Neues aus der Wissenschaft

Wachstumszwang in der Geldwirtschaft?

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Die Diskussion, ob die heutige Geldwirtschaft mit einer Postwachstumsgesellschaft kompatibel ist oder ob darin ein Wachstumszwang liegt, wurde auch in diesem Blog bereits diskutiert.

Am Zentrum für Ökonomische und Soziologische Studien der Universität Hamburg haben Ferdinand Wenzlaff, Christian Kimmich und ich von der Wissenschaftlichen Arbeitsgruppe nachhaltiges Geld nun das Diskussionspapier „Theoretische Zugänge eines Wachstumszwangs in der Geldwirtschaft” veröffentlicht. Neben einer Übersicht über bestehende Theorien eines Wachstumszwangs fokussiert es insbesondere auf das Thema Geld und Zins.

Zunächst beschreiben wir die verschiedenen Konzeptionen von Geld in der wirtschaftswissenschaftlichen Theorie und erläutern, warum die These nicht haltbar ist, dass Geld zur Vereinfachung des Tauschs auf bestehenden Märkten erfunden wurde. Stattdessen sind Kredit, Zins und Märkte in einem gemeinsamen Prozess entstanden. Geld wie Zins haben eine Funktion, die nicht so einfach weggedacht werden kann, ohne marktwirtschaftliche Prinzipien auszuschalten.

Darauf aufbauend untersuchen wir, ob eine positive Zinsrate mit einer nicht mehr wachsenden Wirtschaft kompatibel ist. Wir widerlegen die These, dass allein die Kreditgeldschöpfung bereits zu einem Wachstumszwang führe, da der Zins eine ständige Ausweitung der Geldschöpfung bedinge. Erst mit der plausiblen Annahme, dass der Zins nicht vollständig konsumiert wird, entsteht eine Notwendigkeit für Wachstum. Wir beschreiben das scheinbar paradoxe Resultat, dass Konsum gerade nicht zu einem Wachstumszwang führt, aber Wachstumsimpulse auslöst.

Nach Allais Goldener Regel müsste bei einer stationären Wirtschaft der Zinssatz auf null gesenkt werden, wodurch der Wachstumszwang verschwände. Basierend auf einer monetärkeynesianischen Theorie der Liquiditätspräferenz fundieren wir den Zinssatz markttheoretisch und zeigen, warum er nicht beliebig fallen kann. Darauf aufbauend skizzieren wir ein Zentralbankdilemma, dass bei einer stationären Wirtschaft die Notenbank in einen Konflikt aus Stagnation und Blasenbildung gelangt – was die paradoxe heutige Situation beschreibt, dass die entwickelten Geldwirtschaften zur Stagnation neigen und gleichzeitig Wachstum benötigen würden, um die Auswirkungen auf Beschäftigung und Verteilung zu lindern. Zum anderen zeigen wir den Einfluss auf die Staatsverschuldung, falls die Zinsrate über der Wachstumsrate liegt, und bereiten so das Forschungsfeld des Zins-Wachstums-Differentials zu einer Theorie des Wachstumszwangs auf.

Das Papier möchte verbreitete Missverständnisse rund um das Thema Geld und Zins in der Postwachstumsdiskussion ausräumen und zugleich Anstoß geben zur theoretischen Vertiefung und empirischen Prüfung der aufgeworfenen Fragen und Thesen.

>> Download des Arbeitspapiers (PDF, 500kB)

Oliver Richters, studierter Physiker, ist Doktorand am Lehrstuhl für Internationale Wirtschaftsbeziehungen der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Von 2012–16 war er Vorsitzender der Vereinigung für Ökologische Ökonomie. Er ist aktiv in den Netzwerken Plurale Ökonomik und Wachstumswende sowie in der Wissenschaftlichen Arbeitsgruppe nachhaltiges Geld.

2 Kommentare

  1. Die EZB ist mit ihrer Geldpolitik ja schon einen Schritt weiter: Seitdem der Einlagezinssatz negativ ist, sinken die Zinsen am Interbankenmarkt auch ins negative und den ersten Groß-Einlegern wie E.ON und der Lufthansa werden Geldhaltekosten für ihre Konten angekündigt:
    http://www.heise.de/tp/artikel/43/43077/1.html
    Bin gespannt, wie die Geschichte weitergeht.

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