforderungen des Anthropzäns zu meistern? Als Ausgangspunkt für die Debatte empfehlen die Herausgeber*innen einen lebensweltlich und wissenschaftlich begründeten Animismus gegenüber der belebten Natur. Sie verweisen – wie viele der Autor*innen im Buch – auf die ecuadorianische Verfassung, die bereits im Jahr 2008 der Natur ein Recht auf Achtung ihrer Existenz und ihre Erhaltung zugesprochen hat (von Alberto Acosta im Buch nachgezeichnet), auf bereits bestehende Rechte für Naturentitäten, v.a. in ehemals kolonialisierten Ländern, aber auch auf einen Artikel des US-amerikanischen Juristen Christopher Stone, der bereits 1972 die Idee eines Klagerechtes für Tiere und natürliche Entitäten entwickelt hat. Die Debatte ist jedoch keine ausschließlich juristische, sondern hat gleichsam moralische und politische Dimensionen. Entsprechend sei mit der Anerkennung von Rechten der Natur auch notwendigerweise ein Bruch mit dem anthropozentrischen Weltbild verbunden, das beispielsweise auch das in den letzten Dekaden prominent gewordene, utilitaristische und anthropozentrische Konzept der Ökosystemleistungen in Frage stellt. Darüber hinaus seien die Rechte der Natur auch ein zutiefst dekoloniales Konzept, entsprechend berührt die Debatte auch das Spannungsverhältnis zwischen den Wissensformen und dem Weltbild westlicher Kulturen und denen indigener Kulturen des globalen Südens.
Das Buch beleuchtet diese Fragen aus unterschiedlichen Perspektiven. Nach einer einleitenden Darstellung des Problems folgen drei Teile mit jeweils vier unterschiedlichen Beiträgen, die zunächst ethische Reflexionen anstellen, die Wege des Rechts aufzeigen und schließlich die Politik der Natur beleuchten. Manche Beiträge bleiben dabei sehr abstrakt, vor allem die philosophischen (was in ihrer Natur liegt), andere zeigen sehr viel konkreter mögliche Konsequenzen auf. Greifen wir einige Beiträge heraus. Aus ethischer Perspektive setzt sich Aurea Mota zunächst mit dem Spannungsverhältnis von Natur und Mensch auseinander, welches durch Rechte der Natur gelöst werden könnte, und geht dabei auf die Annahme einer hierarchischen Überlegenheit der Menschen, die vor allem westliche Kulturen prägt, ein. Bernd Ladwig fragt sich, ob sich Rechte der Natur moralisch ableiten lassen, denn juristisch sei es durchaus möglich. Er stellt, ausgehend von der Werteordnung des Grundgesetzes, die die individuelle Freiheit innerhalb der sozialen Gemeinschaft stellt, eine notwendige Abkehr vom Biozentrismus in Fragen, denn wir müssen die Artenvielfalt schon um unserer selbst Willen erhalten. Andreas Gutmann sieht in der Umweltkrise in erster Linie eine Reproduktion kolonialer Macht- und Ausbeutungsstrukturen und fragt sich, ob die Anerkennung von Rechten „eine adäquate Antwort auf die Umweltzerstörungen des von Kolonialität geprägten Anthropozäns“ sei. Seine Antwort bleibt zwar uneindeutig, sieht aber in dem Aushandlungsprozess über den Begriff und die Rechte der Natur ein transformatorisches Potenzial. Ähnlich argumentieren Andreas Buser und Hermann E. Ott, die mit den Eigenrechten der Natur vor allem einen rechtsdogmatischen Paradigmenwechsel sehen, der eine Umkehr der Rechtfertigungslast bei Eingriffen in die Natur bedeuten würde, und der damit ein gesellschaftliches Umdenken befördern könne. Die mit den Rechten der Natur verbundene gesellschaftliche Transformation, die auf ein anderes Verständnis von Eigentum und Besitz abzielt, stellen auch Philipp Degens und Frank Adloff in den Mittelpunkt ihres Beitrages und plädieren in diesem Zusammenhang für ein erweitertes Verständnis von Commons, welches die Natur als eigenständige Stakeholderin anerkennen sollte. Eine Änderung des Rechtes sei hier nicht hinreichend, vielmehr ginge es um eine wertebasierte gesellschaftliche Aushandlung über die Art des Wirtschaftens, des Commoning.
Weiß man nun nach der Lektüre, was richtig ist? Nur bedingt, auch hier zeigt sich, dass es nicht um einfache Antworten auf zu komplexe Herausforderungen geht. Aber es stößt einen gesellschaftlichen Diskurs und Paradigmenwechsel an, der notwendig ist, um der Herausforderung zu begegnen.
Frank Adloff und Tanja Busse (Hg.): Welche Rechte braucht die Natur? Wege aus dem Artensterben. Campus-Verlag, Frankfurt/ New York, 244 S.