Wenige Wochen vor der vorgezogenen Bundestagswahl beschäftigen die Menschen in Deutschland besonders zwei Themen: Migration und Wirtschaft. Spätestens seit dem Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt und dem Messerangriff in Aschaffenburg und nun der Amokfahrt in München überbieten sich die Parteien mit Wahlprogrammen, die einschränkende Migrations- und Grenzpolitiken vorsehen. Getrieben werden sie dabei von der extremen Rechten, die diesen Diskurs seit vielen Jahren zu ihren Gunsten instrumentalisiert – selbst wenn darum gebeten wird, dies nicht zu tun. So hat sich die AfD dieses Jahr offen zur Remigration bekannt oder Flyer in Form von Flugtickets für Abschiebungen verteilt. Aber auch die CSU setzt auf einen „Knallhart-Plan“ beim Thema Migration und Friedrich Merz (CDU) hat mit seinem Antrag zum 5-Punkte-Plan und der Abstimmung über das „Zustrombegrenzungsgesetz“ die Unterstützung der AfD in Kauf genommen, was für viele einem historischen Tabubruch gleicht.
Neben diesem sehr von Migrationsthemen bestimmten Wahlkampf, kämpfen viele Menschen mit den ökonomischen Unsicherheiten einer Wirtschaft, die das zweite Jahr in Folge schrumpft. Was auf den ersten Blick wie zwei getrennte Themen erscheint, zeigt sich bei genauerer Betrachtung als eng miteinander verknüpft. So zeigen verschiedene Studien einen Zusammenhang zwischen der Wahrnehmung von Einwanderung als Bedrohung und Zeiten, in denen die wirtschaftliche Lage als schlecht empfunden wird. In solchen Zeiten entsteht das Gefühl der Bedrohung oft durch den Wettbewerb um als knapp empfundene Ressourcen, wie zum Beispiel Wohnraum. Rechtsextreme Parteien sind sehr geschickt diese Sorgen aufzugreifen und mit einem ihrer Kernthemen – der Migration – zu verknüpfen. Vor kurzem erklärte Frank Greuel vom Deutschen Jugendinstitut, dass die AfD besonders auch für jüngere Menschen attraktiver geworden sei, da es ihr gelungen sei, Migration mit relevanten Fragen rund um Wirtschaft und sozialer Gerechtigkeit zu vereinen.
‚Ecobordering‘ – Mythos Klimaschutz durch Grenzschutz
Dieses Aneignen von gesellschaftlichen Sorgen durch rechtsextreme Parteien ließ sich in der Vergangenheit auch bei anderen Themen beobachten. Zum Beispiel passten verschiedene europäische rechtsextreme Parteien um 2019 ihren einwanderungsfeindlichen Diskurs an die wachsenden Sorgen um den Klimawandel an. Dadurch entfernten sie sich vom klassischen Narrativ der Klimawandelleugner und nahmen zunehmend Umwelt- sowie Klimafragen in ihre Rhetorik auf. Eine kürzlich erschienene Studie definiert diese Verknüpfung als Ecobordering. Ziel dahinter ist es, den Klimawandel und ökologische Krisen für die eigenen Ziele – gegen Migration und für stärkeren Grenzschutz – zu instrumentalisieren. Dieser aufkommende Diskurs des Ecobordering greift auf (neo-)koloniale, rassistische und bevölkerungsbegrenzende Logiken zurück, um verstärkten Grenzschutz als ‚Umwelt- und Klimaschutz‘ zu präsentieren. Eines der bekanntesten Beispiele dieses Narrativs ist die Aussage von Jordan Bardella, Präsident der französischen Rassemblement National, vor den Europawahlen in 2019:
„Grenzen sind der größte Verbündete der Umwelt; durch sie werden wir den Planeten retten“.
Durch solche Aussagen versuchen rechtsextreme Parteien, die Ursachen der Klimakrise, überproportionale Produktions- und Konsumpraktiken im Globalen Norden, zu verschleiern. Gleichzeitig benutzen sie spaltende Strategien, um Migrant*innen aus dem Globalen Süden zu brandmarken und für die ökologische Krise verantwortlich zu machen. In Zeiten zunehmender Klimamigration vertauscht Ecobordering bewusst Effekte mit Ursachen, um rassistische Grenzpraktiken in Europa weiter zu normalisieren und rechtsextreme Diskurse im Mainstream zu etablieren.
Ein neoliberaler Migrationsdiskurs
Während aktuell in vielen Teilen Europas der rechtsextreme Diskurs zu überwiegen scheint, wird die aktuelle spanische Regierung oft als Gegenbeispiel gepriesen. Sie hatte angekündigt, die Integration von Migrant*innen in den Arbeitsmarkt zu verbessern und Bürokratie bei Aufenthaltsanträgen zu verringern. Bei genauerem Hinsehen lässt sich jedoch eine starke Neoliberalisierung des Migrationsdiskurses erkennen, da die Hauptziele dieser Politik eine wachsende Wirtschaft und die Sicherung des Wohlfahrtsstaates angesichts der niedrigen Geburtenrate sind. Hier fungieren Grenzen als Sortiermaschinen, die zwischen ‚nützlichen‘ und ‚nutzlosen‘ Migrant*innen unterscheiden. Diese neoliberale Logik findet sich auch im aktuellen deutschen Wahlkampf wieder, zum Beispiel wenn der grüne Kanzlerkandidat Robert Habeck davon spricht, dass man diejenigen Syrer*innen die hier arbeiten gut gebrauchen könne. Dagegen würden alldiejenigen, die in Deutschland keine Arbeiten hätten „– wenn das Land sicher ist – wieder in die Sicherheit zurückkehren können oder auch müssen.“
So befinden wir uns zwischen zwei vorherrschenden Migrationsnarrativen – einem neoliberalen Diskurs der wirtschaftlichen Nutzenmaximierung und einem rechten knallharten Abschottungsdiskurs. Was dabei schnell auffällt, ist, dass beide Ansätze sich lediglich mit den Symptomen eines von Natur aus krisenanfälligen kapitalistischen Systems beschäftigen, ohne jedoch echte Antworten oder Lösungen bieten zu können. Beispielsweise ist eine Strategie des Ecobordering Narrativs, Alternativen zum Status quo des kapitalistischen Systems endloser Produktion und Konsumtion zu verbergen. Ziel dahinter ist es gegenwärtige Machtverhältnisse, die einer kleinen privilegierten Gruppe eine imperialen Lebensweise ermöglichen, zu erhalten. Dies kann allerdings nur gelingen, wenn sich kapitalistische Zentren durch festungsgleiche Strukturen nach Außen abschotten, um im Inneren soziale Konflikte abzuschwächen.
Degrowth und globale Bewegungsfreiheit
Hier ist dringend eine neue Perspektive nötig, die sich aus diesem Dualismus befreit und das System ganzheitlich mit seinen innerlichen Widersprüchen betrachtet. Degrowth mit seiner fundierten Wachstums- und Kapitalismuskritik, sowie dem Streben nach sozialer, globaler und ökologischer Gerechtigkeit könnte das Potential haben, eine solche Alternativen zu skizzieren. Dabei ist es unerlässlich, die Akzeptanz von Migrant*innen nicht an ein steigendes Wirtschaftswachstum oder ihrem Beitrag zu diesem zu koppeln. Vielmehr muss eine Degrowth-Perspektive in Bezug auf Migration und Grenzen auf der Anerkennung historischer und gegenwärtiger Verantwortlichkeiten, Solidarität und Menschlichkeit beruhen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass Migrations- und Grenzpolitik in eine tiefgreifende sozial-ökologische Transformation eingebettet werden müssen. Es kann nicht reichen lediglich „offene Grenzen“ zu fordern, da dies das Risiko birgt, bestehende Ängste vor dem Wettbewerb um öffentliche Güter weiter zu schüren – ein Faktor, der zur Entstehung einwanderungsfeindlicher Einstellungen und dem Aufstieg der extremen Rechten beigetragen hat.
Stattdessen könnte eine Degrowth-Perspektive an den Aufruf nach globaler Bewegungsfreiheit anknüpfen, der konkrete Vorschläge bietet und diese in eine tiefere sozial-ökologische Transformation integrieren. Diese Vorschläge umfassen die Bereitstellung sicherer Fluchtwege, die Überprüfung von Visa- und Aufenthaltsgesetzen sowie den Aufbau notwendiger sozialer Infrastrukturen. Diese ließen sich mit Degrowth Politiken, wie bedingungslosem Grundeinkommen, universeller Grundversorgung und einem Beschäftigungsgarantie verbinden, um allen ein gutes Leben in Würde zu gewährleisten. Finanziell könnte dafür unter anderem das Geld verwendet werden, welches aktuell in den zunehmenden militarisierten Ausbau der europäischen Grenzen gesteckt wird, immerhin geplante 5,6 Milliarden Euro für die europäische Grenzschutzagentur Frontex von 2021-2027. Wenn von globaler Bewegungsfreiheit gesprochen wird, ist es wichtig zu betonen, dass dies nicht nur das Recht auf Freizügigkeit, sondern genauso das Recht zu Bleiben beinhaltet – das heißt, die Gewissheit, dass die eigene Lebensgrundlage nicht durch die Ausweitung des kapitalistischen Systems und des Wirtschaftswachstums der reichen Länder im Globalen Norden zerstört wird.
Letztendlich ist es unabdinglich, auch in den kommenden Wahlen das kapitalistische System zu hinterfragen und nach Alternativen zu suchen, die eine basisdemokratische, sozial gerechte und nachhaltig ökologische Perspektive, nicht nur für Deutschland, sondern auch weit darüber hinaus, bieten. Degrowth vereint diese Grundsätze mit radikalem Überfluss für alle und könnte zusätzlich als Gegenpol zu spaltenden rechtsextremen und neoliberalen Erzählungen dienen. Somit könnte Degrowth auch dazu beisteuern, den so wichtigen narrativen Wandel mitzutragen, der nicht mehr die „Anderen“ als Sündenböcke für soziale und ökologische Probleme im kapitalistischen System beschuldigt. Stattdessen wird hinterfragt, wie es möglich sein kann, dass nur eine kleine Minderheit vom Status Quo der ständig wachsenden Produktion und des Konsums profitiert. Degrowth fokussiert sich hier auf die Frage, wie Macht, Ressourcen und Entscheidungsbefugnisse gerecht umverteilt werden können, um eine soziale Grundsicherung für alle zu gewährleisten, die einen andauernden Wettbewerb in der Gesellschaft überflüssig macht. Mit dieser alternativen Perspektive wird Degrowth, hoffentlich, in zukünftigen politischen Entscheidungen eine immer bedeutendere Rolle spielen und den gesellschaftlichen Wandel hin zu einer sozial gerechten und ökologisch nachhaltigen Gesellschaft für alle vorantreiben.
„wie Macht, Ressourcen und Entscheidungsbefugnisse gerecht umverteilt werden können.“ Ja, schöne Ideen , aber auch nicht ganz neu .
In dem Artikel fehlt allerdings jeder Ansatz , wie das denn nun( weltweit) in Gang gebracht werden könnte. Vom Geld , das für Frontex Grenzsicherung ausgegegeben wird ? Gerade jetzt wird doch unser“ Volksvermögen “ in „Sondervermögen“ transferiert, für eine gigantische ,militärische Aufrüstung .
„Globale Bewegungsfreiheit… Diese ließen sich mit Degrowth Politiken, wie bedingungslosem Grundeinkommen, universeller Grundversorgung und einem Beschäftigungsgarantie verbinden, um allen ein gutes Leben in Würde zu gewährleisten. “
Das wird dann von…..finanziert?
Auch hier fehlt jeder Bezug zu möglicher , praktischer Umsetzung. Für wen werden solche Artikel erdacht, geschrieben ? Utopien können wichtig sein. Aber auch
zu Fluchträumen werden . Wo man träumen darf — und nichts tun muss.