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Vom Postwachstum zur De-Globalisierung

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Fast 13 % für die AfD bei den Bundestagswahlen, 26 % für die FPÖ in Österreich – erneut ist deutlich geworden, dass der Aufstieg der Neuen Rechten kein vorübergehendes Phänomen ist. Wer hoffte, dass die schwierigen Brexit-Verhandlungen und die Fehltritte eines Donald Trump die Erfolgssträhne des neuen Nationalismus zunichtemachen würden, sieht sich getäuscht. Yanis Varoufakis [1] diagnostizierte folgerichtig die langfristige Herausbildung einer nationalistischen Internationalen: völkische und rechts-autoritäre Führungsfiguren, Parteien, Bewegungen, NGOs und Medien, die sich institutionalisieren und weltweit vernetzen. Sie bringen zustande, was linke Massenbewegungen und Parteiprojekte in den zehn Jahren seit Ausbruch der Finanzkrise nicht konnten oder nicht wollten: Sie formulieren eine Alternative zur in Misskredit geratenen Ideologie des Neoliberalismus. Das TINA-Prinzip („There Is No Alternative“) bekommt Konkurrenz – durch eine starke Erzählung nationaler Ermächtigung, gepaart mit religiösen, rassistischen, anti-feministischen und anti-ökologischen Ressentiments. Obwohl die Neuen Rechten nur Teilaspekte neoliberaler Wirtschaftspolitik in Frage stellen und sie in anderen Bereichen radikalisieren, fungieren sie doch als ideologische Gegenbewegung zum neoliberalen und post-demokratischen Politikmodell.

Die Neue Rechte als Postwachstums-Bewegung?

Die nationalistische Internationale hat mit Postwachstum – verstanden als empirischer Zustand, nicht als politische Forderung – mehr zu tun, als es zunächst scheint. Stagnation oder Mini-Wachstum sind in den Staaten des globalen Nordens längst ökonomische Realität. Während mit der neoliberalen Globalisierung seit den 1980er Jahren neue Wachstumsherde im globalen Süden entstanden, verlangsamte sich das Wachstum im Norden. Stagnierende Löhne, prekäre Beschäftigungsverhältnisse, wachsende Ungleichheit – der subjektive Zusammenhang zwischen Wachstum und Lebensqualität erodierte. Es liegt nahe, die Neue Rechte als Gegenbewegung zum Aufstieg neuer ökonomischer Mächte zu begreifen. In den Abstiegsgesellschaften des Westens erstarken diejenigen Kräfte, die glaubhaft die Absicherung des relativen Wohlstandes oder gar eine Rückkehr zu vergangenen Blütezeiten versprechen können [2].

Doch auch jenseits der alten „Industriestaaten“ gewinnen rechte und reaktionäre Tendenzen die Oberhand. Ob Al Sisi in Ägypten, Modi in Indien, Xi Jingping in China, Erdogan in der Türkei, Duterte in den Philippinen, Putin in Russland, Temer in Brasilien, Macri in Argentinien, Kaczynski in Polen oder Orbán in Ungarn – die nationalistische Internationale ist gewiss kein ‚First-World-Problem‘ [3]. Das neoliberale Wachstumsmodell hat sich auch und gerade abseits der G7-Staaten als Sackgasse erwiesen und bedarf neuer Legitimationsstrategien [4]. In diese Lücke stoßen rechte Kräfte schon deshalb erfolgreicher als progressive Bündnisse, weil sie nicht die exklusive soziale Logik des Neoliberalismus problematisieren und ein politisches Projekt ‚für Alle‘ formulieren müssen, sondern oberflächlich bleiben und Sündenböcke deklarieren können. Nicht zufällig rekrutieren sich die neu-rechten Führungsfiguren meist aus wohlhabenden Unternehmer-Dynastien. Zusammengefasst könnte man sagen: Die sozialen Kosten und die ökonomische Begrenztheit des Wachstumspfades der vergangenen Jahrzehnte führen weltweit zur Herausbildung neuer Herrschaftsprojekte innerhalb der Eliten, die nicht selten protektionistisch argumentieren und versuchen, die Unzufriedenheit mit der neoliberalen Globalisierung nationalistisch zu kanalisieren [5].

Transformation als Gegenprojekt?

Wir erleben also die Entstehung einer rechten Globalisierungskritik, die zwar Märkte und Produktionsverhältnisse nicht grundlegend politisiert, jedoch eine Projektionsfläche für die Unzufriedenheit mit dem neoliberalen Wachstumsmodell bietet. Eine wirksame ökonomische Gegenerzählung von links lässt dagegen weiterhin auf sich warten. Bei den Protesten der vergangenen 20 Jahre gegen die WTO, gegen Sozialabbau, gegen Austeritätspolitik oder gegen bilaterale Freihandelsabkommen handelte es sich im Wesentlichen um Abwehrkämpfe und nicht um die zukunftsgerichtete Suche nach ökonomischen Alternativen.

Unterdessen ist die „(sozial-ökologische) Transformation“ zum Catch-All-Begriff für alle möglichen progressiven Akteure geworden, um die Notwendigkeit eines grundlegenden Wandels anzuzeigen. Die aktuelle Dominanz der Transformationsperspektive in progressiven Debatten ist aus vielerlei Gründen ein Problem. Zum einen verbleibt sie in abstrakt-akademischen Gefilden, ist kaum real (emotional) vermittelbar und verspricht eher noch mehr Unsicherheit und Instabilität als robuste Krisenlösungen. Außerdem erleidet der Transformationsbegriff derzeit ein ähnliches Schicksal wie der der nachhaltigen Entwicklung: Er wird mit den Anforderungen einer profit- und wachstumsorientierten Wirtschaftsweise kompatibel gemacht [6]. Vor allem aber de-thematisiert der Transformations-Diskurs systematisch das, was die Rechten sehr erfolgreich thematisieren: Kritik an der Globalisierung und ihren institutionellen Erscheinungsformen (wie etwa der European Economic Governance, bilateralen Freihandelsabkommen oder regionalen Wirtschaftsräumen).

Degrowth auf dem Weg zu einer politischen Kraft

Die Stärke des Degrowth-Ansatzes liegt darin, den Zerfall des neoliberalen Wachstumsregimes nicht nur zu thematisieren, sondern sich positiv auf ihn zu beziehen. Degrowth verspricht keine nostalgische Rückkehr zum vermeintlich goldenen Zeitalter des Industriekapitalismus, sondern einen “prosperous way down” [7] hin zu einer Gesellschaft, in der vielleicht weniger materieller Reichtum, aber mehr soziale Gleichheit, mehr Zeit und Lebensqualität, mehr Kooperation und ‚soziale Freiheit‘ [8] sowie andere ‚Naturverhältnisse‘ vorherrschend sind. Die Wiederentdeckung utopischen und experimentellen ökonomischen Denkens in Form des Degrowth-Diskurses hat zu einer Ansammlung und Vermengung vielfältiger ökonomischer Konzepte und Theorien geführt. Die Degrowth-Bewegung ist eben dank ihres klaren Fokus auf die Wachstumsfrage zu einer Projektionsfläche geworden, die unterschiedliche Akteure und Milieus miteinander vernetzt und so zur politischen Kraft wird [9].

Dabei steht die Degrowth-Bewegung jedoch erst am Anfang. Versuche, die vorwiegend weiße und akademische soziale Basis und die europäische Sichtweise der Degrowth-Bewegung durch die gezielte Verknüpfung mit anderen Diskursen – etwa zu selbstbestimmter Entwicklung, Digitalisierung oder Post-Extraktivismus – auszuweiten, gehen in die richtige Richtung. Sie reichen jedoch noch nicht aus, um „Postwachstum“ und die Klima-Bewegung insgesamt zu einem Akteur bzw. Antagonist werden zu lassen, der auf der politischen Bühne ernst- und wahrgenommen wird. Die Forderung nach einer Abkehr vom Wachstumsimperativ greift zwar ein bestehendes gesellschaftliches Unbehagen auf, knüpft jedoch nicht an die bestimmende Konfliktachse unserer Zeit an. Die dominante gesellschaftliche Konfliktlinie verläuft zwischen denjenigen politischen Kräften, die die ökonomische Globalisierung der vergangenen Jahrzehnte (das „TINA-Prinzip“) aufrechterhalten und vertiefen wollen und denen, die sie kritisieren und neue Formen internationaler Koordination entwickeln.

Solidarische De-Globalisierung

Könnte das Modell einer ‚solidarischen De-Globalisierung‘ eine progressive Antwort auf die Globalisierungskritik von Rechts sein? Das Konzept ist alles andere als neu. Walden Bello prägte den Begriff Anfang der 2000er Jahre und löste damit heftige Debatten in der globalisierungskritischen Bewegung jener Zeit aus. Er wurde dabei nicht müde zu betonen, dass De-Globalisierung nicht Abschottung und Protektionismus bedeuten, sondern eine neue Form internationaler Regulierung und politischer Kooperation. In seinen 14 Prinzipien fordert er unter anderem eine binnenorientierte Produktion, ökonomische Subsidiarität, entwicklungsorientierte Industrie- und Handelspolitik, gemischte Ökonomien [10], Umverteilung von Einkommen und Vermögen und eine Abkehr vom Wirtschaftswachstum als alleinigem Orientierungsmaß [11].

Doch der Begriff wird auch kritisch gesehen. Schon im Jahr 2003 kritisierte Patrik Bond den Ansatz von Walden Bello als „doppelt-reformistisch“ [12], weil er auf eine Kombination aus internationaler Regulierung und lokalen ökonomischen Ansätzen setze und revolutionäre Strategien ausblende. Noch heikler präsentiert sich das Problem, dass die Aufwertung lokaler und regionaler Ebenen, wie sie im Konzept der De-Globalisierung angelegt ist, den derzeitigen Trend zur Re-Nationalisierung verstärken könnte [13]. Klar ist: der Raum des politischen ist heute transnational, wenn nicht global zu denken – weder der finanzdominierte Kapitalismus noch die nationalistische Internationale können auf nationaler Ebene bekämpft werden. Bereits die Mitterand-Regierung der 1980er Jahre musste die Grenzen nationaler Transformationsstrategien kennen lernen, bevor die Syriza-Regierung im Sommer 2015 schmerzhaft an sie erinnert wurde. Jede ökonomische Alternative und jede politische Strategie zu ihrer Durchsetzung kann heute nur transnational gedacht werden, wenn sie eine reale Alternative entwickeln will. Wie es der Regisseur Milo Rau auf den Punkt brachte: „Man kann die Bourgeoisie nicht in einer nationalen Bewegung besiegen, denn der Nationalstaat ist eine Erfindung dieser Herrschaftsform.“ [14]

Doch kosmopolitische und voluntaristische Strategien einer ‚anderen Globalisierung‘ oder ‚großen Transformation‘ greifen ihrerseits in Leere. Die De-Globalisierung im Sinne einer „Fragmentierung politischer Herrschaftsverhältnisse“ [15] und der Herausbildung eines multipolaren Kapitalismus hat längst eingesetzt. Es geht nicht mehr darum, ob eine De-Globalisierung stattfindet, sondern darum, wer sie auf welche Weise gestaltet. Die zentrale Auseinandersetzung der Gegenwart ist, wie die Alternative zum westlich geprägten System der Global Governance und seiner neoliberalen Wirtschafts-Software aussehen wird. Erwarten uns eine neue Blockkonfrontation und verschärfte geopolitische Konflikte? Werden reaktionäre Kräfte die neoliberale Globalisierung teils abwickeln und dabei die sozial-chauvinistischen Bestandteile neoliberaler Politik radikalisieren? Oder kann ein solidarisches Gegenprojekt entstehen, das die De-Globalisierung ihrerseits gestalten will, dabei nationalistische und neoliberale Politik jedoch überwindet?

Degrowth braucht eine Zuspitzung

Die Degrowth-Bewegung könnte der entscheidende Akteur sein, dem es gelingt, das Konzept einer koordinierten ökonomischen De-Globalisierung aufzugreifen und als solidarischen Gegenpol zur Abschottung und ‚Globalisierungskritik von Rechts‘ in Stellung zu bringen. Denn die De-Globalisierung ist eine notwendige Zuspitzung und Ergänzung des Degrowth-Programms. Während ‚Postwachstum‘ ein Ziel formuliert, zeigt ‚De-Globalisierung‘ eine Richtung an. Worum soll es bei „Degrowth“ anderes gehen als darum, die immer weitergehende Internationalisierung der Produktion, der Ausbreitung der Finanzmärkte, die Kommodifizierung sämtlicher Lebensbereiche und den Abbau demokratischer Gestaltungsmöglichkeiten aufzuhalten, umzukehren und eine solidarische Produktions- und Lebensweise zu institutionalisieren? Das Konzept einer solidarischen De-Globalisierung könnte zudem den dringend notwendigen Schulterschluss zwischen der globalisierungskritischen Bewegung der 2000er Jahre, den Massenbewegungen gegen Austeritätspolitik nach 2008 und den Protesten gegen bilaterale Freihandelsabkommen seit 2015 herstellen, und zugleich die Perspektive des globalen Südens mitdenken. Um wirklich zu einem Gegenentwurf zur Globalisierungskritik von Rechts zu entwickeln, müsste das Konzept jedoch zunächst aufgegriffen und breit diskutiert werden.

 

Literatur

[1] https://www.nytimes.com/2017/07/06/opinion/yanis-varoufakis-a-new-deal-for-the-21st-century.html

[2] Decker, S., Sablowski, T. (2017). Die G20 und die Krise des globalen Kapitalismus. Studie im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Mai 2017, S. 40.

[3] http://www.zeitschrift-luxemburg.de/strongmen-politische-krieger-und-empire-wo-sie-zusammenkommen-wird-es-kompliziert-und-heftig/

[4] Gonzalez-Vicente, R. & Carroll, T. (2017). Politics after National Development: Explaining the Populist Rise under Late Capitalism, Globalizations, 14(6), S. 991-1013.

[5] Decker, Sablowski 2017 (s.o.), S. 36.

[6] Brand, U. & Daiber, B. (2012). Socialecological tranformations. Austrian Journal of Development Studies, 28(3), S. 4-6.

[7] Odum, H. T. & E. C. Odum (2001). A Prosperous Way Down. Boulder: University Press of Colorado.

[8] Honneth, Axel (2017): Die Idee des Sozialismus. Versuch einer Aktualisierung. Erweiterte Ausgabe. Berlin: Suhrkamp.

[9] https://www.degrowth.info/de/2016/01/ueber-selbstproblematisierung-zu-kapitalismuskritik-die-degrowth-bewegung/

[10] Gibson-Graham JK (2008a) Diverse economies: Performative practices for ‘other worlds’. Progress in Human Geography  32(5): 613–632

[11] Bello, Walden (2013): Capitalism’s Last Stand? Deglobalization in the Age of Austerity. London: Zed Books.
Bello, Walden; Nachtwey, Oliver (Eds.) (2005): De-Globalisierung. Widerstand gegen die neue Weltordnung. Hamburg: VSA-Verlag.

[12] https://systemicalternatives.org/2014/02/13/deglobalization-sure-but/

[13] http://www.zeitschrift-luxemburg.de/der-demokratische-aufstand/

[14] http://www.zeit.de/2017/44/milo-rau-regisseur-theater-berlin-weltparlament/komplettansicht

[15] Simon, Jenny (2017): Am Rande des Imperiums.  Chinas Staatskapitalismus zwischen Rivalität und Interdependenz, in: Wissenschaft und Frieden, 34 (4), S. 23–25.

1 Kommentare

  1. Alfred Reimann sagt am 10. November 2017

    Letztlich müssen wir den Einzelnen überzeugen, dass mehr Güter nicht mehr Wohlbefinden, Zufriedenheit und Allgemeinwohl bedeuten. Dazu brauchen wir eine Theorie, die für jeden nachvollziehbar erklärt, wie Wahrnehmung, Bewertung, Wahl und Tat auf sein Wohlbefinden wirken. Einen frühen Entwurf habe ich in den letzten 15 Jahren meiner Forschung entwickelt. Die Zusammenhänge sind erfolgreich getestet, was fehlt ist die Verbesserung der Formulierung. Wer mir helfen möchte, oder sich interessiert kann das Material unter info@alfredreimann.de anfordern. Danke für Ihre Aufmerksamkeit und viel Freude weiterhin wünscht Ihnen Alfred Reimann.

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