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Vom Kissen aus die Welt retten?

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Kann Meditieren uns nachhaltiger machen?

Die vielfältigen Krisen für Mensch und Umwelt sind hinlänglich bekannt: Klimawandel ist nur eine von mindestens neun planetaren Belastungsgrenzen, die gerade überschritten werden (Steffen et al., 2015), unsoziale Produktionsbedingungen von Konsumgütern zementieren die weltweite soziale Ungerechtigkeit (Brot für die Welt, 2016) und selbst die aktuelle Bewegung von Flüchtenden ist nicht unabhängig von Konsummustern in den westlichen Industrienationen (Greenpeace e.V., 2016).

Und bei der Lösung dieser Probleme soll Achtsamkeitsmeditation helfen?

Ziel und Inhalt von Meditation ist es, unsere Achtsamkeit im Alltag zu schulen, also „unvoreingenommenes Gewahrsein […] eigener augenblicklicher Erfahrungen mit einer offenen, annehmenden, wohlwollenden und mitfühlenden Haltung“ zu ermöglichen (Böhme, Geiger, Grossman, Stanszus, & Schrader, 2016). Dass dies zu einem nachhaltigeren Lebensstil beitragen könnte, dafür sprechen einige Indizien: wer meditiert, sitzt meist still auf einem Kissen und ist damit schon mal nicht beim Shoppen oder geht anderen, unnachhaltigen Aktivitäten nach. Meditierende sind erwiesenermaßen hilfsbereiter, zufriedener, legen weniger Wert auf materiellen Besitz und setzen ihre Intentionen (z.B. mehr Sport zu treiben und weniger Alkohol zu trinken) eher um (einen Überblick über bestehende Studien zu all diesen Aspekten liefert Fischer et al. (2017). Auf der anderen Seite kann ein gesteigertes Gewahrsein des eigenen Bauchnabels auch dazu führen, dass man nur noch um den selbigen kreist. In der Meditationsszene populäre Powerfoods wachsen nicht in der Uckermark, ihr Hype hilft den Kleinbäuer/innen in Bolivien nicht und CO2, das für Yoga-Retreats in Bali in die Luft geblasen wird, schädigt ebenso das Klima.

Das BiNKA Projekt: eine systematische Untersuchung von Meditationseffekten im Nachhaltigkeitsbereich

Im BiNKA-Projekt (Bildung für nachhaltigen Konsum durch Achtsamkeitstrainiung) werden die möglichen Effekte systematisch in einer Interventionsstudie mit Kontrollgruppe untersucht. Etwa 70 Erwachsene haben 8 Wochen lang an einem eigens dafür konzipierten Achtsamkeitskurs teilgenommen (sog. „BiNKA-Training“) während weitere 70 auf das Ende der ersten Welle gewartet haben, um danach anzufangen (sog. Wartekontrollgruppe). Das BiNKA-Training umfasst ähnlich wie gängige MBSR-Kurse (Mindfulness Based Stress Reduction, siehe (Kabat-Zinn, 2003) wöchentliche Gruppensitzungen, einen „Tag der Achtsamkeit“ und Meditationshausaufgaben mit Audiotracks. Zusätzlich wurde das Training um subtile Übungen zum Thema nachhaltigen Konsum bereichert, eine genaue Beschreibung, wie das Training konstruiert wurde, liefern (Stanszus et al., 2017). Vorher und nachher füllten die Teilnehmenden lange Fragebögen aus und 25 von ihnen wurden zusätzlich zu ihren persönlichen Eindrücken und Erleben ausführlich interviewt. Wer sich für die Fragenbogenstudie im Detail interessiert, findet mehr Information hier (Geiger, Fischer, & Schrader, 2016).

Und was waren die Ergebnisse?

Die Evaluation umfasst eine Vielzahl möglicher Einflussfaktoren, von denen hier nur ausschnittartig einige wenige Ergebnisse angedeutet werden können. Eine Broschüre mit detaillierterer Darstellung der Ergebnisse ist auf unserer Webseite erhältlich und weitere wissenschaftliche Veröffentlichungen zu qualitativen wie quantitativen Studienaspekten werden zum Zeitpunkt ihres Erscheinens ebenfalls dort zugänglich gemacht.

Effekte auf Achtsamkeit

Um zu schauen, ob der BiNKA-Kurs das Ziel erreicht hat, im Alltag Achtsamkeit zu kultivieren, wurde ein spezieller Achtsamkeitsfragebogen eingesetzt (Bergomi, Tschacher, & Kupper, 2014). Trotz der leichten Anpassungen führte der Kurs zu einer Stärkung vielfältiger Achtsamkeitsfacetten, wie z. B. Achtsameres Handeln im Alltag, erhöhte Aufmerksamkeit für äußere und innere Reize und eine erhöhte Akzeptanz von und Offenheit für Erfahrungen und Empfindungen, auch wenn sie negativ sind. Auch in den Interviews wurden zahlreiche Effekte auf achtsames Erleben im Alltag genannt, wie ein gelassenerer Umgang mit sich und anderen, gesteigertes Mitgefühl und ein gestärktes Bewusstsein für innere Zustände. Der Kurs als Achtsamkeitstraining war also wirksam. Hat er darüber hinaus noch mehr bewegt?

Effekte auf Nachhaltigen Konsum

Was verstehen wir überhaupt darunter? In unserem Projekt haben wir ein Würfelmodell von nachhaltigem Konsum entwickelt, siehe hier (Geiger, Fischer, & Schrader, 2017).

Würfelmodell nachhaltiger Konsum (Geiger, Fischer, & Schrader, 2017)

Im Prinzip zählt alles zu Konsum, was Spuren auf dem Planeten hinterlässt, vom Kauf, der Nutzung bis zur Entsorgung von Produkten und Dienstleistungen, also auch die Flugreise letzten Sommer und die Heiztemperatur im Wohnzimmer. Nachhaltig ist er dann, wenn Konsum die ökologischen und sozio-ökonomischen Grundlagen anderer Menschen nicht zerstört. Die sogenannte sozio-ökonomische Dimension umfasst die Lebensbedingungen von Menschen, es geht also darum, dass es der Näherin in Bangladesch und den Quinoa-Bäuer/innen in Bolivien auch gut geht, was z. B. durch den Kauf von FairTrade Produkten unterstützt werden kann. Diese beiden Dinge, Wohlergehen von Menschen und Umwelt müssen auch noch bei zukünftigen Generationen gegeben sein. Dann erst ist es nachhaltig: Enough for all forever.

In unserem Projekt wurden entsprechende Verhaltensweisen in den beiden Bereichen Ernährung und Kleidung gemessen, also was und wie viel wird eingekauft (Bio, FairTrade), wie wird es gekocht und gewaschen, wieviel weggeschmissen, kompostiert und recycelt usw. Und in diesen Kategorien haben wir keine bedeutsamen Veränderungen gefunden, d.h. die Menschen haben weder ihre Ernährungsgewohnheiten umgestellt, noch den Kauf und Umgang mit Ihrer Kleidung signifikant verändert. Allerdings ergab sich in unserer Nachbefragung sieben Monate später (mit einer reduzierten Stichprobe) ein kleiner Trend für eine nachhaltigere Ernährung. Aufgrund dieser Ergebnisse nehmen wir an, dass die Intervention zu kurz war, um beobachtbare Verhaltensänderungen auslösen zu können. Die Interviewergebnisse ergaben interessante Einblicke in sogenannte Konsumvorstufen: so wurde das eigene Konsumverhalten reflektiert und die Problemwahrnehmung geschärft, und auch Intentionen entwickelt, einzelne Verhaltensweisen (z. B. Fleischkonsum) zu verändern /reduzieren.

Effekte auf Wohlbefinden und Materialismus

Unsere Teilnehmer/innen waren im Schnitt nach dem Kurs glücklicher, fanden ihr Leben sinnvoller und waren seltener bedrückt und traurig. D.h. ihr subjektives Wohlbefinden ist angestiegen. Damit decken sich unsere Ergebnisse mit vielen anderen Studien, die ebenfalls zeigen konnten, dass Meditieren zufriedener macht und das Wohlbefinden steigert (Brown & Kasser, 2005; Killingsworth & Gilbert, 2010). Interessanterweise ist aber gleichzeitig noch etwas passiert, und zwar in Bezug auf materielle Werte, also wie wichtig und zentral einem materielle Besitztümer sind, wie es die Material Value Scale misst (Müller et al., 2013). Für unsere Teilnehmenden verloren materielle Dinge über den Kursverlauf ihre Bedeutung als Zeichen von Erfolg und als Bedingung für das Erleben von Glück. Der Anstieg von Wohlbefinden bei gleichzeitigem Rückgang von Materialismus spricht dafür, dass Meditation zu etwas führen kann (Brown, Kasser, Ryan, Linley, & Orzech, 2009; Ericson, Kjønstad, & Barstad, 2014), das O´Brien „nachhaltiges Glücklichsein“ (O’Brien, 2008) getauft hat, weil es unabhängiger von Ressourcenkonsum ist. Auch diese Ergebnisse sprechen für langfristigere Effekte von Meditation, da gerade Änderungen in materiellen Werten erst über die Zeit ein sinkendes Konsumniveau (also: weniger) in v.a. status-sensitiven Konsumfeldern wie elektronische Geräte, Autos, Schmuck oder auch Kleidung erwarten lassen, und weniger qualitative Änderungen (also: besser, qualitativ hochwertiger) im Ernährungsbereich.

Fazit: also nachhaltig durch Meditation? Kurzfristig nein, langfristig wahrscheinlich ja.

Zusammengenommen heißen unsere Ergebnisse: Selbst, wenn morgen alle Menschen anfangen würden zu meditieren, würde sich an den multiplen Krisen kurzfristig nicht viel ändern. Meditieren ist also keine Abkürzung in eine nachhaltige Welt, dafür favorisieren bestehende strukturelle Gegebenheiten zu sehr nicht-nachhaltige Konsumformen. Die Ergebnisse der Interviewstudien und die indirekten Effekte durch Änderung materieller Werte der Teilnehmenden, lassen jedoch auf eine langsame Wirkung der Medititationspraxis schließen, die zuerst einmal eine verbesserte Introspektionsfähigkeit für eigene Bedürfnisse und ein neues Problembewusstsein für die eigenen Konsummuster schafft, die sich erst mit der Zeit in verändertes Verhalten umsetzen. In Bezug auf eine Postwachstumsgesellschaft heißen unsere Ergebnisse, dass Achtsamkeit einen Weg ebnen kann zu „nachhaltigerem (weil weniger ressourcenintensivem) Glücklichsein“. Meditieren unterstützt dabei, Werte zu klären und im Hier und Jetzt einen Sinn im Leben zu kreieren, der unabhängig ist von materiellen Besitztümern. Diese Entkoppelung des Lebenssinns von materiellem Güterverbrauch müsste langfristig zur Senkung vom Konsumniveau und damit verbundenen Umwelt- und sozialen Schäden führen.

 

BiNKA ist ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördertes, inter- und transdisziplinäres Forschungsverbundprojekt. Die Verbundleitung liegt bei der Technischen Universität Berlin am Fachgebiet Arbeitslehre/Ökonomie und Nachhaltiger Konsum. Forschungsverbundpartner ist die Leuphana Universität Lüneburg. Zum Gesamtverbund gehören zudem drei Praxispartner, zwei Projektpartner und mehrere Netzwerkpartner. Das Projekt ist im März 2015 gestartet und hat eine Laufzeit von drei Jahren. Weitere Informationen zum Vorhaben sind auf der Projekt-Homepage unter www.achtsamkeit-und-konsum.de verfügbar.

 

Literaturverweise

Bergomi, C., Tschacher, W., & Kupper, Z. (2014). Konstruktion und erste Validierung eines Fragebogens zur umfassenden Erfassung von Achtsamkeit. Diagnostica, 60(3), 111–125. https://doi.org/10.1026/0012-1924/a000109

Böhme, T., Geiger, S. M., Grossman, P., Stanszus, L., & Schrader, U. (2016). Arbeitsdefinition von Achtsamkeit im Projekt BiNKA. Technical paper. Technische Universität, Berlin.

Brot für die Welt. (2016). Mein Auto, mein Kleid, mein Hähnchen: Wer zahlt den Preis für unseren grenzenlosen Konsum?

Brown, K. W., & Kasser, T. (2005). Are Psychological and Ecological Well-being Compatible? The Role of Values, Mindfulness, and Lifestyle. Social Indicators Research, 74(2), 349–368. https://doi.org/10.1007/s11205-004-8207-8

Brown, K. W., Kasser, T., Ryan, R. M., Linley, A. P., & Orzech, K. (2009). When what one has is enough: Mindfulness, financial desire discrepancy, and subjective well-being. Journal of Research in Personality, 43(5), 727–736. https://doi.org/10.1016/j.jrp.2009.07.002

Ericson, T., Kjønstad, B. G., & Barstad, A. (2014). Mindfulness and sustainability. Ecological Economics, 104, 73–79. https://doi.org/10.1016/j.ecolecon.2014.04.007

Fischer, D., Stanszus, L., Geiger, S., Grossman, P., & Schrader, U. (2017). Mindfulness and Sustainable Consumption: A Systematic Literature Review of Research Approaches and Findings. Journal of Cleaner Production. Advance online publication. https://doi.org/10.1016/j.jclepro.2017.06.007

Geiger, S. M., Fischer, D., & Schrader, U. (2016). Technischer Bericht zum quantitativen Studiendesign von BiNKA – Bildung für nachhaltigen Konsum durch Achtsamkeitstraining. Design, Sample, Definitionen und Operationalisierungen der erhobenen Variablen (Arbeitspapier). Technische Unversität Berlin.

Geiger, S. M., Fischer, D., & Schrader, U. (2017). Measuring what matters in sustainable consumption: an integrative framework for the selection of relevant behaviors. Sustainable Development. Advance online publication. https://doi.org/10.1002/sd.1688

Greenpeace e.V. (2016). Klimaflüchtlinge. Die verleugnete Katastrophe. Retrieved from https://www.greenpeace.de/presse/publikationen/studie-klimafluechtlinge

Kabat-Zinn, J. (2003). Mindfulness-Based Interventions in Context: Past, Present, and Future. Clinical Psychology: Science and Practice, 10(2), 144–156. https://doi.org/10.1093/clipsy/bpg016

Killingsworth, M., & Gilbert, D. T. (2010). A wandering mind is an unhappy mind. Science, 330, 932. https://doi.org/10.1126/science.1192439

Müller, A., Smits, D. J. M., Claes, L., Gefeller, O., Hinz, A., & Zwaan, M. de. (2013). The German version of the Material Values Scale. Psycho-social medicine, 10, 2–9. https://doi.org/10.3205/psm000095

O’Brien, C. (2008). Sustainable happiness: How happiness studies can contribute to a more sustainable future. Canadian Psychology/Psychologie canadienne, 49(4), 289–295. https://doi.org/10.1037/a0013235

Stanszus, L., Fischer, D., Böhme, T., Frank, P., Fritzsche, J., Geiger, S. M.,. . . Schrader, U. (2017). Education for Sustainable Consumption through Mindfulness Training: Development of a Consumption-Specific Intervention. Journal of teacher education for sustainability, 19(1), 5–21. https://doi.org/10.1515/jtes-2017-0001

Steffen, W., Richardson, K., Rockström, J., Cornell, S. E., Fetzer, I., Bennett, E. M.,. . . Sörlin, S. (2015). Sustainability. Planetary boundaries: guiding human development on a changing planet. Science, 347(6223). https://doi.org/10.1126/science.1259855

1 Kommentare

  1. Sophie Schraml sagt am 16. Februar 2018

    Sehr interessante Studie. Aus eigener Erfahrung kann ich deren Ergebnis nur bestätigen. Die finale Aussage, Meditieren sei also keine Abkürzung in eine nachhaltige Welt, ist meines Erachtens jedoch falsch. Denn im Vergleich zur Alternative, nicht zu meditieren bzw. nicht in die Richtung einer nachhaltigen Welt aktiv zu werden, dürfte der Weg über die Meditation sehr wohl eine Abkürzung darstellen.

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