Wachstum ist tief in unsere Institutionen und in unseren Alltag eingeschrieben. Meistens ist es einfacher (und günstiger) etwas neu zu kaufen anstatt es reparieren zu lassen. Logisch, denn die Nachfrage nach Produkten darf in einer wachstumsbasierten Wirtschaft nicht abbrechen. Um im globalen Standortwettbewerb zu bestehen, bieten Länder allerlei Vorteile für gewinnorientierte Unternehmen an: Steuervergünstigungen, leistungsfähige Infrastrukturen, attraktive Flächen. Klar, denn so soll sichergestellt werden, dass ausreichend Arbeitsplätze und Steuereinnahmen generiert werden.
Kommunen stellen hier keine Ausnahme dar. Die Besteuerung der Gewinne von ortsansässigen Unternehmen gemeinsam mit dem Einkommensteueranteil gemäß ihrer Einwohner*innen machen im Durchschnitt mehr als ein Viertel der Einnahmen deutscher Kommunen aus. Um finanziell gut dazustehen, müssen Kommunen also im Wettbewerb mit anderen Kommunen um profitable Unternehmen und Einwohner*innen bestehen. Dabei gilt: je mehr die Wirtschaft wächst umso mehr „Verfügungsmasse“ gibt es um die konkurriert werden kann – also liegt es scheinbar im Interesse aller, wenn der Kuchen größer wird. Gleichzeitig wird jedoch an allen Ecken und Enden deutlich, dass das Wachstumsmodell an seine Grenzen kommt: Klimawandel, alarmierender Rückgang der Biodiversität, steigende soziale Ungleichheiten trotz Wachstum, soziale Polarisierung, mangelnde demokratische Teilhabe – um nur einige aktuelle Herausforderungen zu nennen.
Dass sich Wachstum dennoch hartnäckig hält lässt sich treffend mit dem Begriff Wachstumsabhängigkeit fassen. Bleibt Wachstum über längere Perioden aus oder kehrt sich in Schrumpfung um, hat dies negative soziale Folgen, wie den Verlust von Arbeitsplätzen und Einsparungen bei der öffentlichen Versorgung – wobei diejenigen am meisten betroffen sind, die sich ohnehin bereits in benachteiligten sozialen Lagen befinden. Aus der Vogelperspektive scheint die Sache klar: um ihre Rolle der Daseinsvorsorge im Einklang mit den planetaren Grenzen auszuüben, müssen die Mechanismen und Anreize, wie Kommunen die dafür notwendigen Ressourcen erlangen, angepasst werden. Beispielweise durch die Verschiebung von konkurrenzbasierten und konjunkturabhängigen Steuern hin zu solchen, die eine positivere Lenkungswirkung besitzen. Neben Ressourcensteuern könnte hier die Erbschaftssteuer ein wichtiger Baustein sein, die einerseits einen sozialen Ausgleich in Zeiten enormer Vermögensungleichheit schafft. Andererseits kommen Erbschafts- und Schenkungssteuern direkt den Ländern zu Gute, die wiederrum eine wichtige Rolle in der Finanzierung und Aufgabenzuweisung der Kommunen einnehmen.
MUTUAL – Kommunale Wachstumsabhängigkeiten
Aber was ist, wenn solch weitreichende Reformen ausbleiben? Die politischen Vorzeichen dafür stehen denkbar schlecht! Hier setzt das Forschungsprojekt MUTUAL an und rückt Kommunen selbst in den Fokus. Welche Prozesse und Entscheidungen vertiefen oder reduzieren Wachstumsabhängigkeiten auf kommunaler Ebene? Ziel dieser Perspektive ist über eine Makroperspektive hinaus – die zweifelsfrei notwendig ist – ein Verständnis dafür herzustellen, wie Wachstum in kommunale Institutionen und die alltägliche Praxis kommunaler Akteure eingeschrieben ist. Das Projekt fokussiert dabei auf zwei Städte, die bereits in vielfacherweise als progressive Akteure in Erscheinung getreten sind – Freiburg und Grenoble – sich dabei jedoch nur sehr bedingt mit der Rolle von Wachstum auseinandersetzen.
Das Projekt umfasst mehrere methodische Bausteine. Neben semi-strukturierten Interviews, Dokumentenanalyse und (institutioneller) Ethnographie kommen aussagengestützte Erhebungsmethoden zum Einsatz. Ziel letzterer ist es, durch den gezielten Einsatz von Stimuli – in unserem Falle sorgfältig formulierte Aussagen zu den Themenbereichen kommunale Finanzen, Beschaffung, Wirtschaftsentwicklung, Daseinsvorsorge, Bürgerbeteiligung und Leitprinzipien – Teilnehmende dazu anzuregen über ihre Alltagspraxis zu reflektieren (weitere Informationen hier). So wird implizites Wissen aufgedeckt, das sonst kaum verbalisiert werden würde. Im Rahmen des Projekts kam die Methode mit Gemeinderatsmitgliedern und Verwaltungsmitarbeiter*innen der Stadt Freiburg in Einzelgesprächen zum Einsatz. In Grenoble stand sogar eine Fokusgruppe, bestehend aus Führungskräften der Stadtverwaltung, dafür zur Verfügung, auf die im Folgenden näher eingegangen wird.
Gemeinwohl unter Druck: Einblicke in die Verwaltung Grenobles
Polarisierte Statements zur Rolle von Wirtschaftswachstum für die Funktionsweisen der Stadt regten unter den administrativen Führungskräften einige Ideen und Diskussionen an. Im Gegensatz zu Einzelgesprächen wurde die Methode leicht adaptiert. Jede anwesende Person wurde dazu angehalten sich ein Statement auszusuchen und dazu Stellung zu nehmen. Das zentrale Spannungsfeld wurde schnell deutlich: Die Verwaltung versteht sich klar als Dienstleiterin für das Gemeinwohl aller Bewohner*innen. Aber wie kann die Kommune ihre sozialen Aufgaben und die Sicherstellung der Grundbedürfnisse gewährleisten, wenn sie dauerhaft mit strukturellen Finanzierungsengpässen konfrontiert ist?
Diese Problematik ist wohlbekannt. Einerseits wird die Verantwortung für die Daseinsvorsorge stark auf kommunaler Ebene verortet, andererseits fehlt es zunehmend an den notwendigen Mitteln, um dieser Verantwortung gerecht zu werden. Dadurch besteht eine hohe Abhängigkeit der Kommunen von staatlichen Zuschüssen – und deren Fluktuation. Ein Großteil der Diskussion drehte sich daher um die verschiedenen kommunalen Strategien, durch die die Grün-Linke Liste seit ihrem Regierungsantritt im Jahre 2014 versucht finanzielle Herausforderungen zu adressieren.
Hierbei kamen insbesondere zwei innerhalb und außerhalb der Verwaltung durchaus umstrittene Maßnahmen zum Gespräch: ein massiver Sparplan der öffentlichen Dienstleistung und die Erhöhung der lokalen Grundsteuer auf 25%. Durch den Sparplan hat die Kommune versucht mithilfe eines sogenannten „ökologischen Umlenkungsprotokolls“ die „richtigen“ Bedürfnisse zu priorisieren und damit Maßnahmen, wie etwa die Renovierung von öffentlichen Gebäuden, vorranging umzusetzen.
Durch eine Erhöhung der Grundsteuer zielt die Kommune auf eine sozialverträgliche Zunahme ihrer finanziellen Kapazitäten ab. Zum einen ist dies eine Reaktion auf die starke Inflation und noch immer zu spürenden Nachwirkungen der Coronakrise. Zum anderen sollen so soziale und ökologische Maßnahmen gestärkt werden. So wurde beispielsweise die Finanzierungskapazität des kommunalen Zentrums für soziale Aktion erhöht, um Maßnahmen im Bereich der Energiearmut, Erweiterung der Anzahl von Notunterkünften, oder zusätzliche finanzielle Unterstützung für die ärmeren Haushalte zu ermöglichen. Auch die solidarische Bepreisung der ÖPNV und eine lokale Sozialversicherung für Ernährung wurden dadurch in die Wege geleitet. Die Frage nach Bürger*innenbeteiligung und die Kooperation mit lokalen Initiativen bleibt dabei jedoch meist außen vor.
Fazit
Kommunale Akteure können sich insbesondere auf eins einigen: Ihre zentrale Aufgabe ist die verlässliche und für alle zugängliche Daseinsvorsorge. Die Mittelbeschaffung dafür ist so eng an Wirtschaftswachstum geknüpft, dass dieses zum Teil der Gleichung Wirtschaftswachstum > Ressourcen > Daseinsvorsorge wurde. Es werden möglichst hohe Einnahmen (also Wachstum) benötigt, um Herausforderungen zu lösen. Dabei gerät jedoch zunehmend aus dem Blick, dass auch Herausforderungen eine Variable sind, und Investitionen, die sich finanziell rechnen, tun das nicht immer auch sozial. Beispielsweise kann der Ausbau einer Straße, eines Gewerbegebietes, einer Luxussiedlung durchaus erhebliche Gelder in die kommunalen Kassen spülen, dabei aber auch Exklusion, Luft- und Lärmverschmutzung fördern und so neue Probleme schaffen. Ein erster Schritt wäre daher, dass kommunale Akteure ihre Denk- und Handlungslogiken im Sinne einer ?präventiven Stadt’ anpassen, um die angesprochenen Probleme zukünftig zu vermeiden und zugleich Ressourcen langfristig zu sparen. Vielversprechende Ansätze dafür gibt es bereits wie beispielsweise die Priorisierung von solidarische Vorsorgemaßnahmen wie den Zugang zu lokaler und ökologischer Ernährung und finanziellen Unterstützung für nachhaltige Mobilität.
Weitere Informationen zur Methode finden Sie auf der MUTUAL-Homepage: mutual-project.com. MUTUAL ist ein DFG-gefördertes Forschungsprojekt (2024-2026) unter der Leitung von Dr. Benedikt Schmid, angesiedelt am Institut für Umweltsozialwissenschaften und Geographie der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.





Danke für diesen Beitrag! Was mich endlos verwundert: dass nicht viel mehr Menschen sich mit mir darüber wundern, dass wachsende Geldströme nicht verhindern können, dass die öffentliche Infrastruktur dahinbröckelt und die soziale Versorgung immer strikteren Sparzwängen unterworfen wird. Ist es so schwer zu verstehen, dass eine kapitalistisch verzerrte Marktwirtschaft zuallererst davon angetrieben wird, dass mehr und mehr Geld in private Hände gelangt und damit der allgemeinen Daseinsvorsorge entzogen wird? Es geschieht doch gut sichtbar vor unser aller Augen!