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Wachstum der Lebensfreude

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Zum zweiten Mal kamen in Wien auf Einladung des Lebensministeriums etwa 700 kritische BegleiterInnen der Wachstumswende zusammen. Dieses Publikum war bunt durchmischt vom REWE-Direktor bis hin zu Food-Coop InitiatorInnen. Um so erstaunlicher, dass sich ein Thema als zentral in dieser dreitägigen Konferenz herausstellte: die Lebensfreude.

In der Eröffnungsrede wurde bereits deutlich gemacht, dass die Konferenz „Wachstum im Wandel“ keine Degrowth-Veranstaltung sei, wodurch man sich deutlich von der zwei Wochen zuvor in Venedig stattgefundenen Konferenz abgrenzte. Die erschienenen MinisterInnen Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ), Nikolaus Berlakovich (ÖVP) und Rudolf Hundstorfer (SPÖ) plädierten denn auch geschlossen dafür, die Frage in den Vordergrund zu rücken, wie und was wachsen soll. Es sollte demnach eine Konferenz für qualitatives Wachstum werden.

Im Mittelpunkt dieser Konferenz stand die Lebensfreude. Die drückte sich zum einen darin aus, dass die Konferenz damit endete, dass sich die TeilnehmerInnen gegenseitig in den Armen lagen.  Zum anderen wurde die Lebensfreude aber auch als zentrales Momentum angesehen, auf das sich Wachstum auszurichten habe. Entsprechend häufig wurde auch die Glücksforschung auf dieser Konferenz rezipiert. Es traf sich hier demnach die postmaterialistische Elite einer Wohlstandsgesellschaft, die erkannt hat, dass weitere materielle Güter nicht mehr zu ihrem Wohlbefinden beitragen.

Neue Lokalität

Die Thesen der Trägerin des alternativen Nobelpreises Helena Norberg-Hodge waren bestimmend für diese Konferenz. In ihrem 2011 produzierten Film „The Economics of Happiness“ machte sie bereits auf den Widerspruch zwischen einer zunehmend forcierten Globalisierung seitens der Regierungen und Großkonzerne und den vielerorts entstehenden lokalen Wirtschaftsgemeinschaften aufmerksam. Ihr Plädoyer für eine lokale, sozial und ökologisch nachhaltige Wirtschaftsweise erntete großen Zuspruch. Dabei wurde Lokalität jedoch von einigen KonferenzteilnehmerInnen auf ganz Österreich bezogen und als Programm zur regionalen Wirtschaftsförderung verstanden.

Gemeinwohlökonomie

Anders als innerhalb der Degrowth-Bewegung wurde die Wirtschaft weitgehend als neutraler Faktor im Wachstumsprozess angesehen. Frank Hensel, Vorstandsvorsitzender bei REWE International, betonte, dass sein Unternehmen lediglich die Wünsche seiner KundInnen abbilden würde. Angelika Zahrnt wies hingegen auf die Grenzen des Marktes hin und machte sich für mehr Subsistenz und Suffizienz stark, was zwangsläufig zu einem Wachstumsrückgang führen würde. Von einigen UnternehmerInnen wurde in diesem Diskurs das Konzept der Gemeinwohlökonomie von Christian Felber favorisiert. Dieses Konzept sieht vor, das Gemeinwohl bei der Bewertung von Unternehmen in den Vordergrund zu rücken.

Wachstumsfetisch

Strittiger als der Diskurs um die Ziele und Mittel des Wandels war die Auseinandersetzung um die Ursachen der multiplen Krise. Tomáš Sedlácek bezeichnete unsere Ökonomie als ein Fahrrad, welches von einem Wachstumsfetisch angetrieben sei und stürze, sobald es nicht mehr weiter wachse. Peter Senge äußerte die These, dass Wachstum unsere Religion geworden sei. Ihre gemeinsame Aussprache für Mäßigung wurde auch in den Weltcafés aufgegriffen. Auf die Fragen „Was soll wachsen? Was soll sterben?“ wurde sich in diesen überdeutlich gegen Konsumrausch ausgesprochen und für Kooperation.

Demokratische Gestaltungsräume

Im Mehrheitsdiskurs erschienen also falsche Werte als Ursache der multiplen Krise. Jedoch gab es auch alternative Erklärungsansätze. Ulrich Brand stellte die Machtfrage in den Mittelpunkt und sieht in den Interessen der Eliten den wesentlichen Wachstumstreiber begründet. Seine Forderung nach mehr demokratischen Gestaltungsräumen wurde begeistert aufgegriffen und mit den an Jim Rough angelehnten BürgerInnenräten in Voralberg scheinen bereits erste Schritte in diese Richtung gegangen zu sein.

Wachstumstreiber

In dem Workshop Alternative Wirtschaftskonzepte betonte Karin Küblböck die negativen Auswirkungen von Kommodifizierung, Privatisierung und Finanzialisierung. Ulrich Thielemann ging sogar noch einen Schritt weiter und betrachtete den Wettbewerb ganz allgemein als den wesentlichen Wachstumstreiber. Solche systemkritischen Erklärungsansätze stießen zwar auf große Resonanz in dem Workshop, blieben auf den Plena jedoch weitgehend unberücksichtigt.

Inseln des Übergangs

Ziel dieser Konferenz war es definitiv nicht das gegenwärtige Wirtschaftssystem grundlegend in Frage zu stellen. Dennoch ging von ihr ein deutlicher Impuls zum Wandel dieses Systems aus. Allerdings ist vor allem ein Wandel von Innen heraus gewollt. Ein Bewusstseinswandel bildet demnach die Voraussetzung für einen Wandel des Wirtschaftssystems. All diejenigen, deren Bewusstsein sich bisher noch nicht gewandelt hat, brauchen demnach ausgehend von dieser Konferenz keine Veränderungen zu befürchten.

Hier haben sich Menschen zusammengefunden, die einen Kapitalismus mit menschlichem Antlitz wollen und die Lebensfreude in den Mittelpunkt ihres Schaffens stellen. Es geht um lokale Wirtschaftsgemeinschaften in denen Verantwortung und Kooperation gelebt werden. Diese Gemeinschaften werden nachhaltig sein und womöglich auch ohne Wachstum auskommen. Sie werden sich wohl auch vernetzen und selbst anwachsen. Doch erheben sie selbst gar nicht den Anspruch mehr als Inseln des Übergangs in einem Meer aus Wachstum zu sein.

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