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Warum das BIP-Wachstum kritisieren, wenn es um Ressourcenschonung geht?

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Vielfach stößt die Idee, nach einer vom BIP-Wachstum unabhängigen Gesellschaft zu suchen, auf Unverständnis. Manchmal wird der Postwachstumsdebatte gar Begriffsverwirrung vorgeworfen: Wenn das Ziel darin besteht, den Ressourcenumlauf zu reduzieren, dann sollte man nach einer Gesellschaft, in der der Ressourcenverbrauch und nicht das BIP sinkt, suchen, so der Tenor häufig vorgebrachter Kritik. Die grundsätzliche Wachstumskritik, falls sie sich auf das BIP bezieht, gehe haarscharf am Ziel vorbei, monierte vor Kurzem der Ökonom Gustav Horn.

Ich möchte in diesem Beitrag begründen, warum das BIP-Wachstum dennoch kritikwürdig ist, und die Suche nach Entwürfen für eine Postwachstumsgesellschaft verteidigen.

Bei der gegenwärtigen Lebensweise der westlichen Gesellschaften werden mehr Ressourcen verbraucht als es rechtfertigbar ist. Dies lässt sich beispielsweise mit dem Indikator „ökologischer Fußabdruck“ veranschaulichen: Weltweit lag dieser 2007 bei 1,5; für Deutschland bei 2,6. Insofern ist einer der wesentlichen Ausgangspunkte der Wachstumsdebatte tatsächlich die Frage, wie unsere Lebensweise derart gestaltet werden könnte, dass dabei weniger Ressourcen verbraucht werden.

Entkopplung ist möglich

Was hat das nun mit dem BIP-Wachstum zu tun? Begrifflich gesehen, hier hat Gustav Horn vollkommen recht, rein gar nichts: Das Ziel ist es, den Ressourcenverbrauch zu senken, das BIP misst den Wert der Güter und Dienstleistungen, sein Wachstum impliziert die Zunahme des Wertes und es impliziert nicht, dass der Ressourcenumlauf zunimmt. Es ist sogar sehr leicht vorstellbar, wie das BIP weiter wachsen und der Ressourcenverbrauch gleichzeitig sinken könnte: Man braucht sich lediglich auszumalen, dass die gesamte Energie aus erneuerbaren Quellen erzeugt wird, dass Materialien aus wiederverwertbaren Stoffen erfunden werden, die den Gebrauch von Metallen überflüssig machen würden, dass dank neuer Mobilitäts- und Bautechnologien die Flächenversiegelung abnimmt etc. Und es gibt seriösere Nachweise als das Phantasievermögen für die Möglichkeit der Abkopplung des BIP-Wachstums von der Zunahme des weltweiten Fußabdruckes: Das UNEP hat mit Hilfe eines Modells ein Szenario durchrechnen lassen, in dem zusätzliche Invesitionen in grüne Branchen in Höhe von 2% des weltweiten BIPs angenommen wurden. Im Vergleich zum Referenzszenario ohne die zusätzlichen Investitionen steigt das weltweite BIP bis zum Jahr 2050 stärker an (um bis zu 0,6%) und der Fußabdruck sinkt auf 1,2. Insofern besteht auch kein kausaler Zusammenhang zwischen dem BIP-Wachstum und dem Ressourcenverbrauch: Die These ist falsch, das BIP-Wachstum verursache die Zunahme des Ressourcenverbrauchs.

BIP-Wachstum als politisches Hindernis

Wenn das zentrale Ziel nun darin besteht, den Ressourcenverbrauch zu senken, und es zwischen dem Ressourcenverbrauch und dem BIP-Wachstum weder einen begrifflichen noch einen kausalen Zusammenhang gibt, was spricht dann dafür, das BIP-Wachstum zu kritisieren oder sich überhaupt dafür zu interessieren? Meine Antwort hierauf lautet: Das BIP-Wachstum stellt ein politisches Hindernis dafür dar, Maßnahmen einzuleiten, die darauf abzielen, den Ressourcenverbrauch zu senken.

Warum stellt das BIP-Wachstum dieses Hindernis dar? Hinweise auf die Antwort auf diese Frage liefert Horn selbst: Ein merklich wachsendes BIP sei notwendig, um zusätzliche Beschäftigung zu schaffen. Aber auch die Sozialsysteme in der Form, in der sie heute verfasst sind, hängen von der BIP-Entwicklung unmittelbar ab: Sinkt das BIP, sinken auch die Einnahmen der Sozialversicherungen sowie die Steuereinnahmen, aus denen Transferzahlungen finanziert werden. Es besteht insofern das folgendes Hindernis: Solange politische Maßnahmen, die eine Reduktion des Ressourcenverbrauchs zum Ziel haben, Gefahr laufen, eine Reduktion des BIPs (oder auch nur des BIP-Wachstums) mitzuverursachen, stellen sie eine Gefahr für das Funktionieren der Sozialsysteme dar. Vor dem Hintergrund der politischen Realität ist es für die politischen Entscheidungsträger kaum möglich, Reformen durchzusetzen, die eine Gefahr für das Funktionieren der Sozialsysteme darstellen.

Stimmt es, dass politische Maßnahmen mit dem Ziel, Ressourcenverbrauch zu senken, eine Gefahr für die BIP-Vergrößerung darstellen? Ich glaube, dass diese Gefahr nicht ausgeräumt werden kann, weil alle Maßnahmen zur Senkung des Ressourcenverbrauchs zur Verteuerung der Ressourcen führen werden (sei es direkt durch Steuern oder indirekt durch Deckelung des Verbrauchs). Und eine Steigerung der Preise für Ressourcen kann stets dazu führen, dass die wirtschaftliche Aktivität, die diese Ressourcen involviert, derart stark zurückgeht, dass die Wertschöpfung der gesamten Volkswirtschaft sinkt. Solange die Möglichkeit einer solchen Entwicklung nicht ausgeschlossen werden kann, besteht die Gefahr, dass die Senkung des Ressourcenverbrauchs das BIP-Wachstum hemmt.

Somit besteht ein Konflikt zwischen der Schonung der Ressourcen und dem Funktionieren vielfältiger gesellschaftlicher Systeme (Sozialsysteme, Arbeitsmärkte, Finanzsysteme, Unternehmensformen, Bildungssysteme etc.). Um diesen Konflikt zu lösen, ist es die Intention der Anhänger der Postwachstumsgesellschaft, diese gesellschaftlichen Bereiche derart zu reformieren, dass sie unabhängig von der BIP-Entwicklung fortbestehen. Und die zentrale Frage der Diskussion über eine Postwachstumsgesellschaft lautet: Wie kann das realisiert werden?

Green-Growth nicht als einizige Alternative

Doch das ist nicht die einzige Möglichkeit, den Konflikt zu lösen. Unter dem Stichwort “Green Growth” wird die folgende Alternative diskutiert: Zusätzliche Investitionen in die “grünen” Branchen und die Unterstützung der Marktdurchsetzung grüner Technologien und Produkte kann dazu führen, dass neue ressourcenschonende Technologien und Produkte entwickelt werden, dass ihre Preise sinken und dass sie am Markt die bisherigen, ressourcenintensiven Produkte und Dienstleistungen verdrängen. Die zusätzlichen Investitionen würden dabei auch einen positiven Einfluss auf das BIP-Wachstum ausüben.

Gemäß dieser Alternative ist es nicht erforderlich, sich Gedanken über einen Umbau der Sozialsysteme zu machen. Denn die Hoffnung liegt darauf, dass die zusätzlichen Investitionen in grüne Wirtschaftsbereiche insgesamt eine Zunahme des BIPs einer Volkswirtschaft induzieren werden. Damit würde man vermeiden, dass die Einnahmen der Sozialsysteme oder die Finanzierung der Bildung in Gefahr geraten.

Macht diese Alternative eine Diskussion über die Postwachstumsgesellschaft überflüssig? Das glaube ich nicht. Zum einen möchte ich betonen, dass die beiden Alternativen einander nicht ausschließen: Es ist möglich, zusätzliche Investitionen in grüne Branchen zu lenken und gleichzeitig gesellschaftliche Systeme (wie Sozialsysteme, Arbeitsmärkte etc.) derart zu gestalten, dass sie vom BIP-Wachstum unabhängig werden.

Zum anderen halte ich es aber für höchst gefährlich, sich nur auf die Strategie des Green Growth zu konzentrieren und die Suche nach der Gestaltung einer Postwachstumsgesellschaft zu vernachlässigen. Und das aus dem folgenden Grund: Nehmen wir an, wir konzentrierten uns auf die Green-Growth-Strategie und subventionieren die grünen Branchen. Zwei Entwicklungen sind möglich:

  1. Alles entwickelt sich, wie man hofft: Dank der Investitionen werden neue ressourcenschonende Technologien erfunden, die sich auf Märkten durchsetzen. Insgesamt steigt die Wertschöpfung und der Ressourcenverbrauch geht zurück.
  2. Nicht alles entwickelt sich, wie man hofft. Trotz der Investitionen werden die ressourcen­scho­nen­den Technologien nicht erfunden, oder sie werden erfunden, stoßen aber nicht auf hinrei­chen­de Akzeptanz, oder die bestehenden Marktakteure lassen sie auf den Märkten nicht durch­setzen, oder sie werden erfunden, stoßen auf Akzeptanz und verdrängen ressourcenintensive Pro­dukte, doch die Verdrängungseffekte werden derart groß sein, dass die gesamte Wert­schöp­fung einer Volkswirtschaft doch sinkt.

Der erste Fall wäre ideal. Der zweite Fall wäre fatal: Entweder sinkt der Ressourcenverbrauch nicht hinreichend oder es führt zur BIP-Schrumpfung. Da wir uns in diesem Fall nicht darauf vorbereitet haben, dass das BIP schrumpft, werden viele gesellschaftliche Systeme negativ betroffen sein.

Insofern gilt: Auch wenn wir uns nur auf die Green-Growth-Strategie fokussieren, besteht die Gefahr, dass das BIP schrumpft und es besteht die Gefahr, dass der Ressourcenverbrauch nicht stark genug reduziert wird. Insofern gilt auch für eine ambitionierte Green-Growth-Strategie, dass sie politisch nicht möglich ist.

Ich glaube deshalb nicht, dass wir drum herum kommen, gesellschaftliche Systeme wie die Sozialsysteme an die Möglichkeit der Schrumpfung des BIPs anzupassen. Wenn man das Ziel, den Ressourcenverbrauch hinreichend stark zu senken, ernst nimmt, sollte man sich die politische Möglichkeit verschaffen, direkte Maßnahmen zur seiner hinreichend starken Senkung umsetzen zu können. Hierzu ist aber wiederum eine Unabhängigkeit des Funktionierens zentraler gesellschaftlicher Systeme von der Entwicklung des BIPs erforderlich.

2 Kommentare

  1. Ich stimme in jeder Hinsicht zu und möchte noch ergänzen:

    1. Aller Voraussicht nach wird uns ein „Grünes Wachstum“ vom Regen in die Traufe führen. Selbst bei einer (unzulässigen) Verengung des Blicks auf den Energieaspekt werden für Erneuerbare Energien so viele kritische Metalle in so großen Mengen benötigt, dass auch hier in Zeiträumen von Dekaden die Grenzen der Vorräte erreicht werden können. Davon abgesehen ist der (in der Regel konventionelle) Energieverbrauch für die Gewinnung und Raffinierung dieser Metalle immens. Ganze Landschaften werden dabei verwüstet, vergiftet und entwässert sowie Menschen ausgebeutet. Der Verein PowerShift hat hierzu eine lesenswerte Broschüre „Oben Hui, Unten Pfui?“ erstellt.

    2. Gerade die Wachstumsfixierung in Verbindung mit einem Steuersystem, welches Ressourcenverbrauch belohnt und Arbeit bestraft, hat die Sozialsysteme in Deutschland erst in ihre missliche Lage gebracht. Wachstum wurde in erster Linie durch Steigerung der Arbeitsproduktivität erreicht, und das Ergebnis sind viele Arbeitslose und prekär Beschäftigte, die über die Sozialsysteme unterstützt werden müssen. Das Forum für ökologisch-soziale Marktwirtschaft FÖS kämpft daher seit Jahren für eine höhere Besteuerung von Ressourcen und den Abbau umweltschädlicher Subventionen – mit dem Hinweis auf die Gefährdung des Wachstums bisher weitestgehend vergeblich.

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