Standpunkte

Urbane Transformation gelingt durch Verbindung

Schreibe einen Kommentar

Die Urban Future Global Conference ist eine der größten Veranstaltungen für Menschen, die sich mit der Transformation von Städten beschäftigen und damit eine wichtige Vernetzungs- und Inspirationsquelle in dieser Szene. Bei der Urban Future 2024 in Rotterdam gab es zum Teil bis zu 10 Programmpunkte gleichzeitig, so dass es unmöglich ist, alle Inhalte erfassen zu können. Deshalb ist eine Reflexion darüber notwendigerweise auf das persönliche Erleben der Veranstaltung beschränkt. Basierend auf den von mir besuchten Programmpunkten und Gesprächen mit anderen Teilnehmenden, gibt es viele positive Entwicklungen im Sinne der Nachhaltigkeit in Städten weltweit trotz aller Herausforderungen, die damit einhergehen. Gleichzeitig kommen ein grundsätzliches Hinterfragen unserer gesellschaftlichen Systeme und praktische ‚Suffizienzansätze‘ (z. B. gemeinschaftliches Leben statt ‚nachhaltigem‘ Neubau) nach wie vorher eher kurz. Einige Programmpunkte greifen jedoch grundlegende Themen für Transformation auf, die auch für Postwachstumsbewegte ein sinnvoller Leitfaden in ihrem Wirken sein können.

Um Städte im ‚Postwachstumssinn‘ transformieren zu können, dürfen wir vor allem über folgende Ansätze gehen:

Die Hinterfragung grundlegender Annahmen, sogenannter Paradigmen, ist notwendig, um grundlegende Veränderungen schaffen zu können. Wenn es uns beispielsweise in der Mobilität weiter vor allem um eine möglichst schnelle Überbrückung großer Distanzen geht, werden als ‚nachhaltig-technische‘ Lösungen Ansätze von Radschnellstraßen über selbstfahrende Autos bis hin zum Hyperloop entwickelt und umgesetzt. Dabei wird nicht beachtet, dass wir durch schnelleres Fortkommen größere Distanzen schaffen und überbrücken und daher letztlich mehr Zeit unterwegs aufwenden, als wir es vorher getan haben (vgl. Marco te Brömmelstroet). Wir kommen zwar schneller weiter, sind dadurch insgesamt jedoch viel mehr unterwegs, was mit entsprechendem Ressourcenverbrauch, Stress etc. einhergeht. Unser klassisches Verkehrsbild vor allem im Autobereich liegt bei ‚höher – schneller – weiter‘ und umfasst keine Mobilität, die verschiedenen Bedürfnissen und dem menschlichen Maß (siehe auch die Arbeiten von Jan Gehl und von Jane Jacobs) und Wohlbefinden entspricht. Über solche Paradigmenwechsel wird im Postwachstumsbereich geforscht und nachgedacht. Die Lösungsansätze für ein neues Paradigma müssen die Menschen jedoch auch erreichen und motivieren. Hier kommt der zweite wichtige Aspekt ins Spiel.

Besonders als Wandelakteur*innen, die wir ein neues Paradigma, welches mit bisherigen Überzeugungen bricht, in die Welt bringen wollen, dürfen wir mehr als bisher auf unsere Sprache achten. Sprache ist fundamental wichtig, weil sie unsere Realität formt und bestimmt, was wir als Menschen wahrnehmen. Sprache legt fest, was wir uns vorstellen können und was für uns relevant ist. Wenn unsere Sprache z. B. sämtliche Autoinfrastruktur für prioritär oder lebensnotwendig deklariert und Staus permanent als unbedingt zu vermeidende Störung des Systems in den Nachrichten dargestellt werden, prägt sich deren Relevanz tief in der Realität der Menschen ein. Viele können sich ein Leben ohne Autos, Parkplätze, asphaltierte Straßen etc. in unserer Welt überhaupt nicht mehr vorstellen – obwohl es das alles so seit gerade einmal einhundert Jahren gibt (Marco te Brömmelstroet). Daher ist es wichtig, mit einer neuen Sprache neue Bilder und neue Imaginationsräume zu schaffen und die limitierende Wirkung unserer Wortwahl zu reflektieren. In der Postwachstums-, Suffizienz- und Degrowth-Welt wurde wissenschaftlich schon häufiger die Wirkung allein dieser Begriffe untersucht (z.B. bei Drews & Antal 2016). Um mehr Wandel zu erreichen, könnten diese Begriffe, die bei den meisten Menschen nicht unbedingt positiv belegt sind, zumindest im Transfer in die Mehrheitsgesellschaft anders genannt werden. Drews und Antal schlagen ein Brainstorming für einen neuen Begriff in Richtung von „stabiler/gerechter/nachhaltiger Wohlstand, ausgewogene/solidarische/glückliche Wirtschaft, Wirtschaft der Fürsorge/des Wohlstands“ vor (S. 186, eigene Übersetzung ins Deutsche). Es ist zu überlegen, wie zumindest die darin enthaltenen Lösungsansätze – wie zum Beispiel gemeinschaftlicheres Leben, andere Verteilung und Wertung der Arbeit etc. – in positiver Sprache vermittelt werden können. Daher sprechen viele wie ich inzwischen auch nicht mehr gern von Nachhaltigkeit, sondern lieber über Regeneration oder über blühende, regenerative, lebendige, anstatt über nachhaltige oder klimaneutrale Städte.

Die verwendete Sprache ist ein Teil einer reflektierten Kommunikation. In unserer gesellschaftlichen Polarisierung wird viel auf dem eigenen Standpunkt als dem einzig wahren beharrt und wir neigen fast alle dazu, den anderen gegenüber recht haben zu wollen oder meinen moralisch überlegen zu sein. Durch eine solche Konfrontationshaltung – bspw. ‚Umweltschützer*innen‘ vs. ‚Landwirt*innen‘ oder ‚Links‘ gegen ‚Rechts‘ – übersehen wir völlig, dass wir häufig doch gemeinsame Werte und Ziele haben. Das Gegenüber wird oft nicht als Mensch mit der gleichen Würde und einer eigenen Realität, die durch Erfahrung, Sozialisierung, Sprache, Einstellung etc. geprägt ist, anerkannt. Hier helfen Ansätze wie Gewaltfreie Kommunikation o.ä. oder das Schaffen von Begegnungsräumen z. B. nach den Regeln des Art of Hosting, um gemeinsam voranzukommen und Brücken zu bauen.

Um solche Räume gut moderieren und auf andere Menschen offen und empathisch zugehen zu können, braucht es innere, persönliche Entwicklung in jedem einzelnen Menschen. Um Frieden in der ganzen Welt zu erreichen, braucht es Frieden auf jedem Kontinent, in jedem Land, in jeder Stadt, in jeder Familie und letztlich in jedem Menschen (in Anlehnung an Christian Bischoff, Bewusstheit, S. 14). Beginnen tut der Frieden damit in jeder einzelnen Person. Wir sind häufig unsere eigenen stärksten Kritiker*innen, bewerten permanent alles und jeden, haben eine Fokussierung auf die Probleme der Welt und behandeln entsprechend bewusst oder vielmehr unbewusst auch alles um uns herum. Durch innere Entwicklung und ein höheres Bewusstheitsniveau, die auf verschiedenen Wegen erreicht werden kann, können wir stattdessen zufrieden und friedlich mit uns selbst sein, müssen es niemandem beweisen, können wahrhaft offenherzig auf andere Menschen zugehen und aus innerer positiver Kraft heraus wirken, statt im permanenten Konflikt zu leben. Dass es für Veränderungen im Außen notwendigerweise zuerst einer Veränderung im eigenen Innen Bedarf, wird sowohl in der klassischen Nachhaltigkeitsbranche als auch im Postwachstumsbereich noch nicht von allen erkannt und beachtet.

Durch innere Entwicklung stellen wir Verbundenheit auf allen Ebenen her: mit uns selbst, mit unseren Mitmenschen und mit unserer Mitwelt. Umso mehr wir verbunden sind, umso mehr Liebe, Empathie und Offenheit können wir allen und allem entgegenbringen und desto weniger verletzen wir. Umso verbundener wir sind, umso weniger brauchen wir im materiellen Sinne. Wenn wir es schaffen, dass mehr Menschen in sich ruhen und inneren Frieden finden, führt dies viel effektiver zu einem grundlegenden Wandel im Konsumverhalten als jedes rationale Argument es vermag. Dies führt uns wieder zum Paradigmenwechsel als erstgenanntem Ansatz zurück. Dieser geschieht auf diesem Weg ein Stück weit von allein. Begreifen wir uns als Menschen auf tiefster Ebene und mit vollem Gefühl als Teil der Mitwelt statt als erhaben über unsere Umwelt, gehen wir grundlegend anders mit den Ökosystemen um. Hier können wir viel von indigenen Ansätzen lernen und schauen, wie wir sie in unser Umfeld übertragen (z.B. bei Gabor Maté: Vom Mythos des Normalen).

Schaffen wir Einstellungsänderungen in den Köpfen der Menschen in echtem Kontakt zum Herzen, sind Diskussionen über Infrastrukturprojekte nachrangig (Erion Veliaj). Diese physischen Veränderungen gehen dann viel leichter umzusetzen, wenn die Bevölkerung sie trägt und die Sinnhaftigkeit begreift. Dafür gab es bei der Urban Future dann doch viele hoffnungsmachende Beispiele aus zahlreichen Städten, wo sich wirklich etwas in die Richtung bewegt, die uns allen auf diesem Planeten guttut. Darüber hinaus gibt es viele Zukunftsorte und -projekte, die bereits Postwachstumsansätze praktisch leben und bekannt machen, und die auch umfassend die obigen Ansätze praktizieren und weiterentwickeln. Die Verbindung von Themen zu innerer und äußerer Transformation inkl. Urbaner Transformation wurde unter anderem bei der CREATE Convention 2024 am Zukunftsort Wir bauen Zukunft erkundet.

PS: Es gibt wahnsinnig viele inspirierende Autor*innen und Frauen* in diesem Feld, auch wenn die Referenzliste in dem Fall männlich gelesen geprägt ist.

 

Referenzen:

Christian Bischoff (2020): Bewusstheit [Buch]

Erion Veliaj (2024): Input bei der Urban Future Konferenz

Jan Gehl (2015): Städte für Menschen [Buch]

Jane Jacobs (1961): The Death and Life of Great American Cities [Buch]

Marco te Brömmelstroet (2024): Vortrag bei der Urban Future Konferenz, als Buch dazu:
Thalia Verkade & Marco te Brömmelstroet (2022): Movement – how to take back our streets and transform our lives

Stefan Drews & Miklós Antal (2016): Degrowth: A „missile word“ that backfires? In Ecological Economics, Volume 126, June 2016, Pages 182-187

 

Weitere Literaturempfehlungen/Inspirationsquellen:

How to Change the World: 10 Transformationskompetenzen für systemischen Wandel“ – Stella Schaller

Innen wachsen – außen wirken– Julia Buchebner, Stefan Stockinger

„Zukunftsbilder 2045“ – Stella Schaller, Lino Zeddies, Ute Scheub & Sebastian Vollmar

 

Weitere Reflexionen zur Urban Future von Cathérine:

Blogpost über Key Learnings der Veranstaltung, mit Vertiefung des sprachlichen Themas

Artikel über die Gestaltung unserer Räume und Veranstaltungen für hochsensible und neurodiverse Menschen

Cathérine Lehmann studierte International Sustainability Management im Master an der ESCP Berlin/Paris und forschte danach an der TU Berlin zu Nachhaltigem Konsum und am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) zu Postwachstum, Engagement, Verbänden und sozial-ökologischer Transformation. Nun ist sie Geschäftsführerin der WeMaCo GmbH im Bereich Urbane Transformation und beschäftigt sich mit regenerativem Leben und Wirken. Als Initiatorin der CREATE Convention befasst sie sich mit dem Aufbau einer Community an der Schnittstille von innerer und äußerer Transformation.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert