Wirtschaftliches Wachstum ist unverzichtbar weil es weltweit einen entscheidenden Beitrag zur gesellschaftlichen Entwicklung und zur Verbesserung der Lebensbedingungen leistet. Insbesondere in Industrieländern lässt sich Wachstum nicht allein mit einer immer größeren Zahl an produzierten Gütern erklären.
Über reine Menge und Materie hinaus spiegelt das Bruttoinlandsprodukt als gängiger Wachstumsindikator auch Wertsteigerungen wider, die sich ergeben, wenn die Wirtschaftsteilnehmer qualitative Verbesserungen honorieren (so genanntes „qualitatives Wachstum“). Die Wirtschaft wächst also keinesfalls nur durch „immer mehr vom Gleichen“. Sie wächst auch dann, wenn neues Wissen neue Produktionsverfahren oder neue Materialien hervorbringt, mit deren Hilfe knappe materielle Ressourcen effizienter verwendet werden können. Wachstum führt – zumindest in den entwickelten Industrieländern – weder zwangsläufig zu einer mengenmäßigen Expansion des Outputs noch geht es automatisch mit einem stetig steigenden Ressourcenverbrauch einher. In Schwellen- und Entwicklungsländern sieht die Situation (noch) anders aus. Hier überwiegt vermutlich das so genannte „quantitative Wachstum“. Gerade deshalb ist es wichtig, dass Deutschland seine Trümpfe als Hochtechnologieland ausspielt und sein Wissen und seine Innovationen z.B. im Bereich der erneuerbaren Energien oder der ressourcenschonenden Produktionsweisen vermehrt auch in diese Länder trägt. Das „Ende des Wachstums“ zu verkünden, würde gerade für ärmere Länder bedeuten, Ihnen Chancen auf ein besseres Leben zu verwehren. Diese Vorstellung widerspricht nicht nur den gängigen Prinzipien der Solidarität, sie ist schlichtweg verantwortungslos!
von Claudia Boegel, MdB und Mitglied der Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“
[…] aus St. Gallen bezieht sich dabei auf das Wirtschaftswachstum. Das Phänomen, das alle Politiker beschwören, das oft zum Heilsbringer und Multiproblem-Löser stilisiert wird, aber auch das Phänomen auf das […]
Die Kritik an der Wachstumsausrichtung des Wirtschaftssystems bezieht sich selbstverständlich nicht auf Entwicklungs- und Schwellenländern, denen mit Sicherheit kein Wachstumskritiker die Entwicklung hin zu einer existenzsichernden Lebensweise verwehren will. Ich sehe dieses Argument als beliebtes Mittel die wachstumskritische Bewegung als menschenfeindlich zu diskreditieren.
Wer sich etwas eindringlicher mit dem Thema Wachstumskritik befasst, wird feststellen, dass die Kritik ausschließlich auf das Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell hoch entwickelter Industrienationen (z.B. Deutschland) abzielt. Und dort ist, gerade aus Menschenfreundlichkeit gegenüber ärmeren Regionen, ein Einschränken des QUALITATIVEN Wachstums dringend notwendig, um auch ärmeren Regionen die Chance zu lassen über notwendige Ressourcen zu verfügen, die ihre Entwicklung voratreiben.
In Wohlstandsregionen weiterhin fleißig Ressourcen zu verfeuern um maßlose Bedürfnisse zum Selbstzweck zu befriedigen, während es in großen Teilen der Welt am nötigsten fehlt, das ist in meinen Augen unsolidarisch und verantwortungslos. Nicht aber die Kritik an einer solchen Verhaltensweise.
Liebe Frau Bögel, Ihr Argument, dass Wachstum in entwickelten Industrieländern „weder zwangsläufig zu einer mengenmäßigen Expansion des Outputs noch […] automatisch mit einem stetig steigenden Ressourcenverbrauch einher“ geht bzw. das qualitative Wachstum in entwickelten Ländern schon jetzt überwiegt, halten wir für eine sehr undifferenzierte Behauptung, die auf einer reinen theoretischen Betrachtung beruht und wenig empirische Relevanz hat. Wir würden uns freuen, wenn Sie Ihre Meinung genauer begründen können (z. B. einen relevanten Indikator nennen können, der Ihre Behauptung stützt). Laut OECD Synthesis Report „Measuring Material Flows and Resource Productivity“ z. B. steigt die Extraktionsrate (absolut und relativ) materieller Resourcen, die für wirtschaftliche Prozesse genutzt werden, in OECD Ländern (und nicht nur Entwicklungs- und Schwellenländern) ungebremst. Das deutet darauf hin, dass Wirtschaftswachstum auch in entwickelten Ländern weiter quantitativ getrieben ist (bzw. vermeintliche Effizienzgewinne durch einen Rebound-Effekt aufgebraucht werden). Wenn Sie systemisch das Mittel (Wirtschaftswachstum) mit dem Zweck (Erhöhung der Lebensqualität) verwechseln, dann entsteht Wachstumszwang. „Es ist nicht das oberste Ziel des Organismus zu wachsen, sondern eine für ihn optimale Größe zu erreichen.“ (Marco Bischof) Dies lässt sich auch auf das soziale System Wirtschaft übertragen. Doch schießen wir gerade in entwickelten Ländern immer noch weit über dieses Ziel hinaus – nicht zuletzt hat die neoliberale Politik der meisten Industrieländer signifikant dazu beigetragen (das behaupten wir jetzt mal einfach so). Es ist ja nicht so, dass in Deutschland nur die „grünen“ Branchen wachsen würden, auch traditionelle Branchen, verkünden immer neue Wachstumsrekorde. Ein Null-Wachstum würde ja auch nicht zwangsweise meinen, dass gar keine Bereiche mehr wachsen, aber es würde es legitimieren, die „optimale Größe“ als Status Quo anzustreben und behalten zu können anstatt im Streben nach Wachstum einen Verdrängungswettbewerb zu führen, nur um des Wachstums willen. Was sagt denn ein prozentuales (BIP-)Wachstum über eine Gesellschaft aus, wenn sämtliche (negativen) Externalitäten wirtschaftlicher Tätigkeit in dem betrachteten Indikator unberücksichtigt bleiben? „Verantwortungslos“ ist es immer noch an unendliches Wachstum in einer endlichen Welt zu glauben und diese Dynamik politisch zu unterstützen!
Mit besten Grüßen,
Katharina Geppert und Max Langner
Wirtschaftswachstum ist unverzichtbar für die immer kleiner werdende Gruppe derer, die davon profitieren. Insbesondere in den Industrieländern klaffen Einkommenszuwächse immer weiter auseinander. Ökonomisch belegte Phänomene wie „working poor“ und „jobless growth“ zeigen, dass einer Wachstums- und Arbeitsgesellschaft die Luft ausgeht.
Das BIP misst in erster Linie die materielle Güterversorgung; es spiegelt Elemente wie Lebensqualität, Muße, demokratische Partizipation, Meinungsfreiheit, Liebe … und vor allem den Erhalt der ökologischen Lebensgrundlagen nicht wieder. Eine relative Entkopplung des BIP Wachstums vom Ressourcenverbrauch konnte nur in wenigen Wirtschaftsbereichen erzielt werden. Zur Erreichung (etwa der europäischen Treibhausgasminderungssziele) braucht es jedoch eine absolute Minderungsleistungen. Der Hinweis auf die notwendige Verbesserung des Lebensstandards in armen Ländern dient als Totschlagargument, mit dem notwendige Reduktionen verschleiert und hinausgezögert werden sollen.
So fällt die Politik hinter die gesellschaftliche Diskussion zurück. Das zeigte auch der Bürgerdialog zur Energiewende im letzten Jahr: Viele BürgerInnen wiesen dabei auf den Umstand hin, dass Energiesparen nicht per se zu einer Einschränkung des Lebensstandards führen müsse (Bürgerreport 2011. „Energietechnologien für die Zukunft“, S. 33). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die seit Jahren geführte gesellschaftliche Debatte zu Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität im schroffen Gegensatz zur Politik des „Wachstums um jeden Preis“ steht (http://www.fdp.de/Wachstum/1415b510/index.html).