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Vergesellschaftung und Suffizienzpolitik

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Auf der Vergesellschaftungskonferenz im Oktober 2022 in Berlin wurden verschiedene Strategien für eine demokratischere und sozial-ökologisch gerechte Wirtschaft diskutiert. Eine Demokratisierung der Wirtschaft würde bedeuten, dass es mehr gesellschaftlichen Einfluss darauf gibt, wie, was und wie viel produziert wird. Viele Teilnehmende hoffen, dass so einerseits die Macht großer Unternehmen und Wirtschaftsverbände abgebaut werden könnte und andererseits nicht mehr nur Gewinnerwartungen über die Produktion entscheiden würde. Angesichts der Vielzahl gegenwärtiger ökologischer Krisen stellt sich in diesem Zusammenhang vor allem die Frage: Würde mehr gesellschaftlicher Einfluss auch zu ökologischerem Unternehmenshandeln führen? 

Neben den technischen Nachhaltigkeitsstrategien der Effizienz und Konsistenz fokussiert sich die Nachhaltigkeitsdebatte immer stärker auf die Strategie der Suffizienz. Denn mit technischer Effizienz und dem Ausbau der Erneuerbaren allein kann angesichts steigendem Ressourcen- und Energieverbrauchs die 1,5°C-Grenze nicht eingehalten werden. Vielmehr muss in den Ländern des Globalen Nordens das Niveau des Konsums und der Produktion gesenkt werden. Suffizienzpolitik bedeutet in diesen Ländern politische Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass ein gutes Leben für alle mit geringeren Konsum- und Produktionsniveaus möglich wird. Dafür müsste investiert werden, z.B. braucht es eine Ausbauoffensive der Radwegenetze oder des öffentlichen Nahverkehrs und eine Gestaltung autoarmer Städte und Dörfer. So können Menschen darauf verzichten, ein Auto zu kaufen und trotzdem mobil sein. Mit einer solchen Suffizienzpolitik kann auch die Reduktion der Anzahl produzierter Autos einhergehen. Mit dem Blick auf die Produktionsverhältnisse stellt sich daher die Frage: Kann Suffizienzpolitik dazu beitragen, die Wirtschaft und Eigentumsverhältnisse demokratischer zu gestalten und die Macht umweltschädlicher Unternehmen abzubauen? 

Zu diesen Fragen haben wir Thesen aufgestellt, mit denen wir eine Diskussion über Gemeinwohl und Gewinninteressen, Demokratisierung und Machtverhältnisse sowie die ökologisch notwendige Senkung und eine sozial gerechte Verteilung des Energie- und Ressourcenverbrauchs anregen möchten. 

Wirkt sich Suffizienzpolitik darauf aus, die Wirtschaft und Eigentumsverhältnisse demokratischer zu gestalten?

1. Suffizienzpolitik führt nicht automatisch zu einer Demokratisierung von Wirtschaft und Eigentumsverhältnissen

Suffizienzpolitik, konsequent zu Ende gedacht, könnte weitreichende Auswirkungen für die Produktionsseite haben. Eine umfassende Abkehr von der Automobilität, vom Neubau oder vom Fleischkonsum hätte massive Auswirkungen auf die Absatzzahlen der dahinterliegenden Industrien. Eine Umgestaltung und Konversion weiter Teile dieser Wirtschaftszweige ist damit unumgänglich. Dennoch verbleibt Suffizienzpolitik sowohl im wissenschaftlichen Diskurs als auch in der politischen Praxis häufig kleinteilig und fokussiert auf die Schaffung von konsumseitigen Alternativen. Es geht um die Schaffung neuer Fahrradwege, die Ermöglichung alternativer Wohnformen oder vegane Alternativangebote. Fragen des Eigentums, von Machtverhältnissen und Entscheidungsstrukturen in den zugehörigen Wirtschaftsbereichen werden selten adressiert. So hätte Suffizienzpolitik zwar das Potential, tiefgreifende Veränderungen in Bezug auf die wirtschaftlichen Machtverhältnisse zu bewirken. Dieses Potential, zentrale Wirtschaftsbereiche umzugestalten, ist bisher jedoch nur selten thematisiert worden. 

2. Suffizienzpolitik kann mit dem Argument der Grenzen von Konsum und Produktion eine Abkehr von Wachstumsorientierung befördern und damit den Diskursraum für Vergesellschaftungen erweitern. 

Die Perspektive der Suffizienz kann nicht nur als sozial-ökologische Richtschnur für vergesellschaftete Unternehmungen dienen, sondern darüber hinaus den Diskursraum für Vergesellschaftung erweitern. Denn mit sozialen und ökologischen Argumenten für Grenzen des Konsums und der Produktion trägt Suffizienzpolitik zu einer Abkehr von Profit- und Wachstumsstreben bei und erweitert damit den Diskursraum für andere, gemeinwohlorientierte Unternehmenszwecke.

3. Suffizienz macht durch eine Begrenzung von Konsum- und Produktionsniveaus wachstumsorientierte Geschäftsmodelle weniger attraktiv; dadurch wird Vergesellschaftung vereinfacht.

Diese Abkehr von Profit- und Wachstumsstreben hat jedoch nicht nur eine diskursive Ebene. Denn wo Wachstums- und Profitorientierung durch Suffizienzpolitik eingeschränkt oder zumindest anderen gemeinwohlorientierten Zwecken untergeordnet werden, ist eine klassische profitorientierte Unternehmung weniger lukrativ. Andere, vergesellschaftete Eigentumsformen können so leichter aufgebaut und ausgeweitet werden. Bisher sind uns keine Beispiele bekannt, in denen Suffizienzpolitik maßgeblich dazu geführt hat, dass eine Vergesellschaftung stattfinden konnte. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass Suffizienzpolitik bisher nur selten umgesetzt wurde.  

 

Führt mehr gesellschaftlicher Einfluss zu ökologischerem Unternehmenshandeln?

1. Vergesellschaftung führt nicht automatisch zu einer suffizienten Unternehmung

Vergesellschaftung bedeutet nicht per se einen Schritt in eine sozial-ökologische Richtung. Zu zahlreich sind die Beispiele von Unternehmungen, die beispielsweise in öffentlicher Hand und äußerst umweltschädlich sind. Zu nennen wären die Energie Baden-Württemberg (ENBW) AG mit zahlreichen fossilen Kraftwerken oder kommunale Energieversorger mit Kohlekraftwerken, wie in München, Hamburg oder Flensburg. Auch kommunale oder genoss*innenschaftlich organisierte Wohnungsunternehmen sanieren nicht automatisch mehr oder bauen ökologischer und sparsamer. Ohne sozial-ökologische Rahmenbedingungen drohen auch vergesellschaftete Unternehmungen daher richtungsblind zu bleiben. Suffizienzpolitik scheint mit ihrem Fokus auf absolute Grenzen für Konsum- und Produktionsniveaus besonders geeignet, zielführende Rahmenbedingungen zu setzen.  

2. Vergesellschaftung kann die Voraussetzungen für Suffizienz schaffen.

An vielen Stellen der Umwelt- und Suffizienzdebatte scheint es im Moment kein Weiterkommen zu geben. Ankündigungen der EU, den Verbrauch von Pestiziden und Eiwegplastik senken zu wollen, stoßen auf erbitterte Widerstände der Chemieindustrie. Es scheint angesichts der Gewinninteressen der Automobil- und Bauindustrie aussichtslos, die Produktion von Stahl, Zement und Autos absolut zu senken oder eine Umverteilung von Wohnraum zu organisieren, statt immer weiter neu zu bauen. Denn Unternehmen stehen in Konkurrenz zu anderen Unternehmen, sind auf Finanzierung angewiesen und stehen häufig unter Wachstumsdruck. Mehr gesellschaftlicher Einfluss könnte ein Korrektiv dazu sein, Unternehmenshandeln primär an Profiten und Wachstum auszurichten. Ein gemeinwohlorientiertes Zusammenspiel von Vergesellschaftungen und Suffizienzpolitik lässt sich in der Schweiz beobachten. Dort gilt in zahlreichen Genoss*innenschaften sowie in den Wohnungen der Stadt Zürich eine Mindestbelegungsquote. Das heißt in keiner Wohnung darf die Anzahl der Personen die Anzahl der Zimmer um mehr als eins unterschreiten. In einer Fünfzimmerwohnung müssen also mindestens vier Menschen leben. Ist dies nicht mehr der Fall, muss man sich neue Mitbewohner*innen suchen oder umziehen. Verschiedene Ausnahme und Umzugsregeln federn die Regelung sozial ab. Dies stellt einen Versuch dar, für eine sozial-ökologisch gerechte Verteilung des Wohnraums zu sorgen und scheint unter anderem möglich, da sich die entsprechenden Wohnungen in vergesellschaftetem Eigentum befinden.  

3. Vergesellschaftung kann zu Verantwortungsübernahme und dadurch zu Suffizienz führen.

Schon heute gibt es viele Beschäftigte, die nicht länger in umweltschädlichen Branchen arbeiten wollen. Sie wollen nicht länger Verbrennungsmotoren bauen und würden für sich und ihre Kinder lieber daran beteiligt sein, zukunftsfähige Produkte wie Wärmepumpen oder Windkraftanlagen herzustellen. Tatsächlich kann die Einbindung in demokratische Verfahren und ein gesteigertes Verantwortungsgefühl subjektive Einstellungen verändern. Mehr gesellschaftlicher Einfluss auf Unternehmenshandeln würde auch bedeuten, dass nicht nur Beschäftigte, sondern auch weitere Betroffene vom Unternehmenshandeln stärker in Entscheidungen eingebunden wären. Auch hierüber könnte eine stärkere Suffizienzorientierung von Unternehmen erfolgen. So zeigen Beispiele von Energiegenoss*innenschaften in Belgien, dass eine gemeinschaftliche Produktion und Nutzung dazu beitragen kann insgesamt weniger Energie zu verbrauchen.[1] 

 

Fazit: Vergesellschaftungs- und Suffizienzdebatten sollten sich stärker austauschen 

Die Vergesellschaftungsdebatte legt den Fokus auf Machtverhältnisse, Arbeitskämpfe und soziale Bewegungen. Eine suffizienzpolitische Rahmung kann dazu beitragen, dass Vergesellschaftungen Teil einer sozial-ökologischen Transformation werden. Andersherum ist ein Umbau der Machtverhältnisse zugunsten gemeinwohlorientierter Akteur*innen in der Wirtschaft hilfreich, um suffizienzorientierte und damit umweltgerechte Gesetzgebung umzusetzen. Konkrete Forderungen für Suffizienzpolitik dürfen daher die Eigentumsfrage nicht ausblenden und sollten transformative Elemente enthalten, um Macht- und Herrschaftsverhältnisse abzubauen. So könnten Vergesellschaftungen und Suffizienzpolitik zu Schlüsselkonzepten einer radikalen sozial-ökologischen Transformation werden. 

 

[1] https://www.bund.net/fileadmin/user_upload_bund/publikationen/energiewende/energiewende_europa_entfesselt_broschuere.pdf, siehe die Energiegenossenschaft Ecopower, S. 7 

Jonas Lage ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Norbert Elias Center for Transformation Design and Research der Europa-Universität Flensburg und Teil des I.L.A. Kollektivs. In diesen Rahmen beschäftigt er sich vor allem mit Fragen der Suffizienzpolitik, sozial-ökologischer Transformation, Stadtentwicklung sowie der imperialen und soildarischen Lebensweise. Aktuell promoviert er in der Umweltsoziologie im Rahmen der Nachwuchsforschungsgruppe "Die Rolle von Energiesuffizienz in Energiewende und Gesellschaft".

Lia Polotzek leitet das Referat für Wirtschaft und Finanzen beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Im Rahmen dieser Arbeit beschäftigt sie sich schwerpunktmäßig mit den negativen ökologischen und sozialen Auswirkungen unseres Wirtschaftens sowie der sozial-ökologischen Transformation des Wirtschaftssystems. Sie hat zuvor als Referentin für Unternehmensverantwortung bei Oxfam Deutschland gearbeitet und schreibt nebenbei als Redakteurin für das philosophische Wirtschaftsmagazin agora42. Sie studierte Politikwissenschaft, Philosophie und Wirtschaftswissenschaften.

Benjamin Best ist Sozialwissenschaftler und einer der beiden Leitenden der Nachwuchsgruppe "Die Rolle von Energiesuffizienz in Energiewende und Gesellschaft" (EnSu). Seit 2011 ist er Mitarbeiter am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. Zuvor hat er an der Carl von Ossietzky-Universität Oldenburg Sozialwissenschaften, Geschichte und Sustainability Economics and Management studiert. Er ist seit 2020 Senior Researcher am Wuppertal Institut und zusätzlich Lehrbeauftragter am Institut für Politikwissenschaft an der WWU Münster.

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