Vergesellschaftung ist als linke Strategie gegen Privatisierung und Kapital in aller Munde – und das zurecht! Wenn wir ernsthafte Strategien für eine lebenswerte Umgebung schaffen wollen, brauchen wir strukturelle Ansätze, die die Eigentumsfrage ins Zentrum stellen. Wie mein Kollege Lukas Warning auf diesem Blog beschreibt, sind Degrowth-Ansätze ohne Vergesellschaftung nicht denkbar.
Vergesellschaftung, also die Überführung in öffentliches Eigentum und Demokratisierung und Gemeinwohlorientierung von lebenswichtigen Ressourcen muss auch im Energiesektor als politisches Ziel greifbarer werden. Deshalb denken wir bei communia seit einigen Jahren detaillierter über die Forderung nach, die Energiewirtschaft – sowohl von der Produktions- als auch von der Versorgungsseite her – der privatwirtschaftlichen Eigentumsform zu entreißen (enteignen) und diese mittels Vergesellschaftung in demokratisch geführtes Gemeineigentum zu überführen. Im Zuge dessen haben wir ein großes Gutachten bei der Rechtanwaltskanzlei Günther in Hamburg in Auftrag gegeben, die sich unter anderem durch ihre Klage mit dem Bauern Saúl Luciano Lliuya gegen den Energiekonzern RWE bekannt gemacht hat.
Sie kommen zu dem Schluss: Artikel 15 GG greift auch für den Energiesektor. Und das trotz Jahrzehntelanger Liberalisierung durch das europäische Energierecht. Die linken Kräfte des parlamentarischen Rats, der das Grundgesetz entwickelt hat, hatten den Energiesektor sogar explizit im Blick, ebenso wie die Arbeiterbewegung der Weimarer Republik, die den Artikel ursprünglich erstritten haben. Mit „Grund und Boden“ aber vor allem mit „Naturschätzen und Produktionsmitteln“ wurden in der Formulierung des Artikel 15 GG ausdrücklich Energiekonzerne, deren Verarbeitungs- und Verteilungsinfrastruktur, sowie die von ihnen gebrauchten Rohstoffe gemeint.
Die Möglichkeit der Überführung in Gemeinwirtschaft im Energiebereich, die dieses Gutachten nun zum ersten Mal seit Entstehung des Vergesellschaftungsartikels juristisch prüft, steht im starken Kontrast zu der Art und Weise, wie der Energiesektor wirtschaftspolitisch strukturiert ist: Jahrzehntelange europäische Liberalisierung des Energiemarkts kann Artikel 15 nicht ganz aufhalten. Dennoch steht der rechtliche Rahmen des europäischen Energierechts und auch das deutsche Verfassungsrecht nicht im Wege, wenn Energiekonzerne in öffentliches Eigentum überführt werden sollen. Sie stehen auch nicht dabei im Wege, einen öffentlichen Energieversorger mit öffentlichem Kapital auszustatten, um die Energiewende zu meistern oder dabei, gedeckelte Sozialtarife für Strom zu vergeben und so Energieversorgung als Grundrecht für Alle zu garantieren. Das europäische Recht stellt Hürden auf – aber sie sind überwindbar. Eine sozialere und gerechtere Preisgestaltung wäre bei einem öffentlichen Akteur, der auf dem Energiemarkt mitmischt, möglich. Ein öffentliches Produktionsunternehmen, das proaktiv die notwendige Energiewende vorantreibt ist ebenso rechtlich möglich. Was es nun braucht, ist der politische Wille, um für ein solches einzustehen.
Denn die Lage ist klar: Um eine Energiewende in der Geschwindigkeit einzuleiten, die es für unsere Zukunft braucht, ist so ein enormer Planungs- und Innovationsaufwand notwendig, dass der freie Markt das niemals lösen wird. Netzinfrastruktur, Speicherkapazitäten und natürlich die Produktion selbst – RWE und co. werden es nicht regeln. Ebenso wenig wird ein freier Energiemarkt progressive Preise ermöglichen, die weniger auf die monatliche Belastung des Geldbeutels gehen. Wie mein Kollege Justus im Jacobin bereits dargelegt hat: Die Investitionsbedarfe in den Energiesektor im Angesicht von Klimakrise und Klimatransformation sind so enorm, dass die Energiepreise enorm steigen würden, wenn die Kosten auf die Nutzer:innen abgewälzt werden.
Die marktförmige Organisation unserer Energieversorgung ist kein Naturgesetz. Im Gegenteil ist die Energieversorgung seit der Begründung des Grundgesetzes Gegenstand von Aushandlung zwischen Sozialisierung und Privatisierung. Vergesellschaftung im Energiesektor ist durch den wiederbelebten Artikel 15 machbar und politisch naheliegend.
Statt umfangreich staatliche Gelder in private Energiekonzerne zu leiten, damit sie dem Ausbau von EE überhaupt nachgehen oder um Energiepreise zu stabilisieren, können öffentliche Institutionen und öffentliche Unternehmen eine effiziente Energiewende vorantreiben, die das Recht auf Grundversorgung zu bezahlbaren Konditionen im Blick behalten.
Aber wie genau vergesellschaften?
Im verworrenen Energiesektor sieht man manchmal den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Strom wird von unterschiedlichen Marktakteuren produziert, übertragen, verteilt und vermarktet. Die Rechtsanwaltskanzlei Günther hat insbesondere für ein Energieproduktionsunternehmen durchdekliniert: Artikel 15 lässt sich anwenden. Artikel 15 formuliert nämlich folgende Ausgangslage:
»Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden.«
Produktionsmittel und Grund und Boden, die in Artikel 15 adressiert werden, lassen sich auch auf Unternehmen und seine im Ausland befindlichen Tochterunternehmen anwenden (man denke an RWE oder auch den Gashändler Uniper.
Aber auch Netzgesellschaften (man denke an TenneT), die für die Übertragung und Verteilung der Energie nötig sind, lassen sich vergesellschaften. Das wäre ein starkes politisches Mittel, um wirkmächtige Regulation auf dem Energiemarkt über Preisgestaltung zu erreichen und zudem die infrastrukturelle Grundlage für die Energiewende überhaupt erst zu schaffen.
Der Teufel steckt bei juristischen Fragen im Detail: Das von communia beauftragte Gutachten hat einige Erkenntnisse geliefert, die auf dem Weg zur Vergesellschaftung der Wärme- und Stromversorgung essenziell sein werden.
Erstens: Den europäischen Energiemarkt als solchen würde man durch die Überführung in öffentliches Eigentum natürlich nicht grundlegend reformieren. Für einen öffentlichen Träger für die Energieversorgung könnten aber Ausnahmen des Beihilfeverbots (also expliziter staatlicher Hilfen für Unternehmen) gelten. Dadurch könnten beispielsweise Sozialtarife problemlos gestaltet werden, indem ein vergesellschaftetes Energieversorgungsunternehmen staatlich bezuschusst wird. Damit ließe sich Energiearmut adressieren, beziehungsweise dem enormen Druck durch die steigenden Verbraucher:innenpreise begegnen.
Zudem: Einem öffentlichen Unternehmen könnte auch öffentliches Kapital zugeführt werden. Um die Investitionen in den Ausbau der Erneuerbaren Energien zu ermöglichen, wäre also möglich, dieses vergesellschaftete Unternehmen mit genügend Eigenmitteln auszustatten. Dem steht rechtlich nichts im Wege.
Und drittens stellt sich die Frage, wie ein vergesellschafteter Energiekonzern aussehen würde. Vergesellschaftung bedeutet nicht nur Überführung in eine andere Eigentumsform, sondern auch die Öffnung der Entscheidungsinstanzen für die Öffentlichkeit. Das Gutachten zeigt: Die Geschäftsmodelle der Unternehmen könnten nach der Vergesellschaftung grundlegend verändert werden. Das umfasst auch die Praktiken internationaler Tochtergesellschaften. Mit der Vergesellschaftung könnten also auch internationale Abhängigkeiten aufgelöst werden, um im Idealfall kooperative Beziehungen zu anderen progressiven Akteuren der Energiepolitik anderer Länder aufzubauen.
Wie stellen wir uns dann die Zukunft vor? Das neue öffentliche Produktionsunternehmen könnte die Energiewende aktiv vorantreiben, Investitionen in Netze und Speicher tätigen, Energiegenossenschaften nicht verdrängen, sondern kooperativ mit ihnen zusammenarbeiten und die Ziele sozialer Preisgestaltung und Klimagerechtigkeit in der Praxis umsetzen. Staatliche Gelder könnten statt in Subventionen und Marktgestaltung direkt in Investitionen fließen, die den notwendigen Ausbau weiter voranbringen.
Degrowth by Design sollte strukturell gedacht werden: Es bedeutet, alle juristischen und politischen Druckmittel zu nutzen, um eine Umstrukturierung im Sinne des Gemeinwohls zu erreichen.





