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Vielfalt für den Wandel: Exploring Economics

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Was tun, wenn sich die universitäre Lehre trotz vielfältiger Kritik kaum ändert? Selbst eine Alternative schaffen, überlegten sich Mitglieder des Netzwerkes Plurale Ökonomik im Winter 2015. Knapp ein Jahr später ging die Plattform Exploring Economics online, die für die Lehre und das Selbststudium verwendet werden kann. Sie präsentiert und vergleicht zehn Theorieschulen der Volkswirtschaftslehre und verlinkt in weiteren Bereichen Videos, Texte und Kurse, die auch Nicht-Ökonom/innen an die VWL heranführen. Die ökologische Ökonomik wird als Theorieschule vorgestellt und auch Postwachstum ist ein Schwerpunktthema.

Exploring Economics wurde bisher vom Forschungsinstitut für gesellschaftliche Weiterentwicklung (FGW) finanziert und von Mitgliedern des Netzwerks Plurale Ökonomik konzipiert und aufgebaut. Die Seite wurde durch das Engagement vieler Ehrenamtlicher getragen. Zudem unterstützten Wissenschaftler/innen die Konzeption, inhaltliche Gestaltung sowie Qualitätssicherung der Webseite.

Alternativen zur neoklassische Lehre

Vor allem seit der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise fordern Studierende eine Veränderung der Volkswirtschaftslehre. 2014 veröffentlichte die Internationale Studierendenbewegung ISIPE (International Student Initiative for Pluralism in Economics) einen internationalen Aufruf für eine plurale Ökonomik. Die Kritik richtet sich vor allem an die Lehre an den Universitäten, die primär neoklassisch ausgerichtet ist und Erkenntnisse anderer Disziplinen kaum aufnimmt. Nur sehr langsam finden plurale Theorien und Ansätze abseits der Neoklassik Einzug in die Universitäten, obwohl Lehrende oft Verständnis für die Kritik äußern, wie die 2016 vom Netzwerk gemeinsam mit der Universität Kassel veröffentlichte Studie EconPLUS aufzeigt. Auch neuere Lehrmaterialien wie das CORE Projekt bieten lediglich eine Abwandlung neoklassischer Ansätze. Deswegen organisieren sich Studierende seit Jahren selbst, um sich mit anderen Theorieschulen und aktuellen ökonomischen und gesellschaftlichen Themen, wie der Finanzkrise, sozialer Ungleichheit oder der ökologischen Krise auseinanderzusetzen. Die Online-Lernplattform Exploring Economics schließt daran an und bietet Interessierten einen kreativen Zugang zu pluralen Theorieschulen und an der Universität vernachlässigten Inhalten.

Orientieren

Im Bereich Orientieren stellt die Plattform neben der Neoklassik neun weitere Schulen vor, die in der Literatur oft als heterodoxe Schulen beschrieben werden und sich als Alternative zum Mainstream herausbilden oder historisch bereits neben der Neoklassik existiert haben. Diese Schulen werden auf der Seite idealtypisch vorgestellt. Darunter sind die Ökologische Ökonomik, Postkeynesianismus oder die Feministische Ökonomik. Das Projektteam hat eigens für die Seite ein Konzept entwickelt, um die Theorieschulen miteinander vergleichen zu können. Solche Vergleiche sind in der Literatur bisher nur unsystematisch vorzufinden. Der Vergleich wird anhand wissenschaftstheoretischer Kategorien vorgenommen, die aufzeigen, welche ontologischen, epistemologischen und methodologischen Zugänge die einzelnen Schulen haben und welche Axiome verwendet werden. Durch den Vergleich wird beispielsweise deutlich, ob eine Perspektive Individuen oder das (ökologische) System als zentrale Analyseeinheit sieht und ob Knappheit oder Macht als zentrales ökonomisches Problem betrachtet werden. Zudem wird gefragt, welches Verhältnis zwischen Wissenschaft und Realität die Perspektiven einnehmen. Die Idee hinter dem Vergleich ist, dass dieser eine kritische Auseinandersetzung mit den Ansätzen der einzelnen Schulen ermöglicht, unter anderem dadurch, dass die Schulen miteinander in Bezug gesetzt werden können. Dies ermöglicht Studierenden, sich selbst ein Urteil zu bilden.

Entdecken und Studieren

Zwei weitere Bereiche der Seite, Entdecken und Studieren geben einen weniger theoretischen Zugang zu ökonomischen Theorien und Themen und sind somit auch für Einsteiger/innen interessant. Hier werden Texte, Videos, Radiosendungen und MOOCs (Massive Open Online Courses) verlinkt. Neben einführenden Vorlesungen zu den Theorieschulen sind viele weitere Materialien zu unterschiedlichen ökonomischen Themen vorzufinden, wie Geld und Schulden oder Globalisierung. Weitere Schwerpunktthemen sind (Post)Wachstum sowie Ressourcen & Umwelt. Hier finden sich beispielsweise Inhalte zu Commons, Kritik der Grünen Ökonomie, Bewertung von Ökosystemdienstleistungen oder der Organisation von Zeit und Reproduktionsarbeit. Die Materialien sind in Schwierigkeitsgrade eingeteilt, somit können sowohl nicht-Ökonom/innen als auch fortgeschrittene Studierende passende Inhalte differenziert suchen.

Exploring Economics wurde bereits in über 150 Ländern aufgerufen, bisher ist die Seite jedoch nur auf Englisch und Deutsch verfügbar und wurde v.a. von Studierenden aus Deutschland erstellt. Ein Ziel ist es, die Seite in weitere Sprachen zu übersetzen und Perspektiven aus dem globalen Süden einzubinden. Zudem wollen wir die Nutzer/innen zur aktiven Teilnahme einladen. Im kommenden Semester werden Veranstaltungen an der Uni Bochum und der Uni Siegen sowie eine Sommerschule zu pluraler Ökonomik von Exploring Economics begleitet.

Bei Interesse und Fragen können Sie sich gerne an das Team von Exploring Economics wenden: info@exploring-economics.org. Beteiligungsmöglichkeiten gibt es beispielsweise bei der Sichtung von neuem Material für die Seite. Lokalgruppen des Netzwerkes sind in über 30 Städten in Deutschland, Österreich und der Schweiz aktiv, eine Übersicht gibt es hier.

3 Kommentare

  1. Sven-David Pfau sagt am 13. Juni 2017

    Großartiges und einzigartiges Projekt. Und das ganze als kollaborativ und mit so viel freiwilliger Arbeit. Ihr habt gezeigt, dass solche Dinge möglich sind! Habe selten so gerne und volle Energie irgendwas zu pluraler Ökonomik weiterempfohlen an andere Studis/Interessierte

  2. Etwas so Schönes und Instruktives wie „Exploring Economics“ habe ich seit langem nicht gesehen. Chapeau! Damit leistet Ihr einen sehr wertvollen Beitrag zu einer wichtigen und schwierigen Debatte, und ich danke allen Beiteiligten für die viele Arbeit, die hier geleistet wurde.

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