Neues aus der Wissenschaft

Was können wir aus Reallaboren für die Transformation unserer Städte lernen?

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Der Begriff Reallabore ist seit einiger Zeit in vielerlei Munde (z.B. de Flander u.a. 2014). Das Baden-Württembergische Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst fördert seit Anfang des Jahres 2015 sieben Reallabore. Die kommende Förderrichtlinie des Wissenschaftsministeriums fokussiert speziell das Thema Stadt.
Doch was macht die Verknüpfung der Reallabore und der nachhaltigen Stadtentwicklung so attraktiv? Und wie kann die Forschung in Reallaboren (die Diskussion um) die nachhaltige Transformation unserer Städte im Sinne einer Postwachstums-Gesellschaft befeuern? Im Folgenden entwerfe ich zu diesen Fragen einige Thesen.

Die Politik fördert Reallabore mit dem Ziel, die Nachhaltigkeitstransformation einzelner Sektoren oder Regionen durch Forschung zu unterstützen. Die Forschung in einem Reallabor ermöglicht einen direkten Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis in einem transdisziplinären Forschungsmodus. Von den sieben geförderten Reallaboren haben bereits drei einen direkten Bezug zur Stadtentwicklung: das “Urban Office” – Nachhaltige Stadtentwicklung in der Wissensgesellschaft an der Universität Heidelberg, das Reallabor 131: KIT findet Stadt am Karlsruher Institut für Technologie und das Future City Lab_Stuttgart: Reallabor für nachhaltige Mobilitätskultur an der Universität Stuttgart.

1. Forschung in Reallaboren unterstützt kontextualisierte „Small is beautiful“-Entwicklungen

Der Forschungsmodus im Reallabor bezieht sich explizit auf einen „gesellschaftlichen Kontext, in dem Forscherinnen und Forscher Interventionen im Sinne von »Realexperimenten« durchführen, um über soziale Dynamiken und Prozesse zu lernen“ (Schneidewind 2014, S. 3). Dieser gesellschaftliche Kontext ist von einer Vielzahl von technologischen, institutionellen und kulturellen Faktoren geprägt und notwendigerweise in jeder Stadt anders. Bereits lange und gut situierte Akteure des Stadtwandels und neuere Initiativen z.B. zur Solidarischen Landwirtschaft, Transition Town-Akteure oder Bewegungen zur Einführung eines Regio-Geldes wirken in jeder Stadt unterschiedlich zusammen. Der Charme der Forschung in einem Reallabor liegt darin, diese sehr spezifischen Interaktionsmuster und ihre Auswirkungen auf die nachhaltige Stadtentwicklung vor Ort inter- und transdisziplinär in den Blick zu nehmen und durch wiederum sehr spezifische Interventionen vor Ort zu katalysieren. Statt große „One-fits-all“- Lösungen werden hier „Small is beautiful“-Entwicklungen für einen Stadtwandel vor Ort forschend analysiert und unterstützt.

2. Forschung in Reallaboren fördert die Suche nach lokalen Narrativen und den Mut zum Experimentieren

Dieser Blick auf das Reallabor einer ganz bestimmten Stadt befördert die gemeinsame Suche nach Visionen und neuen Narrativen. Realweltliche Herausforderungen vor Ort werden zum Ausgangspunkt dafür, die eigene Stadt gemeinsam mit außerwissenschaftlichen Akteuren grundsätzlich neu zu denken und Visionen darüber zu entwickeln, wie sie zukünftig aussehen kann. Das fördert Identifikation und Gestaltungslust der beteiligten Akteure. Dabei kann besonders der Modus des Experimentierens, der durch experimentelle Designs und Interventionen im Reallabor bereits angelegt ist, spannende intellektuelle Impulse für die nachhaltige Stadtentwicklung generieren. Die systematisch arbeitenden, auf Transformation zielenden Reallabor-WissenschaftlerInnen und die kreativ-spontanen Lösungen der lokalen Initiativen für einen sozial-ökologischen Wandel kommen in einer experimentierenden Transformations-Community zusammen, die gleichermaßen suchend mit möglichen Pfaden einer nachhaltigen Entwicklung vor Ort experimentiert und daraus lernt.

3. Forschung in Reallaboren ermöglicht neue Kooperationsmuster

Die Forschung im Reallabor sollte dabei per se in Kooperation mit verschiedenen außerwissenschaftlichen Akteuren in einem transdisziplinären Forschungsmodus passieren. Diese außerwissenschaftlichen PartnerInnen müssen jedoch nicht zwangsläufig etablierte Organisationen der Region sein, sondern können durchaus auch aus Graswurzel-Initiativen vor Ort bestehen. Damit kann auch die Aufwertung kleinerer Initiativen als adäquate Forschungspartner einhergehen, denn sie sind häufig die dynamisch-treibenden Kräfte und Change Agents einer Stadtentwicklung von unten. Besonders die Integration unterschiedlicher Wissensbestände (wissenschaftlich abgesichertes Wissen und lokales Transformationswissen) schafft für die Forschungsergebnisse im Reallabor einen besonderen Mehrwert.

4. Forschung in Reallaboren ist Prozess-orientiert und ermöglicht transformative Dialoge

Sowohl diese Kooperation mit außerwissenschaftlichen Akteuren als auch der Modus des „Experimentierens im Labor“ erfordert von allen Beteiligten ein höheres Maß an Kommunikation und Selbstreflexion. Der viel beschworene Austausch zwischen Praxis und Wissenschaft auf Augenhöhe setzt voraus, dass alle Beteiligten ihre unterschiedlichen Interessen offen legen und sich über divergierende Werte und Zielstellungen im und mit dem Reallabor austauschen. Im Idealfall entschleunigt das den Forschungsprozess und ermöglicht eine gemeinsame Prozessbetrachtung, in der die zum Teil sehr unterschiedlichen forschungsgerichteten und praktischen Entwicklungen in einem transformativen Dialog miteinander verschränkt werden. „Als Transformativer Dialog kann jegliche Form des Austauschs angesehen werden, der es gelingt, eine Beziehung, die sich ansonsten durch getrennte und gegensätzliche Realitäten (und den sich daraus ergebenden Praxisformen) auszeichnet, in eine solche zu transformieren, in der gemeinsame und koordinierende Realitäten konstruiert werden“ (Gergen et al. 2003: 71). Es ist diese Gleichzeitigkeit der (lokalen) Transformation und der forschenden Analyse von Transformationspfaden für den lokalen Raum, die die Reallabore für die Stadtentwicklung (und umgekehrt) zu einem spannenden Unterfangen macht.

De Flander, K./Hahne, U./Kegler, H./Lang, D./Lucas, R./Schneidewind, U./Simon, K.-H./Singer-Brodowski, M./Wanner, M./Wiek, A. (2014): Resilienz und Reallabore als Schlüsselkonzepte urbaner Transformationsfor-schung. Zwölf Thesen. GAIA – Ecological Perspectives for Science and Society 23(3): 284-286.

Gergen, K. J./McNamee, S./Barrett, F. (2003): Transformativer Dialog, in: Zeitschrift für Systemische Beratung und Therapie, Jg. 2003/Heft 2, 69–89.

Schneidewind, Uwe (2014): Urbane Reallabore – ein Blick in die aktuelle Forschungswerkstatt. In: pnd Online (3).

Mandy Singer-Brodowski (geb. 1985) studierte Erziehungswissenschaften an der Universität Erfurt und gründete während ihres Studiums das studentische Netzwerk Nachhaltigkeitsinitiativen (netzwerk n). Als Mitarbeiterin des Wuppertal Institutes schrieb sie gemeinsam mit Uwe Schneidewind das Buch „Transformative Wissenschaft – Klimawandel im deutschen Wissenschafts- und Hochschulsystem“ und betreut den Blog „Nachhaltige Wissenschaft“ redaktionell. Sie war Mitglied des Nationalkomitees zur Umsetzung der UN-Dekade „Bildung für Nachhaltige Entwicklung“ in Deutschland und hat jüngst ihre Dissertation „Studierende als GestalterInnen einer Hochschulbildung für nachhaltige Entwicklung“ an der Leuphana Universität Lüneburg fertig gestellt.

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